Jugend

Generation Sha Sha

Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):

Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.

»Sha Sha«: Was ursprünglich als Gag auf Facebook begonnen hat, als Kurzform von »Shabbat Shalom«, ist seit einiger Zeit zum beliebten Schabbes-Gruß bei einer Generation junger Juden in Deutschland geworden und so etwas wie ihr Erkennungscode. Sie sind um die 20, ihre Eltern größtenteils Kontingentflüchtlinge, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Deutschland ausgewandert sind und hier Restaurants, kleine Unternehmen und Dienstleistungsfirmen aufgemacht haben, um den Kindern das Medizin- oder BWL-Studium zu finanzieren. Ein paar »eingesessene« deutsche Juden sind auch dabei, und dann noch Ex-DDR-Kinder, die ihre ganz eigene Last tragen. Man ist jung, weltoffen und weltgewandt, und irgendwie hungrig. Man kennt die Bedeutung des alten Spruchs »shwer tsu seyn a jid«, und hat trotzdem Spaß.

eigenes Natürlich ist Judesein in Deutschland immer noch nicht wirklich normal. Wer sich hinstellt und sagt »Ich bin jüdisch«, bekommt merkwürdige Dinge zu hören, auch von vermeintlich aufgeklärten Altersgenossen. »Du siehst ja echt gar nicht so aus.« »Wieso, du isst doch Schweinefleisch.« »Ich hör ja echt unheimlich gerne Klezmer.« Oder: »Wieso reduzierst du dich so?«

Nicht, dass man auf Ablehnung stoßen würde. Den meisten nicht jüdischen Freunden und Bekannten ist ziemlich egal, ob man Jude ist oder nicht. Integration funktioniert. Aber gerade deshalb hätte man auch gerne etwas nur für sich. Dann flüchtet man in die (Pop-)Kultur und klammert sich an Details. Wenn Krusty dem Clown in den Simpsons von seinem Rabbi-Vater gesagt wird »Du hattest keine Barmizwa, weil du a Schmock bist«, dann ist das nicht nur ganz allgemein ein guter Gag, sondern auch ein kleiner exklusiver Moment. Selbst eine ansonsten wertlose Sitcom wie Die Nanny wird durch authentische jüdische Details aufgewertet. »Ich versteh den Witz!«, denkt man. Und vielleicht auch: »Die anderen nicht.«

Denn ansonsten kommen jüdische Themen und Figuren in den Medien kaum vor. Stattdessen hört man Sätze wie: »Oh ja, jüdisches Leben, das haben wir in der Schule ganz ausführlich behandelt und uns ›Schindlers Liste‹ angesehen. Und zweimal in Sachsenhausen waren wir auch!«

Wenn das Sterben und Leid der eigenen Leute zum wertvollen Kulturgut erklärt und gleichzeitig fast jede Form des unabhängigen, selbstbewussten jüdischen Lebens mit der in Deutschland typischen Mischung aus aggressiver Indifferenz und höflicher Ignoranz behandelt wird, dann schlägt das schon aufs Gemüt. Was kann man da tun? Einfach trotzig weitermachen und versuchen, dieses mediale Repräsentationsvakuum selbst zu füllen: Schriftsteller und Regisseur ist ein ebenso erstrebenswerter Beruf wie Zahnarzt und Anwalt. Schließlich ist der Biller auch schon 50, und Dani Levy sollte auf Dauer nicht der einzige jüdische Filmemacher in Deutschland bleiben.

jerusalem-syndrom Und wenn der Groll doch zu groß wird, kann man ja immer noch nach Israel auswandern. Manche stehen zu 100 Prozent hinter dem Land, andere wünschen sich eine Zweistaatenlösung, es gibt sogar junge Juden, die Palituch tragen. Aber Israel so richtig schlecht finden, das möchte eigentlich niemand. Verdient hat man sich die Heimkehr ins Land der Väter sowieso, nicht nur, weil es das Chok ha-schwut gibt, das Rückkehrgesetz, sondern auch als Lohn für die unbezahlte Tätigkeit als Diplomat, zu der man in Deutschland gezwungen wird: »Was ihr mit den Palästinensern macht, ist echt nicht okay!« Dabei kennt man Zion doch selbst nur von Besuchen bei Großtanten und anderen Verwandten, aus Nachrichtenbildern und den begeisterten Erzählungen von Freunden, die scheinbar am Jerusalem-Syndrom leiden. Trotzdem wird man manchmal behandelt, als sei man im Zweitjob Offizier der israelischen Armee. Aber gleich Deutschland verlassen, nur wegen ein bisschen Ignoranz und Unverständnis scheint dann doch übertrieben und melodramatisch. Stattdessen ist man vernünftig und sucht sich seine Leute und ein bisschen jüdische Geborgenheit. Und wo könnte das besser gehen als in den Gemeinden?

Gemeindemief Aber da passt man auch nicht richtig hin. Nicht zu Leuten, die sich in neureichem Auftreten gegenseitig übertrumpfen, zu Rosch Haschana im teuersten Anzug, mit Goldkettchen und drei Blackberries in die Synagoge gehen. Und die sich mit großzügigen Spenden ein reines Gewissen erkaufen möchten, weil sie sich für ihren unrituellen Lebenswandel schämen. Da kann man auch gleich zu den Katholiken gehen. Wo ist der forschende und zweifelnde Geist des Judentums geblieben?

Das sind Probleme, die andere gerne hätten. Wer »nur« einen jüdischen Vater hat und im sowjetischen Pass deswegen »jevrej«, »Jude«, stehen hatte, mit allen negativen Konsequenzen, und der jetzt mit der Halacha und der Matrilinearität konfrontiert, plötzlich kein Jude mehr sein soll, fühlt sich noch heimatloser als zuvor. Sicher, man kann regulär über- und eintreten, Hebräisch lernen und die Gebote nicht nur kennen, sondern auch befolgen – kurz: einen Giur hinter sich bringen. Aber das hat man doch nicht nötig. Man ist ja schließlich schon jüdisch. Auch ohne blödes Bad.

Glauben light Judesein heißt das Album, Religion ist der Bonustrack. »Was soll ich mit der Kaschrut? Rausschmeißen geht doch eh nicht.« Oder, in der nicht nur genderpolitisch unkorrekten Version: »Da kann ich so viel Schwein essen, wie ich will, davon wächst meine Vorhaut auch nicht wieder an.« An den Hohen Feiertagen geht man selbstverständlich trotzdem in die Synagoge, und natürlich macht man aus Chanukka ein viel zu großes Ding, um gegen die Weihnachtsallmacht anzukommen. Ansonsten hat man die eigenen Synagogen: Cafés, Kinos, Clubs, Wohnzimmer. Denn was ist eine Synagoge denn anderes als ein Ort, an dem man sich versammelt – ein Ort, an dem man »wir« sagen kann?

Manchmal ist dieser Ort sogar wirklich die Schul. Man schüttelt Hände und wünscht allen Shabbat Shalom – in der Langfassung, ganz seriös und traditionell – und geht dann auf die Straße, nach draußen. Obwohl man natürlich selbst Teil dieses »Draußens« ist. Einen kurzen Moment lang, wenn man durch die Polizeisperren und Metalldetektoren läuft, während man die Kippa vom Kopf nimmt oder sich darüber ärgert, immer links sitzen zu müssen und noch nicht einmal mitsingen zu dürfen, denkt man: »Sha Sha«.

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