Billy Joel

Eine fränkisch-jüdische Geschichte

Ein Nürnberger Musikredakteur hat recherchiert, wie Billy Joels jüdische Familie aus Franken vor den Nazis fliehen musste. Foto: imago/PA Images

Ob Billy Joel am 9. Mai auch mal ein bisschen an Nürnberg denkt? Der US-amerikanische Sänger, Pianist und Songwriter wird an diesem Tag 70 Jahre alt. Der »Piano Man«, der mit Hits wie »Just the way you are« oder »Uptown Girl« zum Star wurde, ist in der New Yorker Bronx geboren – doch seine Wurzeln liegen in Mittelfranken. Sein Vater Helmut Joel, ein begeisterter Klavierspieler, kam 1923 in Nürnberg zur Welt.

Am Schicksal der Familie Joel spiegelt sich die Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung der Juden in Nazi-Deutschland. Der Nürnberger Journalist und Buchautor Steffen Radlmaier hat die Geschichte der Familie Mitte der 1990er-Jahre wieder entdeckt. Damals sei er bei seinen Recherchen Gerüchten gefolgt, nach denen die Ursprünge der jüdischen Familie in Franken liegen sollten, erklärt er.

NSDAP-Gauleiter Julius Streicher hetzte gegen Joels Großvater: »Wäschejude Joel«, nannte er ihn.

BETTWÄSCHE Billy Joels Großvater Karl Amson Joel kommt aus Colmberg und eröffnet 1928 in Nürnberg mit seiner Frau Meta einen Versandhandel für Textilien und Kleidung nach amerikanischem Vorbild. Er beginnt mit der Produktion von Bettwäsche sowie Stoff- und Meterware. Das Geschäft floriert. Im Laufe weniger Jahre arbeitet er sich zu einem der größten Unternehmern seiner Zunft hoch. Seine kleine Familie bezieht bald ein neues, nobleres Heim.

NSDAP-Gauleiter Frankens ist zu der Zeit Julius Streicher, Herausgeber der antisemitischen Wochenzeitung »Der Stürmer«. Er hetzt gegen Joel, »Wäschejude Joel« nennt er ihn.

Die Joels verlegen aufgrund des immer judenfeindlicher werdenden Umfelds in Nürnberg bereits 1934 den hauptsächlichen Geschäftsbetrieb nach Berlin, ein Jahr nach der Machtübernahme Hitlers. 160 Eisenbahnwaggons werden gebraucht, um Ware und Inventar umzusiedeln. 1936 mietet Karl Joel noch Geschäftsräume für eine Wäschemanufaktur in Nürnberg mit drei Fließbändern und 200 Nähmaschinen an.

NÄHEREI Im Jahr 1938, als die »Arisierung« voranschreitet und Juden das Leben und Arbeiten immer schwerer gemacht wird, verlassen die Joels ihre Heimat. Den Betrieb in Berlin und auch die Näherei und Wäschemanufaktur in Nürnberg müssen sie verkaufen – unter Zwang und weit unter Wert.

Der Versandhändler Josef Neckermann profitierte immens von der »Arisierung« des Betriebs – und brachte die Joels um ihr Geld.

Vier Millionen Reichsmark soll der Betrieb damals wert gewesen sein. Der Versandhändler Josef Neckermann erhält den Zuschlag, will vom ursprünglich vereinbarten Kaufpreis von 2,3 Millionen Reichsmark letztlich aber nur die Hälfte zahlen. Das Geld überweist Neckermann auf ein Treuhandkonto beim Bankhaus Hardy & Co. in Berlin und setzt sich selbst als Bevollmächtigten ein – die Joels sehen keinen Heller davon.

Die Familie flieht zunächst in die Schweiz, wo sie in einer Einzimmer-Wohnung wohnt, dann über Frankreich und England nach Kuba. Im Hafen von Havanna kommt es zum letzten Wiedersehen mit Karl Joels Bruder Leon, Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Ansbach. Er war auf der St. Louis, jenem Schiff voller jüdischer Flüchtlinge, denen erst Kuba, dann die USA die Einreise verweigern und die schließlich nach Europa zurückkehren müssen. Das letzte Lebenszeichen von Leon Joel und seiner Frau Johanna fand Steffen Radlmaier auf einer Liste eines Sammeltransports nach Auschwitz.

US-ARMY Karl Joel und seine Familie aber schaffen es, in die USA einreisen. Sie verkaufen von Hand produzierte Haarschleifen an Kaufhäuser. Karl nennt sich fortan Carl, Helmut Joel erhält den Vornamen Howard. 1943 wird er in die US-Army eingezogen und kommt nach dem Krieg sogar wieder kurz in die alte Heimat Nürnberg.

1964 ziehen Billy Joels Großeltern wieder nach Nürnberg zurück. Sie sind auf dem neuen jüdischen Friedhof in Nürnberg begraben.

1947 heiratet Helmut Billys Mutter Rosalind, die Billy auch zu seinem 1978 erschienenen Song »Rosalinda’s Eyes« inspirieren wird. Billy Joel selbst kommt 1949 als zweites Kind der beiden zur Welt. Der Vater verlässt die Familie, als Billy noch ein Kind ist, heiratet später erneut.

Den Großeltern Karl und Meta gelingt es 1959, nach einem jahrelangen Rechtsstreit von Josef Neckermann eine Entschädigung in Höhe von zwei Millionen D-Mark zu erstreiten. 1964 ziehen die beiden sogar wieder nach Nürnberg zurück – er mit 75, sie mit 71 Jahren. Sie sind gemeinsam mit Sohn Helmut, der 2011 starb, auf dem neuen jüdischen Friedhof in Nürnberg begraben.

WELTSTAR »Das Faszinierende an der Geschichte der Joels ist einmal ihre Beispielhaftigkeit, zum anderen ihre Vielschichtigkeit. Erschreckend sind die Parallelen zur aktuellen Flüchtlingsdebatte«, sagt Radlmaier. »Tröstlich ist, dass die Joel-Story trotz allem eine Art Happy End hat: Billy Joel ist ein nach wie vor erfolgreicher Weltstar, sein Halbbruder Alexander ein international gefragter Dirigent.«

Radlmaier hat Billy Joel mehrfach getroffen, das erste Mal 1995. Damals kam Joel nach Nürnberg, gemeinsam mit seinem Vater und seinem Halbbruder. In der Meistersingerhalle spielte er ein Gedenkkonzert »50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges«.

Seine Gage stiftete er: für die jüdische Gemeinde und für den Nürnberger Menschenrechtspreis.

Berlin

Margot Friedländer: Levit kämpft bei Deutschem Filmpreis mit Tränen

Beim Deutschen Filmpreis nutzt Igor Levit die Bühne, um der verstorbenen Holocaust-Zeugin Margot Friedländer zu gedenken. Dabei muss der Starpianist mehrmals um Fassung ringen. Im Saal wird es still

 09.05.2025

Porträt

Ein Jahrhundertleben

Tausende Schüler in Deutschland haben ihre Geschichte gehört, noch mit über 100 Jahren trat sie als Mahnerin auf. Margot Friedländer war als Holocaust-Zeitzeugin unermüdlich

von Verena Schmitt-Roschmann  09.05.2025

Nachruf

Trauer um Holocaust-Überlebende Margot Friedländer 

Mit fast 90 kehrte Margot Friedländer zurück nach Berlin, ins Land der Täter. Unermüdlich engagierte sich die Holocaust-Zeitzeugin für das Erinnern. Nun ist sie gestorben - ihre Worte bleiben

von Caroline Bock  09.05.2025

Antisemitismus

Kanye Wests Hitler-Song »WW3« ist Hit auf Spotify

Der Text ist voller Hitler-Verehrung, gleichzeitig behauptet der Musiker, er könne kein Antisemit sein, weil er schwarz sei

 09.05.2025

Interview

»Es gilt für mich eine Null-Toleranz-Politik gegen Antisemitismus«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer über seine erste Amtshandlung, seine Vorgängerin Claudia Roth und den Umgang mit der antisemitischen BDS-Bewegung

von Philipp Peyman Engel  09.05.2025

Julia Bernstein

»Nichts ist mehr wie zuvor«: Wie junge jüdische Münchner den 7. Oktober erleben

»Jüdisch oder gar israelisch zu sein, ist heute in Deutschland eine äußerst politische Angelegenheit oder gar für manche eine Provokation«, schreibt unsere Autorin

von Julia Bernstein  09.05.2025

Konzerte

Große Gefühle

Musiker des Israel Philharmonic Orchestra und der Münchner Philharmoniker spielen gemeinsam

von Katja Kraft  09.05.2025

New York

»Ich schlief zeitweise im Central Park«

»Transformers«-Star Shia LaBeouf erzählt von einem ungewöhnlichen Schlafplatz während der Proben für ein Theaterstück

 09.05.2025

Statistik

Dieser hebräische Jungenname bleibt der beliebteste in Deutschland

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat sich für ihre Erhebung die Daten deutscher Standesämter angeschaut

 08.05.2025