Göttingen

»Gestickte Pracht und gemalte Welt«

Torawimpel: Ein Paar unter der Chuppa (Symbolfoto) Foto: Constantin von Hoensbroech

Das älteste Exponat ist gleichzeitig eines der prächtigsten. Der rund vier Meter lange jüdische Tora-Wimpel stammt aus dem Jahr 1690 und ist reich mit Stickereien in kräftigen, leuchtenden Farben verziert. In Rot, Gelb, Grün, Hellblau, Braun und Weiß wurden Blumen, Ornamente sowie in der Mitte die hebräischen Buchstaben aufgebracht. »Natan, Sohn des Raw Rabbi Awraham - er möge viele gute Tage erleben - geboren unter gutem Stern«, liest Andrea Rechenberg, Leiterin des Städtischen Museums Göttingen, die Übersetzung vor: »Er werde groß zur Tora und zur Chuppa und zu guten Taten. Amen Sela.«

sammlung 18 solcher bestickten und bunt bemalten Tora-Wimpel sind von Sonntag (18. Juli) an in dem Museum zu bewundern. Sie stammen aus der insgesamt 28 Wimpel umfassenden Sammlung des Hauses. Die meisten werden erstmals öffentlich ausgestellt - Ende des 19. Jahrhunderts konnte lediglich eine kleine Auswahl besichtigt werden. Die Schau mit dem Titel »Gestickte Pracht und gemalte Welt« wird bis zum 17. Oktober gezeigt. Es handele sich um Jahrhunderte alte Textilien, die nicht für längere Zeit dem Licht ausgesetzt sein dürften, begründet Rechenberg den vergleichsweise kurzen Zeitraum der Schau. »Auch deshalb ist diese Ausstellung etwas Besonderes. Die Wimpel werden so schnell nicht wieder zu sehen sein.«

Tora-Wimpel sind Stoffbänder aus der Tradition des aschkenasischen Judentums, also der mittel-, nord- und osteuropäischen Juden. Seit dem späten Mittelalter war es üblich, zu Ehren eines neu geborenen Jungen einen Wimpel zu stiften. Die teilweise bis zu vier Meter langen Leinenstreifen wurden aus den Beschneidungswindeln eines jüdischen Jungen gefertigt und mit dem Namen des Neugeborenen und seines Vaters, mit Segenssprüchen und Verzierungen versehen.

Tora-Rollen Beim ersten Synagogen-Besuch des Jungen umwickelte die Gemeinde die Tora-Rollen - handgeschriebene Rollen mit dem hebräischen Text der fünf Bücher Mose - mit dem Wimpel und verwahrten diesen. Im Laufe der Zeit habe eine Gemeinde so oft Hunderte Tora-Wimpel angesammelt, berichtet Rechenberg. Sie seien üblicherweise in einer Truhe oder einem Schrank im Synagogen-Gebäude aufbewahrt und zu allen wichtigen religiösen Festen im Leben des Jungen hervorgeholt worden.

Tora-Wimpel sind Stoffbänder aus der Tradition des aschkenasischen Judentums.

Während der Ausstellung liegen die Wimpel auf langen Tischen und unter Glas. Teils von mehreren Menschen gestaltet, spiegeln sie die damaligen Lebensumstände und Vorlieben der jüdischen Gemeinschaft wieder. Vielfach sind Vasen und Geschirr sind zu sehen, häufig auch Blumen und Tiere. Ein Exponat aus der Barockzeit zeigt unter anderem hin und her fliegende Putten und ein Ehepaar in der damals üblichen Kleidung.

In den ausziehbaren Schubladen finden sich schriftliche Erläuterungen. »Wir haben das auf drei Räume verteilt und thematisch gegliedert«, sagt die wissenschaftliche Volontärin Adina Eckert. »Im ersten Raum geht es darum, was Tora-Wimpel überhaupt sind und aus welchem Material und mit welcher Technik sie hergestellt wurden. Im zweiten Raum informieren wir anhand der Wimpel über jüdische Kultur und Religion und im dritten über die Geschichte der Juden im Göttinger Raum.«

Restaurierung Nahezu alle der in Göttingen gezeigten Wimpel konnte das Museum konkreten Personen und Familien zuordnen, die meisten von ihnen lebten im südlichen Niedersachsen. Bis auf einen späteren Zukauf kam der vorgestellte Bestand vor 1917 in das Museum, versichert Museumsleiterin Rechenberg. Das befreie diese Tora-Wimpel von dem Verdacht, sie könnten den jüdischen Gemeinden durch das Nazi-Regime entrissen worden sein. Vor ihrer Präsentation in Göttingen wurden alle Tora-Wimpel der Sammlung zwei Jahre lang in Hamburg aufwendig restauriert.

Textil-Saniererin Ada Hinkel hat Knickstellen und Falten geglättet, Fehlstellen neu einfärbt und mit Stoff unterlegt. »Es war schwierig, so feines Leinen überhaupt zu finden«, sagt Hinkel. »Und eine weitere Herausforderung war, die Gebrauchsspuren auf den Wimpeln zu erhalten, denn es waren ja auch Gebrauchsgegenstände.« Mit der Ausstellung beteiligt sich das Museum Göttingen am Jubiläumsjahr »1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland«.

Hintergrund ist das Edikt des römischen Kaisers Konstantin vom 11. Dezember des Jahres 321. Es besagte, dass Juden städtische Ämter in den Kurien, den römischen Stadträten, bekleiden durften und sollten. »Wir sind stolz, mit dem fantastischen Bestand bei diesem Festjahr dabei sein zu können«, freut sich Göttingens Kulturdezernentin Petra Broistedt (SPD): »Unsere Tora-Wimpel-Sammlung zeigt, welche aktuelle Relevanz historische Zeugnisse haben können.«

Andrea Kiewel

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