Debatte

documenta-Chef lehnt Abbruch ab

Alexander Farenholtz Foto: imago stock&people

Debatte

documenta-Chef lehnt Abbruch ab

Farenholtz: Werke werden weiterhin nicht auf Judenhass überprüft

 29.07.2022 20:20 Uhr

Trotz der erneuten antisemitischen Funde auf der documenta fifteen in Kassel ist ein Abbruch der Schau für Interims-Geschäftsführer Alexander Farenholtz keine Option. »Ich habe nicht das Gefühl, dass die Stimmung auf der documenta solche Forderungen widerspiegelt«, sagte er am Freitag in Kassel. »Und das ist auch ganz sicher nicht die Stimmung, die bei der Künstlerischen Leitung und bei mir herrscht.« 

Auch eine systematische Prüfung aller verbliebenen Werke lehnt der 68-Jährige weiterhin ab. »Es besteht kein Generalverdacht gegen die documenta und daher auch keine Veranlassung für eine generelle Prüfung.« Zu den jetzt kritisierten Darstellungen bereite die Künstlerische Leitung einen Text als Erläuterung vor, der der Ausstellung zugefügt werde. »Eine Entfernung der Zeichnungen ist nicht angezeigt«, betonte Farenholtz. 

Entsprechende Forderungen waren in den vergangenen Tagen laut geworden, nachdem auf der Ausstellung erneut massiv antisemitische Arbeiten entdeckt worden waren. Schon kurz nach der Eröffnung der documenta Mitte Juni war ein Banner mit judenfeindlichen Motiven entdeckt und abgebaut worden.

Bereits seit Januar gab es erste Stimmen, die dem indonesischen Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern eine Nähe zur judenfeindlichen Boykottbewegung BDS vorwarfen. 

Die aktuelle Entdeckung liegt Farenholtz zufolge drei Wochen zurück. Eine Besucherin beschwerte sich demnach bei der documenta über Darstellungen in einer Broschüre, die 1988 in Algier erschienen ist. Die Zeichnungen des syrischen Künstlers Burhan Karkoutly zeigen etwa Soldaten mit Davidstern am Helm als Roboter mit entblößten Zähnen. 

Die Darstellungen seien für eine Prüfung zunächst aus der Ausstellung entfernt worden, erklärte Farenholtz. Die Staatsanwaltschaft habe sie als strafrechtlich nicht relevant eingestuft.

Darüber hinaus habe die Künstlerische Leitung sie als Archivmaterial bewertet, das im historischen Kontext entstanden sei und dokumentarischen Charakter habe. Sie seien daher wieder in die Ausstellung zurückgegeben worden.

Der Kulturmanager räumte bei diesem Vorgehen »handwerkliche Fehler« ein. Man habe zum einen versäumt, der Beschwerdeführerin den Umgang mit ihrer Beschwerde zu erläutern. »Der zweite Fehler war, nicht ausdrücklich zu entscheiden, ob es einer Kontextualisierung bedarf oder nicht. Diese Entscheidung ist einfach unterblieben.«

Daraus habe die documenta Lehren gezogen, sagte er. Für künftige Beschwerden jeglicher Art gebe es jetzt ein klares Verfahren. Demnach sollten potenzielle Beschwerdeführer über den Ausgang informiert werden. Zudem solle über möglicherweise notwendige Erläuterungen betroffener Werke konkret entschieden werden.

Kritik an mangelnder Kommunikation des Kuratoren-Kollektivs Ruangrupa wies Farenholtz zurück. »Es ist nicht richtig, daraus Rückschlüsse auf eine mangelnde Bereitschaft zu ziehen.« Die Mitglieder der Gruppe seien sehr zugänglich und nahbar, insbesondere vor Ort in Kassel und in der Ausstellung seien sie sehr präsent. »Ruangrupa zeigt seine ausdrückliche Bereitschaft zum Dialog auf Augenhöhe.«

Auch für sie sei die Situation belastend. Der von den Gesellschaftern – der Stadt Kassel und dem Land Hessen – angekündigten fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta durch externe Experten stehen demnach alle Beteiligten offen gegenüber. »Ich möchte alles dafür tun, dieses Gremium in seiner Arbeit zu unterstützen«, betonte Farenholtz.

An dessen Konstituierung arbeiteten das Kulturdezernat der Stadt Kassel und das hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst »mit Hochdruck«, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Nähere Angaben wurden dazu noch nicht gemacht. Sobald das Gremium konstituiert sei, werde es sich auch mit den aktuellen Ereignissen befassen. 

Die sorgten am Freitag weiter für Empörung. Es verstärke sich immer mehr der Eindruck, »dass die documenta fifteen von Ideologen gekapert worden ist, denen es vor allem darum geht, die Existenz des Staates Israel zu delegitimieren«, teilte etwa das Internationale Auschwitz Komitee mit. 

»Die weiteren antisemitischen Bilder auf der documenta fifteen dokumentieren den fehlenden Willen der Künstlerischen Leitung, sich ernsthaft und klar von judenfeindlicher Schmäh-Kunst zu distanzieren beziehungsweise diese zu unterbinden«, sagte der hessische Antisemitismusbeauftrage Uwe Becker laut Mitteilung.

Erklärungen oder Formen der Einordnung seien falsche Mittel im Umgang mit Judenhass. »Es darf keine Hintertüren für Antisemitismus geben - weder auf der documenta fifteen noch sonst an einem Ort in unserem Land.« 

Der Grünen-Politiker und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, fordert in der »Frankfurter Rundschau« (Samstag) Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) dazu auf, alle Zahlungen des Landes ab sofort an die Bedingung zu knüpfen, dass auf der documenta keine antisemitischen Bilder mehr gezeigt werden dürften.

Alle ausgestellten Werke müssten auf judenfeindliche Bildsprache untersucht werden. Wenn Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) dies als Mitglied des Aufsichtsrats nicht durchsetzen könne, müsse Rhein sie aus dem Gremium abziehen, fordert Beck dem Bericht zufolge - ohne Dorn dabei namentlich zu nennen. dpa/ja

Kino

Düstere Dinosaurier, frisches Starfutter

Neuer »Jurassic World«-Film mit Scarlett Johansson läuft in Deutschland an

von Ronny Thorau  01.07.2025

Berlin

Ausstellung »Die Nazis waren ja nicht einfach weg« startet

Die Aufarbeitung der NS-Zeit hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Wendungen genommen. Eine neue Ausstellung in Berlin schaut mit dem Blick junger Menschen darauf zurück

von Lukas Philippi  01.07.2025

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

von Ulf Poschardt  29.06.2025