Eurovision Song Contest

Stärker als gedacht

Belegte am Wochenende Platz zwei beim Eurovision Song Contest (ESC) 2025 in Basel: die israelische Sängerin Yuval Raphael Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Yuval Raphael hat gewonnen – zwar nicht die Trophäe des 69. Eurovision Song Contest (ESC), doch gäbe es eine Auszeichnung für Stärke und Mut, ginge sie nach diesem ESC an die 24-jährige Sängerin, die mit ihrer Widerstandskraft eine enorme Leistung bewiesen hat. Bemerkenswert: Raphael landete insbesondere dank des Zuschauervotings auf Platz zwei. In 13 Ländern – unter anderem von Staaten, die für ihre klar israelfeindliche Politik bekannt sind – erhielt Yuval Raphael vom Publikum die volle Punktzahl.

Dass Israel Publikumssieger wird, damit haben viele nicht gerechnet, am wenigstens wohl die weltweiten Israelhasser, die, kaum waren die Würfel gefallen, ihren Feindseligkeiten freien Lauf und mit Verschwörungstheorien nicht lange auf sich warten ließen: Bei der Abstimmung sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen, Israel stünde als Propagandamaschine hinter dem Erfolg Raphaels. Auch an offizieller Stelle, wie zum Beispiel in Madrid, erträgt man offenbar nicht, dass das spanische Publikum hinter Israel stand.

Der Hass hat nicht Oberhand gewonnen

Die Realität ist aber eine andere: Während Politbühne und Öffentlichkeit Israel an den Pranger stellen, ist es die große Masse der leisen Stimmen, die beweist, dass dieser Hass nicht Oberhand gewonnen hat. Dass die Publikumsabstimmung zugunsten Israels ausfiel, ist ein starkes Zeichen gegen die unerträgliche Arroganz all jener, die den Ausschluss Israels vom ESC gefordert hatten.

Weshalb hätten sonst so viele Länder Yuval Raphael punktemäßig derart unterstützt? Das Publikum stellte sich offensichtlich hinter die israelische Sängerin, die nicht nur mit ihrem musikalischen Können, sondern auch mit ihrer Geschichte als Überlebende des 7. Oktober 2023 ehrlich ihr Land vertreten hat – allen Buhrufen und Forderungen, Israel vom Contest auszuschließen, zum Trotz.

Es mag verschiedene Gründe geben, weshalb Yuval Raphael zur Publikumssiegerin gekürt wurde. Dennoch: Israel nahm bereits in den Vorjahren beim Zuschauervoting einen der oberen Ränge ein, im vergangenen Jahr war es Platz zwei. Zudem kann Israel nicht auf Nachbarschaftssolidarität zählen wie beispielsweise die skandinavischen oder osteuropäischen Länder.

Yuval Raphael katapultierte sich in die Herzen der Menschen.

Doch wie man es dreht und wendet – Yuval Raphael katapultierte sich an diesem Abend in die Herzen der Menschen. Sie lieferte am Samstag in Basel nicht nur eine souveräne Performance, sondern zeigte mit ihrer Widerstandskraft eine vorbildliche Leistung. Ihr wurde beim Massaker der Hamas das Unmenschlichste angetan, sie kam nur knapp mit dem Leben davon.

Doch auch jetzt begegnete sie den zerstörerischen Kräften mit großer Präsenz, Stärke und Resilienz. Indem sie trotz aller Widrigkeiten vor einem Millionenpublikum sang, hat sie bewiesen, dass es nur eine Möglichkeit gibt, auf Terror zu reagieren: sich ihm gemeinsam und mit aller Kraft entgegenzustellen. Das haben vermutlich auch die Abertausenden Menschen gedacht, die am Samstagabend für Raphael gestimmt haben.

Akutes Warnzeichen für eine gesellschaftliche Öffentlichkeit

Die junge Frau geht aber nicht nur mit »douze points« aus ganz Europa nach Hause, sondern auch mit der traurigen Erfahrung, dass Hass keine Grenzen kennt und selbst vor Veranstaltungen wie dem ESC, der kulturelle Freiheit feiert, nicht haltmacht. Es ist dieser Wert, den sich der Wettbewerb auf die Fahne schreibt. Israel zu torpedieren und damit den Song Contest durch den Krieg in Gaza mit Opportunismus zu skandalisieren, ist nicht nur ein akutes Warnzeichen für eine gesellschaftliche Öffentlichkeit, die sich damit schwertut, Diskriminierung zu bekämpfen. Es ist ein ebenso verzweifelter Akt gescheiterter Selbstreflexion. Hierfür kann Yuval Raphael nichts. Sie trat lediglich für ihr Land an, das sie stolz machen wollte.

Der ESC mag schrill und laut sein, aber er ist vielfältig und steht grundsätzlich für Toleranz in jede Richtung, nicht nur dann, wenn es bequem und gesellschaftsfähig ist. Wenn sich aber auf den Basler Straßen und auch anderswo die ganze Wut eines terrorverherrlichenden Mobs, der vor Judenhass nicht zurückschreckt, an einer einzigen Person festmacht, wie nun beim Song Contest geschehen, so hat dies kaum mit dem mitmenschlichen Wunsch zu tun, sich solidarisch für einen Frieden in Gaza einzusetzen. Auch die versuchte Farbattacke auf Yuval Raphael unmittelbar nach ihrem Auftritt steht für blanken Hass und die Unfähigkeit, ein friedliches Miteinander zu leben.

Beim ESC geht es nicht nur um Musik, die das Publikum mit Punkten honoriert. Es geht vor allem darum, unsere gesellschaftlichen Werte gegen Unmenschlichkeit und Barbarei zu verteidigen. Dennoch ist und bleibt es ein Wettbewerb, bei dem Fairplay genauso wichtig ist wie künstlerischer Anspruch. Für den Versuch, die Konkurrenz auszuschalten, die Interpretin auszupfeifen und ihr den verdienten Rang abzusprechen, gibt es lediglich »zéro points«.

Die Autorin ist Schweiz-Korrespondentin der Jüdischen Allgemeinen.

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  07.11.2025