»Die Gottbegnadeten«

Kein Neubeginn nach 1945

Das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin thematisiert in einer Ausstellung die Nachkriegskarrieren von NS-Künstlern. Viele von ihnen hatten auch nach 1945 in der Bundesrepublik und Österreich überraschend großen Erfolg.

EHRENMAL 20. JULI 1944 Ein Foto zeigt, wie im Hof des Bendlerblocks in Berlin 1953 eine schwere Skulptur aufgestellt wird. Die überlebensgroße Bronzefigur von Richard Scheibe, ein Jüngling mit gefesselten Händen, erinnert an den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 mit dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler. Vier der Umstürzler und Attentäter, darunter Claus Schenk Graf von Stauffenberg, waren dort, dem Sitz des Oberkommandos des Heeres, sofort erschossen worden.

1953 hatte Richard Scheibe den Auftrag für das Ehrenmal vom Berliner Senat erhalten, obwohl sein Name im August 1944 - knapp einen Monat nach dem Attentat - auf der sogenannten Gottbegnadeten-Liste stand. Im Auftrag von Adolf Hitler und seinem Propagandaminister Joseph Goebbels erstellt, verzeichnete die Liste knapp 400 Künstler, die das NS-Regime im Zuge des »totalen Krieges« ausdrücklich vom Dienst an der Front oder Arbeitseinsatz befreite.

NS-IDEOLOGIE Erstmals widmet sich eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) Berlin unter dem Titel »Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik« mit den Vertretern der 114 bildenden Künstler auf dieser Liste den Nachkriegskarrieren. »Die Popularität der ‚gottbegnadeten‘ bildenden Künstler und ihr visueller Beitrag zur NS-Ideologie waren immens«, betont Raphael Groß, Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum. Um so mehr überrasche ihr Erfolg in der Bundesrepublik und in Österreich nach 1945 bis in die 1970er Jahre hinein, den die Ausstellung nachzeichnet.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Die Schau geht zurück auf Forschungen des Kunsthistorikers und Kurators Wolfgang Brauneis. Anhand von rund 300 Skulpturen und Gemälden, Gobelins und Zeichnungen sowie Fotos, Plakaten und Presseberichten zeichnet sie die Biografien einzelner »Gottbegnadeter« nach und zeigt, wie fließend sie den Übergang von der Diktatur in die Demokratie schafften. Thematisiert werden Netzwerke, die den Erfolg ermöglichten, die Rezeption der Kunst und die wenigen öffentlichen Proteste bis heute.

Die Schau räumt zugleich auf mit der Vorstellung, die Kunst der NS-Zeit sei nach 1945 einem radikalen Neubeginn gewichen. Eine Auffassung, die auch schon die parallel im DHM gezeigte Ausstellung zur Geschichte der Kasseler Weltausstellung documenta als Mythos entlarvt.

BEZIEHUNGEN Zu den Biografien, die Kurator Brauneis nachzeichnet, gehören bekannte Künstler wie Arno Breker (1900-1991), der Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers. Ihm war es gelungen, dank guter Kontakte zur Industrie, aber auch in die Politik, mit nur wenigen stilistischen Anpassungen sich weiterhin Aufträge zu sichern. Zu den herausragenden Exponaten in der Schau gehört die große Bronzefigur der Pallas Athene, die er in den späten 1950er Jahren für ein Wuppertaler Gymnasium entwarf. Ein Foto zeigt den Künstler 1983 neben einer Porträtbüste des ehemaligen Bundeskanzlers Ludwig Erhard (1897-1977), der zu den Bewunderern Brekers zählte.

Weniger bekannt ist der Kölner Bildhauer Willy Meller (1887-1974). Er war in der NS-Zeit äußerst erfolgreich und hatte unter anderem Bauschmuck für NS-Ordensburgen und das NS-Seebad Prora auf Rügen entworfen. Nach 1945 wurde er als »Mitläufer« eingestuft. 1952 erhielt er den Auftrag für den »Bundesadler« am Palais Schaumburg, bis zum Umzug der Bundesregierung nach Berlin der Bonner Amtssitz des Bundeskanzlers. Und er schuf zahlreiche Denkmäler zur Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkriegs, darunter 1962 die Trauernde, die bis heute vor dem NS-Dokumentationszentrum in Oberhausen steht.

DEBATTE Proteste gegen die Beauftragung in das NS-Regime verstrickter Künstler, etwa auch in den Medien, blieben selten, wie die Ausstellung deutlich macht. Eine rühmliche Ausnahme sind die zeitgenössischen Debatten, die sich um den Gobelin Frau Musica von 1969 ranken, den Hermann Kaspar (1904-1986) für das Foyer des Meistersingersaals in Nürnberg entwarf. Als junger Künstler hatte er in den 1930er Jahren Mosaiken für die Neue Reichskanzlei in Berlin und für das Haus der Deutschen Kunst in München entworfen.

Widerstand gegen Kaspars Lehrtätigkeit an der Münchner Akademie für Bildende Kunst, wo er bereits vor 1945 Professor wurde und - mit nur kurzer Unterbrechung 1945 - bis zu seiner Emeritierung blieb, führte in den 1960er Jahren zu einer langjährigen Debatte über seine Rolle in der NS-Zeit. Der Protest blieb ohne Erfolg, der Gobelin schmückt bis heute das Foyer.

Und schließlich beweist eine eigens vom DHM in Auftrag gegebene Fotodokumentation, wie nach wie vor Arbeiten von Künstlern der »Gottbegnadeten«-Liste öffentliche und halböffentliche Räume prägen. Eine Generallösung für den Umgang damit will Kurator Brauneis nicht anbieten. Er plädiert für eine differenzierte Sichtweise auf die Werke und ihre Rezeption.

Zahl der Woche

2 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 03.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  03.12.2025 Aktualisiert

Medien

»Antisemitische Narrative«: Vereine üben scharfe Kritik an Preis für Sophie von der Tann

Die Tel-Aviv-Korrespondentin der ARD soll mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt werden

 03.12.2025

Chemnitz

Sachsen feiert »Jahr der jüdischen Kultur«

Ein ganzes Jahr lang soll in Sachsen jüdische Geschichte und Kultur präsentiert werden. Eigens für die Eröffnung des Themenjahres wurde im Erzgebirge ein Chanukka-Leuchter gefertigt

 03.12.2025

TV-Tipp

»Fargo«: Spannend-komischer Thriller-Klassiker der Coen-Brüder

Joel und Ethan Coen erhielten 1997 den Oscar für das beste Originaldrehbuch

von Jan Lehr  03.12.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 4. Dezember bis zum 10. Dezember

 03.12.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  02.12.2025

Streaming

Gepflegter Eskapismus

In der Serie »Call my Agent Berlin« nimmt sich die Filmbranche selbst auf die Schippe – mit prominenter Besetzung

von Katrin Richter  02.12.2025

Jean Radvanyi

»Anna Seghers war für mich ›Tschibi‹«

Ein Gespräch mit dem Historiker über die Liebesbriefe seiner Großeltern, Kosenamen und hochaktuelle Texte

von Katrin Richter  02.12.2025