Berlin

Neue Bühne für ein altes Haus

Eine Szene aus »House« am Nationaltheater La Colline in Paris Foto: © Simon Gosselin

House ist vor etwa 45 Jahren entstanden. Der Film von Amos Gitai über ein mehr als 100 Jahre altes Haus im Westteil von Jerusalem und seine arabischen und jüdischen Bewohner gehört zum Kanon des israelischen Kinos. Auf seine Weigerung, das Interview mit dem ehemaligen palästinensischen Hausbesitzer Mahmoud Dajani (der während des Nahost-Krieges 1948 geflohen war) aus der Dokumentation herauszuschneiden, ist Amos Gitai (73) noch heute stolz. Der Film wurde aus diesem Grund nicht im israelischen Fernsehen gesendet und begründete 1980 Gitais Karriere als Filmregisseur.

Gitais eigene Adaption von House für die Bühne, im März 2023 aufgeführt im Pariser Nationaltheater La Colline, ist am Wochenende zum ersten Mal in Deutschland gezeigt worden – während der Nahost-Thementage Reflexe und Reflexionen im Haus der Berliner Festspiele. Das deutsche Publikum war begeistert, es gab Standing Ovations.

Ein Haus als Sinnbild für den Nahost-Konflikt?

In einem anschließenden Gespräch am Sonntagabend verteidigte Gitai seine Entscheidung, das Theaterstück nicht durch einen erklärenden Text zu rahmen. Eine »Kontextualisierung« wäre aber geboten gewesen. Denn dann hätten die Zuschauerinnen und Zuschauer besser beurteilen können, ob ein »Haus« tatsächlich als Sinnbild für den Nahost-Konflikt dienen kann – oder wie es eine Figur im Stück beschreibt: Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern ähnelten Gesprächen zwischen Menschen, die aus einem Haus vertrieben wurden und denjenigen, die es in Besitz genommen haben und dann über Frieden sprechen wollen.

Dass House nicht von heute ist, war auch an der Stelle zu merken, als eine Figur (eine junge Palästinenserin aus Ost-Jerusalem) über ihre Angst sprach, in West-Jerusalem Arabisch zu sprechen. Wer heute in die Stadt kommt, hört Arabisch schon am Bahnhof – die palästinensischen Einwohner der Stadt bewegen sich heute im Westteil längst mit einer völlig anderen Selbstverständlichkeit als 1980.

Nichtsdestoweniger ist House ein eindrucksvolles Theaterstück und an vielen Stellen erschreckend aktuell, vor allem, was die berechtigte Kritik an der israelischen Siedlungspolitik betrifft. Dagegen wirkt die Entscheidung, die palästinensischen Arbeiter aus dem Westjordanland (die das Haus nach 1967 umbauten und renovierten), mit Bertolt Brechts Gedicht über die Frage zu flankieren, wer das siebentorige Theben baute, bestenfalls anachronistisch – um nicht zu sagen parteiisch.

Die Frage einer Frau, die im Kibbuz Beeri aufwuchs, beantwortete Gitai unzureichend

Eine wichtige Frage ließ Amos Gitai unzureichend unbeantwortet. Bei dem Gespräch nach der Vorführung von House in Berlin stand Eshkar Eldan Cohen auf– die Tochter des 100 Jahre alten Dichters Anadad Eldan, der im Kibbuz Beeri gemeinsam mit seiner Frau Shari (88) das Massaker vom 7. Oktober überlebt hatte.

Eshkar Eldan Cohen fragte, ob sich auch der Verlust des Hauses ihrer Eltern in Beeri im Stück wiederfände – sie sei zu spät zur Vorstellung gekommen. Gitai antwortete sinngemäß, sie sei in der Tat zu spät gekommen, um diese universelle Botschaft zu sehen – die israelische Regierung tue im Übrigen nichts für linke Kibbuzniks. Es war keine Antwort, die empathisch gewirkt hätte. Eine Begründung, warum das Stück nach dem 7. Oktober nicht aktualisiert wurde, lieferte Gitai nicht.

Fazit: Immerhin standen Juden und Araber, Palästinenser und Israelis gemeinsam auf einer Bühne, sprachen Arabisch, Hebräisch und Französisch – allesamt großartige und überzeugende Schauspieler und Sänger in einem alten Stück, das nicht einmal minimale Hoffnung vermittelt. Mehr ist derzeit nicht zu erwarten, weder im Theater noch anderswo.

Hans-Jürgen Papier

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  26.11.2025

Hommage

Pionier des Erinnerns

Der Filmemacher und Journalist Claude Lanzmann wäre diese Woche 100 Jahre alt geworden. Unser Autor ist ihm mehrmals persönlich begegnet

von Vincent von Wroblewsky  26.11.2025

Zahl der Woche

6500 Rabbiner

Funfacts & Wissenswertes

 26.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Coole Nichten, coole Tanten

von Katrin Richter  26.11.2025

Kulturkolumne

Lob der Anwesenheit

Lahav Shani und Jason Stanley: Warum unser Autor nicht nur in der Westend-Synagoge vor Ort ist

von Eugen El  26.11.2025

Film

Shira Haas ist Teil der Netflix-Serie »The Boys from Brazil«

Die israelische Schauspielerin ist aus »Shtisel« und »Unorthodox« bekannt

 26.11.2025

Zwischenruf

Was bleibt von uns?

Was bleibt eigentlich von uns, wenn Apple mal wieder ein Update schickt, das alles löscht? Jede Höhlenmalerei erzählt mehr als eine nicht mehr lesbare Floppy Disk

von Sophie Albers Ben Chamo  25.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  25.11.2025

Jüdische Kulturtage

Musikfestival folgt Spuren jüdischen Lebens

Nach dem Festival-Eröffnungskonzert »Stimmen aus Theresienstadt« am 14. Dezember im Seebad Heringsdorf folgen weitere Konzerte in Berlin, Essen und Chemnitz

 25.11.2025