Sprachgeschichte(n)

Mischpoke

Das Scherzwort »Mischpochologie« für Familienkunde, das Werner Weinberg in Die Reste des Jüdischdeutschen (1966) nennt, lenkt uns auf Abraham Tendlaus Befund in den Jüdischen Sprichwörtern und Redensarten (1860): »Kein Stamm hält wohl so sehr auf Familie als der Jude, und es wird berühmt, wenn jemand ein rechter Mischpochoh-Halter ist, wenn jemand besonderen Sinn für das Wohl und die Ehre der einzelnen Familienmitglieder zeigt.«

Der vom hebräischen »mischpâchâh« (Stamm, Genossenschaft) hergeleitete Ausdruck »Mischpoke« (für »Klan, Familie, Bande«) gelangte über das westjiddische »maschbúche« und rotwelsche Entsprechungen ins Deutsche und findet sich seit 1941 (!) regelmäßig im Rechtschreib-Duden.

In The New Joys of Yiddish (2001) deutet Leo Rosten den Satz »All Jews are mishpokhe« positiv als »ganz Israel ist eine Familie«. Für A. Klepsch (Westjiddisches Wörterbuch, 2004) steht das Wort bei Christen »pejorativ für Verwandtschaft«, bei Juden »wertungslos für Familie, Haushalt, Verwandtschaft«.

Soziolekt Wahr sind beide Aussagen. Das rotwelsche Bedeutungsspektrum umfasst sogar »Gesellschaft«, »Diebesbande«, »Zuchthäusler« (in F. C. Avé-Lallemants Das deutsche Gaunertum, 1862). Die Münstersche Masematte, ein regionaler Soziolekt, kennt die »fiese mischpoke«, das Manische in Gießen den Spruch: »Di mischboche hat di ganze pappnees getschuert (das Gesindel hat alle Äpfel geklaut)«.

Für Leo Rosten (Jiddisch, 2002) war die abfällige Eindeutschung wie die Rotwelsch-Vermittlung »auch auf den vulgären Antisemitismus zurückzuführen, der zahlreiche jiddische Begriffe nicht nur missverstanden, sondern in bewusst aggressiver Weise verdreht hat«. So startete Goebbels’ Zeitschrift »Der Angriff« im Januar 1938 eine Hetzkampagne gegen jüdische Gewerbebetriebe mit dem Aufkleber »… und die Mischpoche verdient! Neuer Dreh bringt dem Juden fetten Profit!«.

Zuweilen, so Rosten, liege bei »Mischpoche« auch ein ironischer, familienkritischer Gebrauch vor. Den kennen wir von vielen Literaten, weshalb E. Naschér im Buch des Jüdischen Jargons (1910) »ä Mischpoche« mit »Bagasche« gleichsetzte, da sie »häufig im spöttischen Sinne« benutzt werde. Erich Mühsam schrieb 1911 über sein Testament: »So habe ich doch die Sicherheit, dass mein literarischer Nachlass nicht einmal in die Fänge meiner Mischpoche fällt.«

Kafka Hirsch David Nomberg nannte 1913 sein jiddisches Schauspiel Di mischpoche, Anthony Northey analysierte Kafkas Mischpoche (1988), und Marcia Zuckermann veröffentlichte jüngst den sehr lesenswerten Roman Mischpoke!. Originell warb schon 2015 die Maccabiade für ihre Spiele in Berlin mit dem Slogan »Die ganze Mischpoke ist am Start«.

Das Adjektiv »mischpochig« taucht in einem Brief von Laureen Nussbaum auf. Bei dem Autor Georg Hermann heißt es 1933 in einem Brief an seine Tochter: »Es ist eine schöne und eigenartige Sache – aus meiner phantastischen Kiste – nicht aus der bürgerlich-mischpochigen oder der kunsthistorischen.« Für das »chronische Leiden an der Verwandtschaft« prägte er den Terminus »Mischpochitis chronica«. Der gemahnt an Karl Kraus’ Diktum in der »Fackel« (1907): »Das Wort ›Familienbande‹ hat manchmal einen Beigeschmack von Wahrheit.«

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Glosse

Das kleine Glück

Was unsere Autorin Andrea Kiewel mit den Produkten der Berliner Bäckerei »Zeit für Brot« in Tel Aviv vereint

von Andrea Kiewel  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Ab jetzt nur noch mit Print-Abo oder Es gibt viele Gründe, auf 2026 anzustoßen

von Katrin Richter  20.12.2025