Hans Zimmer

Herr der Töne

»Nur wenige Noten müssen reichen, damit klar ist: Hey, ich bin in ›Spiderman‹«: Hans Zimmer Foto: Getty

Hans Zimmer

Herr der Töne

Er ist Hollywoods erfolgreichster Filmkomponist und geht im kommenden Jahr erstmals auf Deutschlandtournee

von Axel Brüggemann  23.11.2015 20:18 Uhr

Es wäre nicht verwunderlich, wenn seine Jugend irgendwann auf der Couch eines Psychologen geendet hätte. Doch Hans Zimmer hatte die Musik. Den ersten Klavierunterricht boykottierte er zwar, weil er sich – genauso wie in der Schule – nicht den pädagogischen Regeln der Lehrerin unterwerfen wollte. Aber er entwickelte eine ureigene Beziehung zu Tönen und Klängen, eine autodidaktische Liebe, die für ihn zu einem Ventil wurde: »Die Musik war für mich schon immer die beste Möglichkeit, mich auszudrücken«, sagt er. Sie ist für ihn Rückzugsort, Öffnung und Kommunikation. Damals, als kleiner Junge in Frankfurt, und heute, als Filmmusik-Star in Hollywood.

Jahrelang hat Zimmers Mutter ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie Jüdin ist, dass sie 1939 aus Deutschland ins sichere England geflohen ist. »Sie hat nie darüber gesprochen«, sagte Zimmer einmal, »es schien, als hätte sie noch immer Angst, dass die Nachbarn etwas erfahren könnten.« Seine Mutter war eine Herzblut-Musikerin, sein Vater ein Technik-Freak. Als der junge Hans versuchte, die Klangzone des Klaviers mit einer Motorsäge zu erweitern, bejubelte er die technische Innovation seines Sohnes. Aber das ist der zweite Knackpunkt in der Jugend von Hans Zimmer: Sein Vater starb, als er noch ein Kind war.

Oscars Über beide Tabus hat Zimmer erst spät gesprochen. Das erste Mal, als er den Soundtrack zum König der Löwen komponierte. »Ich habe das Angebot nur angenommen, um meine sechsjährige Tochter zu beeindrucken«, sagte er damals, »ich wollte mit ihr zur Premiere gehen und ein bisschen angeben.« Doch bei der Arbeit merkte er, dass die Geschichte um den Löwen Simba ein Spiegelbild seiner eigenen Geschichte war – auch Simba hat seinen Vater verloren. »Damals war ich zum ersten Mal in der Lage, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.« Und so ist es vielleicht folgerichtig, dass von den zehn Oscar-Nominierungen, die er unter anderem für Rain Man, Gladiator, Inception und Sherlock Holmes bekam, ausgerechnet jene für König der Löwen mit der Trophäe belohnt wurde.

Das Tabu seiner jüdischen Familie fiel 1999 beim Berliner Filmfestival, als Zimmer The Last Days vorstellte, eine Dokumentation über die Schoa. Da erzählte er zum ersten Mal, dass er Sohn einer jüdischen Familie ist und stolz, von »meinem Volk« reden zu dürfen. Noch während des Auftritts wurde ihm bewusst, dass er seine Mutter verraten hatte. Aber als er zu Hause anrief, um sich zu entschuldigen, sagte sie ihm zum ersten Mal in ihrem Leben: »Ich bin stolz auf dich!« Später feierten auch Dirigent Zubin Mehta und das Israel Philharmonic Orchestra Hans Zimmer und verliehen ihm den Lifetime Award.

Werbe-Jingles Zimmers Weg von Frankfurt nach Hollywood war unkonventionell: Zunächst komponierte er Werbe-Jingles, dann mit der britischen Popband The Buggles Songs wie »Video Killed the Radio Star« (das erste Video, das bei MTV gezeigt wurde), später wurde er Assistent von Ulysses-Komponist Stanley Myers, erst dann gelang ihm mit Rain Man der Durchbruch. Es ist vielleicht unseriös, das Leben Zimmers als Schlüssel für seine Musik zu verstehen. Aber so, wie er seinen ersten Klavierunterricht boykottierte, wehrte er sich auch in Hollywood noch gegen die bestehenden Mainstream-Regeln der Filmindustrie.

Leitmotive Dass er heute einer der wichtigsten Player der Branche ist, hat auch damit zu tun, dass Zimmer sich das Unkonventionelle bewahrt und seine eigene, innere Welt gleichzeitig den Nerv der Massen getroffen hat. In Backdraft (1991) mit Robert de Niro erfand er den sogenannten Wall-to-Wall-Sound, revolutionierte das Kino, indem er die meisten Szenen mit Musik unterlegte und ein neues Sound-Schema erfand: opulentes Hauptmotiv, rhythmische Action-Motive und sinnliche Leitmotive für die Liebenden. Ein Modell, das er auch in Gladiator verwendet hat und das bis heute als Schablone für die meisten amerikanischen Actionfilme Bestand hat.

Inzwischen wohnt Zimmer nicht nur in Hollywood, er residiert hier. Er ist schon lange keine One-Man-Show mehr. Ein rund 70-köpfiges Team arbeitet an seinen Klängen, entwickelt die psychologische Klanghandlung für Filme wie Spiderman, Batman oder Fluch der Karibik und für Videospiele wie Call of Duty. Dabei haben alle Mitarbeiter Zimmers Credo im Kopf: »Filmmusik soll dem Publikum nicht vorschreiben, wie es sich zu fühlen hat, sondern Türen öffnen, um in den Film einzutreten zu können.« Und noch ein Erfolgsrezept verrät der Komponist: »Man muss bei geschlossenen Augen schon nach einem halben Takt wissen, in welchem Film man ist. Nur wenige Noten müssen reichen, damit gleich klar ist: Hey, ich bin in Spiderman

Sein Studio ist eine Art Schaltzentrale des Kino-Klanges geworden. Er ließ es im Renaissance-Stil ausstatten: tiefrote Wände, dunkles Holz, darin Bücher, Kerzen, Krimskrams, flauschige, stoffbezogene Sessel und Couches – all das mit gedecktem Licht illuminiert. Darin die blinkenden Hightech-Apparate, mit denen Zimmer den großen Orchesterklang auf synthetische Musik prallen lässt.

heimat Eine Umgebung, die viel über ihn verrät. Gemeinsam mit seiner Frau und den vier Kindern hat er sich ein Traum-Zuhause eingerichtet, seine persönliche Fantasie als Lebenswelt. Kein Wunder, denn der Mann, dessen Englisch nicht amerikanisch und dessen Deutsch eher wie Englisch klingt, macht aus seiner Heimatlosigkeit keinen Hehl. »Es ist wohl seit meiner Kindheit die Musik gewesen, in der ich wirklich zu Hause bin«, sagt er. Sein Studio ist so etwas wie das Abbild dieser inneren Heimat.

Bis heute hat Zimmer nicht aufgehört, Neues zu suchen und Regeln zu brechen. Einer seiner Lieblingsregisseure neben Ron Howard ist Christopher Nolan, mit dem er Filme wie Inception gemacht hat. Als Zimmer für den Oscar nominiert wurde, Nolan aber nicht, war der Musiker irritiert: »Alle rufen immer danach, dass man etwas Neues probieren soll, aber wenn es einer wie Nolan tut, ist es auch nicht richtig. Vielleicht war es der ökonomische Erfolg mit diesem Experiment, der den Leuten suspekt war.«

Zimmer hat die Gabe, Innovation und Erfolg miteinander zu verbinden. Kein Filmkomponist ist so neutönend und finanziell so erfolgreich wie er. Höchste Zeit also, dass er mit seiner Musik auch in der alten Heimat auf Tour geht. Ein Traum, den er schon lange hat. »Es kam immer etwas dazwischen, da es mir schwerfällt, einen neuen Auftrag abzusagen.«

Nun aber gönnt sich der Klangmagier aus Hollywood eine Auszeit. Zwischen dem 16. und 26. April 2016 ist er in fünf deutschen Städten zu hören – ganz ohne Bilder, nur mit Klängen, die von den großen Epen Hollywoods erzählen.

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