Pressfreiheit

Magyarischer Maulkorb

Die Pressefreiheit wird zerschlagen: Titelblatt der Budapester Tageszeitung »Népszava« Foto: dpa

Verglichen mit der Schoa war die Unterdrückung im Realsozialismus ein minder schwerer Fall. Würde diese Zeitung in Budapest erscheinen statt in Berlin, könnte dieser Satz teuer werden. Denn seit dem 1. Januar 2011 gilt in Ungarn ein neues Mediengesetz. Es verpflichtet Fernsehen, Hörfunk, Printpresse und Onlinemedien, einschließlich Blogs, zu nicht näher definierter »politisch ausgewogener« und »wahrheitsgemäßer« Berichterstattung. Über die Einhaltung des Gesetzes wacht eine neu geschaffene Behörde, der Medienrat, der bei von ihm festgestellten Verstößen Geldstrafen von umgerechnet bis zu 750.000 Euro verhängen kann. Besetzt ist der fünfköpfige Medienrat ausschließlich mit Parteigängern von Ministerpräsident Viktor Orbán, dessen rechtskonservative FIDESZ-Partei im Parlament eine Zweidrittelmehrheit hat.

Gegen das Gesetz haben nicht nur ungarische Medien protestiert, die darin die faktische Einführung einer Zensur sehen. Auch Politiker aller Richtungen aus fast ganz Europas, einschließlich Bundeskanzlerin Merkel, deren CDU eine Schwesterpartei von Orbáns FIDESZ ist, haben öffentlich Besorgnis geäußert und infrage gestellt, ob die neue Medienordnung mit den europäischen Grundwerten vereinbar ist. Immerhin ist Ungarn EU-Mitglied und hat – pikanterweise zeitgleich mit Inkrafttreten des Gesetzes – auch den Ratsvorsitz der Union übernommen.

geschichtsrevisionismus Nicht geäußert hat sich bisher der Europäische Jüdische Kongress. Dabei berührt das magyarische Mediengesetz jüdische Belange in einem essenziellen Punkt. Die dort bewusst vage formulierte Pflicht zu »wahrheitsgemäßer« Berichterstattung könnte, entsprechenden bösen Willen vorausgesetzt, als Mittel genutzt werden, um erinnerungspolitisch dem Geschichtsrevisionismus Bahn zu brechen. Ein halbes Jahr vor dem Mediengesetz hatte das Parlament in Budapest eine Novelle zum Strafgesetzbuch beschlossen, mit der das Leugnen »des vom nationalsozialistischen oder vom kommunistischen System begangenen Völkermords« mit Haftstrafen bis zu drei Jahren geahndet werden kann.

Die Gleichsetzung von Schoa und realsozialistischer Repression im Gesetzestext war gewollt. Die Strafrechtsänderung war eine Retourkutsche auf ein von der sozialistisch-liberalen Vorgängermehrheit beschlossenes Verbot der Holocaustleugnung, das der ungarischen Rechten ein Dorn im Auge war. Denn die ist, vorsichtig ausgedrückt, von antisemitischen Tendenzen nicht frei. Das gilt nicht nur für die offen faschistische Jobbikpartei, die bei den Wahlen im April 17 Prozent der Stimmen bekam, sondern auch für Orbáns FIDESZ.

Landesbecken In der ihr nahestehenden Tageszeitung Magyar Hírlap schrieb zum Beispiel der Journalist Zsolt Bayer 2009: »Die Budapester jüdischen Journalisten beschimpfen ... die FIDESZ. Weil sie uns mehr hassen als wir sie. Sie sind unsere Rechtfertigungsjuden – sprich: Ihre schiere Existenz rechtfertigt den Antisemitismus. (…) Unsere Aufgabe ist lediglich, dass wir ihnen nicht gestatten, in das Becken des Landes zu pinkeln und hineinzuschnäuzen. Sagen wir es bestimmt, dass wir das nicht gestatten. Dann aber schauen wir gemütlich zu, wie sie am Rande herumrennen. Ein Haufen unglückseliger Kranker. Sie werden ermüden.«

Fast wünscht man sich, Bayer oder seine Gesinnungsgenossen – denn er steht mit solchen Ansichten alles andere als allein – würden einen ähnlichen Artikel 2011 noch einmal publizieren. Nur um zu sehen, ob der Budapester Medienrat gegen ein Blatt, das Derartiges veröffentlicht, ein Strafgeld verhängt. Oder wird es eher Journalisten treffen, für die, entgegen magyarischer Staatsräson, Auschwitz und Gulag nicht Jacke wie Hose sind? Bisher ist die Behörde erst ein Mal aktiv geworden: Gegen einen kleinen Radiosender, der einen alten »jugendgefährdenden« Song des Rappers Ice-T gesendet hatte.

Österreich

Neue Direktorin für das Jüdische Museum Hohenems

Historikerin Irene Aue-Ben-David übernimmt die Leitung und bringt internationale Erfahrung aus Jerusalem mit

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Basel

Mann wollte Juden während des ESC angreifen

Kurz vor dem »Eurovision Song Contest« in der Schweiz wurde ein 25-Jähriger wegen konkreter Gewaltdrohungen festgenommen und ausgewiesen

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Berlin

Umstrittene 88: Der schwierige Umgang mit rechten Codes

Im Berliner Fußball sorgt die Debatte um die Rückennummer 88 und dem Hitler-Bezug für Kontroversen. Warum das Verbot erneut scheiterte und wie der Fußball insgesamt mit rechtsextremen Codes umgeht

von David Langenbein, Gerald Fritsche, Jana Glose  16.12.2025

Wien

ESC 2026: ORF will israelfeindliche Proteste nicht ausblenden

Die Debatte und der Boykott einzelner Länder wegen der Teilnahme Israels haben den ESC 2026 bisher überschattet. Auch beim Event im Mai selbst drohen Proteste. Wie geht der ORF damit um?

 16.12.2025

Washington D.C.

Trump sorgt mit Angriffen auf ermordeten Rob Reiner für Empörung

Der jüdische Regisseur sei an einem »Trump-Verblendungssyndrom« gestorben, schreibt der Präsident. Dafür erntet er seltene Kritik aus den eigenen Reihen

 16.12.2025

Nachruf

Filmproduzent mit Werten

Respektvoll, geduldig, präzise: eine Würdigung des sechsfachen Oscar-Preisträgers Arthur Cohn

von Pierre Rothschild  15.12.2025

Meinung

Xavier Naidoos antisemitische Aussagen? Haken dran!

Der Mannheimer Sänger füllt wieder Konzertsäle. Seine Verschwörungserzählungen über Juden und holocaustrelativierenden Thesen scheinen kaum noch jemanden zu stören

von Ralf Fischer  15.12.2025

Los Angeles

Bestürzung über Tod von Rob Reiner und Ehefrau Michele

Der jüdische Regisseur und seine Frau wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei behandelt den Fall als mögliches Tötungsdelikt

 15.12.2025

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025