Als Elvis Presley am 21. Juni 1977 im gerade errichteten Rushmore Plaza Civic Center in Rapid City (South Dakota) auftrat, hatte er noch knapp zwei Monate zu leben. Sein Bauch hing etwas über den Gürtel, seine 70er-Jahre-Frisur war etwas zu perfekt zurechtgeföhnt und wirkte daher fast wie eine Perücke.
Besonders gesund sah er nicht aus, als er nach einer Fanfare die Bühne betrat, in seinem weißen Anzug mit Glitzer. Heute würde ein solcher Aufzug aufgesetzt bis skurril wirken. Vermutlich war es damals kaum anders. Der Künstler griff tief in seine recht umfangreiche Hitkiste.
Der 16. August 1977 war ein grauenvoller Tag. Elvis Presley sollte abends von Memphis nach Portland fliegen, um eine weitere Tour zu beginnen. Diese fand nie statt. Ginger Alden, seine Verlobte, fand ihn in seinem Badezimmer. Presley bewegte sich nicht und war nicht ansprechbar. Wenig später wurde der große Popstar für tot erklärt.

Gesicht der Popkultur
»Elvis Presley died today« hieß es in Nachrichtensendungen. Der Schock saß tief. Fans auf der ganzen Welt trauerten – und mit ihnen der Präsident: Jimmy Carter stellte sich vor die Kameras und sagte, Presley habe das Gesicht der amerikanischen Popkultur für immer verändert. Vor Graceland, dem Anwesen des Ausnahmetalents, versammelten sich trauernde Menschen.
Zur Trauer kamen Unverschämtheiten: Ein Cousin des Toten verkaufte ein Foto von Elvis’ Leiche für 18.000 Dollar an das Boulevard-Medium »National Enquirer«.
Dann, am Tag der Beerdigung, fuhr ein Auto in eine Gruppe trauernder Fans. Zwei junge Frauen starben. Zehntausende standen entlang der Route, auf der die sterblichen Überreste des Presleys zum Forest Hill Cemetary gebracht wurden. Dort wurde er neben seiner Mutter beigesetzt.
Versuchter Leichenraub
Das Unheil setzte sich fort und das Familiengrab sollte nicht die letzte Ruhestätte bleiben: Nachdem Unbekannte versucht hatten, Elvis’ Leiche zu stehlen, wurden er und seine Mutter exhumiert, um schließlich auf dem Graceland-Anwesen in einem Park erneut begraben zu werden.
Gut 42 Jahre zuvor müssen viele Sterne am Himmel geleuchtet haben, als Gladys Love Presley und ihr Gatte Vernon Presley am 8. Januar 1935 in Tupelo, einer Kleinstadt in Mississippi, einen Jungen bekamen. Sein Name: Elvis Aaron.
In der Schule war er nur durchschnittlich. Seine Begabung als Sänger und Show-Persönlichkeit fiel jedoch auf, als er 1945 im Alter von 10 Jahren immerhin den fünften Platz in einem Gesangswettbewerb belegte. Zum 11. Geburtstag bekam er eine Gitarre. Die Weichen waren gestellt.
Karriere »im Klo«
Das Gleis, auf dem er nun seinem späteren Ruhm entgegen fuhr, enthielt eines nicht: seine jüdische Identität. Nach Außen war zu seinen Lebzeiten nicht davon die Rede, dass Elvis Aaron Presley Jude war. Viel deutet aber darauf hin: Seine Ururgroßmutter Nancy Burdine war eine litauische Jüdin. Eine ihrer direkten Nachfahrinnen war seine Mutter Gladys Love, geborene Smith. Dies macht ihn zum Juden. Nachdem Mutter Gladys 1958 an Hepatitis gestorben war, ließ Elvis einen Grabstein anfertigen, auf dem sowohl ein Davidstern als auch ein Kreuz prangte.
In Tupelo, wo er aufwuchs, war es nicht einfach, Jude zu sein. Denn Antisemitismus war verbreitet. Dieser ging auch von lokalen Politikern aus. Gladys Love Presley hat ihren Sohn offenbar davor gewarnt, in der Öffentlichkeit über seine jüdische Herkunft zu sprechen. Dies hatte auch damit zu tun, dass selbst ihr eigener Ehemann, Elvis’ Vater Vernon Presley, Judenhasser gewesen sein soll.
Umgang mit anderen Juden hatte Elvis jedoch immer wieder, wie aus Recherchen jüdisch-amerikanischer Medien hervorgeht. Dazu gehörten der Produzent Bob Finkel, der Komponist Billy Goldenberg und der Regisseur Steve Binder. Dieser erklärte Elvis Presley im Jahr 1968, seine Karriere befinde sich »im Klo« und müsse dringend wiederbelebt werden – mit einem Fernseh-Special. So kam es dann.
Kette mit Chai-Symbol
Schon einige Jahre zuvor, in Memphis (Tennessee), wohin seine Familie aus Mississippi gezogen war, hatte der zukünftige Popstar viel mit einem Rabbiner namens Albert Fruchter zu tun, der an der Gründung einer jüdischen Schule arbeitete. Der Rabbi war sein Nachbar. Er machte ihn zum »Shabbos Goy«. Dies zeigt, dass selbst Fruchter möglicherweise nicht wusste, dass Presley halachisch Jude war – oder er war Teil des Geheimhaltungs-Gelübdes.
Drei seiner Schulfreunde, nämlich Alan Fortas, George Klein und Marty Lacker, waren Juden. Auch sie wussten offenbar nicht, dass ihr Freund Elvis auch in diesem Zusammenhang zu ihnen gehörte. Und dies trotz seines Zweitnamens Aaron, der allein schon Bände sprach. Obwohl Elvis Aaron Presley später sowohl einen Davidstern als auch ein Chai-Symbol in Gold um den Hals trug, blieb das Judentum des Musikers außen vor. In dem Museum, das heute an seinem Geburtsort Tupelo besucht werden kann, steht eine bescheidene Menorah, die ihm gehörte.
Bis heute wird der jüdische Aspekt weder auf Wiki, noch in großen Medien erwähnt. Lediglich jüdische Publikationen auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans – inklusive dieser Zeitung – rückten Elvis entsprechend ins Licht, während ihn andere Medien – wie etwa der britische »Guardian« – für einen »frommen Christen« halten, da er vor jedem Konzert Gott anbetete. Dies funktioniert allerdings auch als Jude, beziehungsweise als Sohn eines christlichen Vaters und einer jüdischen Mutter. Die Stammbaumsuche, in deren Rahmen Belege für Elvis’ Jüdischsein auftauchte, übernahm die Autorin Elaine Dundy, die Autorin des Buches Elvis and Gladys von 1985.
Folgende Frage stellt sich: Sollte Elvis Presley eventuell kein Jude sein, da weder sein Vater noch seine Umwelt damit zufrieden gewesen wären?
Entscheidender Moment
In Interviews erinnerte sich Elvis Presley an andere wichtige Aspekte seine Kindheit – darunter den Moment, in dem er sein erstes Instrument bekam: »Ich nahm die Gitarre in die Hand, beobachtete die Leute und brachte mir ein bisschen das Spielen bei. Aber ich würde niemals öffentlich singen. Ich war viel zu schüchtern.«
Dennoch bezahlte er mit 18 Jahren für Aufnahmen seiner Songs »My Happiness« und »That’s When Your Heartaches Begin«. Weder dieser Schritt, noch seine Vorsing-Termine bei zwei Musikgruppen führten zum Erfolg. Das Plattenlabel Sun Records rief ihn jedoch eines Tages an und bat ihn, Songs aufzunehmen. Der Funke wollte auch hier nicht so recht überspringen, bis die Instrumentalisten das Studio am späten Abend verlassen wollten.
In diesem Moment begann Elvis Presley, Arthur Crudup’s klassische Soul-Nummer »That’s All Right« anzustimmen. Er tanzte auf eine Art und Weise, die den Beteiligten in Erinnerung blieb. Sam Phillips, der Studio-Chef, hatte nun den Klang, den er wollte. Dieser Moment war der Beginn des Erfolges für seinen jüdischen Sänger, der aufgrund ähnlicher Tanzeinlagen später den Spitznamen »Elvis the Pelvis« (»Elvis, das Becken«) bekam.

»Pantheon des schlechten Geschmacks«
Elvis Presley war im Kindesalter durch Gospel stark beeinflusst worden. Sein Verhältnis zu schwarzen Kollegen war zumeist gut. Nachdem ihm ein rassistisches Zitat untergejubelt worden war, erklärte Presley: »Ich habe so etwas nie gesagt, und Leute, die mich kennen, wissen, dass ich das nie gesagt hätte. Viele scheinen zu glauben, ich hätte dieses Geschäft erfunden. Aber Rock ’n’ Roll gab es schon lange bevor ich auftauchte. Niemand kann diese Musik so singen wie schwarze Menschen. Seien wir ehrlich: Ich kann nicht so singen wie Fats Domino. Das weiß ich.«
Der Film »Elvis« von Baz Luhrmann, der 2022 in die Kinos kam und weiterhin auf Streaming-Plattformen präsent ist, beschreibt den Werdegang von Elvis eindrücklich, inklusive der Skandale, die im prüden Zeitalter der 1950er- und 60er-Jahre aufgrund seines Tanzstils hochkamen. Auch der musikalische Werdegang und die Ausbeutung des Künstlers durch seinen langjährigen, niederländischen Manager Tom Parker werden in dem Werk überzeugend dargestellt.
Bis zu seinem frühen Tod war Elvis fleißig und zumindest anfangs hoch motiviert. In der Zeit von 1956 bis 1977 entstanden 43 Studioalben sowie zahlreiche Live-Aufnahmen und einige Weihnachtsplatten. Ja, auch hier schlug das »Weihnachtsjuden«-Phänomen zu. Nach seinem Tod wurden weiterhin tonnenweise Alben von ihm veröffentlicht. Zumeist waren es Sampler mit seinen größten Hits.
Eigentliches Metier
Von »Rip It Up« und »Jailhouse Rock« bis hin zu »Suspicious Minds« oder »In the Ghetto«: Elvis hat ganze Arbeit geleistet. Zwischen seinen ersten Mega-Erfolgen und der über das Fernsehen erreichten Rennaissance seiner Karriere war er etwas zu viel als singender Schauspieler tätig, obwohl ihm diese Auftritte in Liebesschnulzen und anderen Streifen nicht besonders gut standen. Ein Kritiker nannte seine Filme gar den »Pantheon des schlechten Geschmacks«.
Mitten in der ersten Phase seines Erfolges wurde er von den Streitkräften einberufen. Kaum war er in der Kaserne in Fort Hood (Texas) angekommen, sagte er vor Journalisten, er freue sich auf den Wehrdienst und wolle nicht anders behandelt werden, als jeder andere Rekrut. Wenn er während des Trainings freie Tage hatte, nutze er diese für Aufnahmen in Nashville. Dann starb seine Mutter, was ihn schwer traf.
Im Herbst 1958 wurde er in einer US-Kaserne in Friedberg stationiert. Der deutsche Karatemeister Jürgen Seydel lehrte den Kampfsport-begeisterten Barden. Seinen Sold spendete Elvis für den guten Zweck. Zudem kaufte er Fernsehgeräte für seine Kaserne. In Bad Nauheim traf er 1960 die damals 14-jährige Priscilla Beaulieu. »The rest is history«, würden Amerikaner an dieser Stelle sagen. Am 2. März 1960 war der Armee-Spuk vorbei. Elvis konnte sich wieder ganz seinem eigentlichen Metier widmen.
»Helft mir nicht«
1966, acht Jahre nachdem er sie kennengelernt hatte, heiratete Elvis Presley seine Priscilla. Wenig später wurde ihre Tochter Lisa Marie Presley geboren.
Nach dem ersten Zenit seiner Karriere und den schlechten Filmen kam das Comeback auf der Bühne. Im Dezember 1970 wurde Presley vom zweitschlechtesten Präsidenten der Vereinigten Staaten, nämlich Richard Nixon, ins Weiße Haus eingeladen. Das Jahrzehnt, in dem Elvis nun lebte, war sein letztes. Viel ging nach hinten los, darunter seine Ehe mit Priscilla. Die Scheidung warf ihn aus der Bahn.
Sein Temperament erlitt Kurzschlüsse, die mit Medikamenten bekämpft wurden. Aufgrund all dieser Faktoren litt seine Gesundheit. Dies machte sich auch auf der Bühne bemerkbar. Und dahinter ebenfalls: »Er fiel aus der Limousine«, erinnerte sich Tony Brown, sein Keyboarder, Jahre später. »Er fiel auf die Knie. Leute sprangen auf und wollten ihm helfen. Aber er sagte nur: ›Helft mir nicht.‹ Dann, auf der Bühne, hielt er sich am Mikrofon fest, als wäre es eine Säule.«

Bestverdiener post-mortem
Ein Jahr vor seinem Tod waren selbst Aufnahmen zu viel für Elvis Presley. Er lernte Ginger Alden kennen, mit der er sich verlobte. Aber auf allen anderen Ebenen ging es abwärts. Presley sei »eine Karikatur seiner selbst«, schrieb Tony Scherman 1977 zu Recht. »Stark übergewichtig und geistig abgestumpft durch die tägliche Mischung an Medikamenten, die er einnahm, war er kaum noch in der Lage, sich durch seine verkürzten Konzerte zu schleppen.« Treffenderweise lautete der Titel von Elvis letzter Single »Way Down«.
Die Todesursache war wohl Übermedikation. In seinem Körper wurden 14 Medikamente nachgewiesen. Jahrzehnte später hieß es, ein massiver Herzinfarkt sei die tatsächliche Ursache gewesen. Vermutlich war es eine Mischung aus beidem, beziehungsweise führte das eine Problem wohl zum anderen.
Elvis lebt in gewisser Weise weiter – in seiner Musik. Graceland, sein Anwesen, wurde schon 1982 für den Publikumsverkehr geöffnet. Weiterhin werden seine Aufnahmen verkauft. In der englischsprachigen Welt klettern sie immer wieder die Charts hoch – Jahrzehnte nach den Original-Veröffentlichungsterminen. Laut »Forbes« war Elvis Presley noch im Jahr 2005, also 28 Jahre nach seinem Tod, der Bestverdiener unter allen verstorbenen Prominenten auf diesem Planeten, mit Einnahmen von 45 Millionen Dollar.
Michael Jackson und die Beatles
Elvis ist einer der Künstler mit den umfangreichsten Schallplattenverkäufen aller Zeiten. Nur die Beatles und Michael Jackson kamen an ihn heran. Bis heute verkaufte Elvis mehr als eine halbe Milliarde Platten und war als Schauspieler an 33 Filmen beteiligt.
Im Lauf seiner Karriere erhielt er 224 Ehrungen in Form von Preisen, darunter vier Grammys, einen davon für sein Lebenswerk. Für Preise nominiert wurde er insgesamt über 400-mal. Aber Elvis braucht keine Trophäen, um zu zeigen, wie gut oder erfolgreich er war und weiterhin ist.
Über den zweitprominentesten Juden auf der Welt, nämlich Elvis, gibt es viele skurril anmutende Geschichten, darunter diese: Er war besessen von Karate und trainierte jahrelang, doch den schwarzen Gürtel bekam er laut Experten vor allem wegen seiner Prominenz. Trotzdem baute er Karate-Moves in seine Bühnenchoreografie ein – inklusive der berühmten High-Kicks im Glitzeranzug.
»Fool’s Gold Loaf«
Elvis liebte nicht nur Karate und Cadillacs, sondern auch ausgefallene Sandwiches. Sein legendäres Lieblingsgericht war das »Fool’s Gold Loaf«: ein mit Erdnussbutter, Marmelade und Speck vollgestopftes Riesenbrot, das problemlos 8000 Kalorien zusammenbrachte und nicht wirklich koscher klingt.
Dennoch: Der »King« war und ist wohl einer von uns. Auch unabhängig davon ist er zudem einer jener Künstler, von denen wir wünschten, sie hätten weitaus länger gelebt und weniger gelitten.
»Imanuels Interpreten« ist eine Kolumne über jüdische Musiker von Imanuel Marcus. E-Mail: marcus@juedische-allgemeine.de