Nachruf

»Ein Engel in der Hölle«

Berthold Beitz (1913–2013) Foto: dpa

Nachruf

»Ein Engel in der Hölle«

Der Unternehmer, Mäzen und Judenretter Berthold Beitz starb wenige Wochen vor seinem 100. Geburtstag. Die Überlebenden halten sein Andenken aufrecht

von Torsten Haselbauer  05.08.2013 19:11 Uhr

»Was für ein Leben! Und was für eine Lebensleistung!« Das schrieb Altkanzler Helmut Schmidt kurz, knapp und vor allem treffend im Vorwort zur Berthold-Beitz-Biografie von Joachim Käppner. Der frühere Krupp-Chef Berthold Beitz ist am Dienstag der vergangenen Woche gestorben. Der Vorsitzende des Kuratoriums der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung, Unternehmer, kritischer Sportfunktionär, großzügiger Mäzen von Kunst und Wissenschaft und Retter von vielen Juden wurde 99 Jahre alt.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, würdigte den Mut und die Mitmenschlichkeit von Berthold Beitz während der Nazizeit, die für immer unvergessen bleiben: »Dass er damals gemeinsam mit seiner Frau sich selbst in Gefahr begab, um jüdische Menschen vor dem sicheren Tod zu retten – das bleibt für uns Juden für alle Zeit seine überragende Lebensleistung.« Zu Recht habe Beitz mit seiner Frau daher wichtige jüdische Auszeichnungen erhalten: Sie wurden von Yad Vashem zu »Gerechten unter den Völkern« ernannt und bekamen den höchsten Preis des Zentralrats der Juden, den Leo-Baeck-Preis.

»Berthold Beitz war ein Licht und ein Vorbild in der mörderischen Finsternis der Nazizeit«, so Graumann weiter. Mit seinem Handeln habe er gezeigt, dass man auch in jener Zeit sehr wohl menschlich bleiben konnte, sofern man wirklich wollte. »Die Erinnerung an Berthold Beitz werden wir Juden daher immer in unseren Herzen tragen.«

Auch die Botschaft des Staates Israel in Berlin hat sich der tiefen Trauer um Berthold Beitz angeschlossen. Sie betonte noch einmal das außergewöhnlich couragierte Handeln und die enorme Hilfsbereitschaft dieses großen Mannes.

kriegswichtig Berthold Beitz, 1913 in Vorpommern geboren, wurde im Alter von gerade einmal 27 Jahren als Erdölmanager von der Hamburger Shell in das von der Wehrmacht besetzte Galizien entsendet, in das ostpolnische Städtchen Boryslaw. Ein Ort nahe Lemberg in der heutigen Ukraine, der seit dem 14. Jahrhundert nachhaltig geprägt war von der jüdischen Schtetl-Kultur. Beitz war als kaufmännischer Leiter der Karpaten-Öl AG eingesetzt, einem für die Nazis kriegswichtigen Unternehmen. Beitz zeigte sich für rund 13.000 Arbeiter verantwortlich, aber auch für den hier produzierten und für die Wehrmacht so kriegswichtigen Treibstoff.

Im besetzten Boryslaw aber stand nicht nur die Förderung des Rohstoffs im Vordergrund. Auch hier ging es den Nazis um ihre Menschenvernichtungspolitik. Eine Ideologie, zu der der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Beitz eine standhafte Distanz pflegte. Beitz trat weder der NSDAP noch einer ihrer Organisationen bei. »Er mochte die Nazis überhaupt nicht, sie störten sein eher unpolitisches, positives Lebensgefühl«, wie sein Biograf Joachim Käppner in dem 2011 erschienenen Buch Berthold Beitz gegenüber der Jüdischen Allgemeinen erläuterte.

selbstsicher Zwischen 1942 und 1944 nutzte der Unternehmer seine berufliche Stellung, um zahlreichen Juden das Leben zu retten. Wiederholt schritt der große, selbstsicher auftretende Mann den kleinen Bahnhof von Boryslaw ab, wo in den Zugwaggons Juden auf dem Abtransport in die Vernichtungslager warteten. Beitz verlas dort die Namen seiner Fabrikarbeiter, die er als unabkömmliche Rüstungsarbeiter reklamierte und sie damit vor der Deportation bewahrte. »Alle Beteiligten verhielten sich damals so, als sei es normal, am helllichten Tag eine Jüdin zu erschießen, während ihr kleines Kind daneben stand«, erinnerte sich Beitz in einem Gespräch mit seinem Biografen Käppner an diese Zeit in Boryslaw. Bis zu 1200 Juden soll Beitz als »Rüstungsarbeiter« in seiner Firma beschäftigt und damit vor der Deportation gerettet haben.

»Als ob ein Engel in die Hölle kam«, beschrieb es später einer der Überlebenden. Beitz aber tat noch mehr. Er und seine Frau Else versteckten jüdische Kinder in ihrem Haus, und in einer Art Pakt mit dem Teufel manipulierte er sogar den SS-Statthalter von Boryslaw, um weitere Menschen vor der Mordmaschinerie der Nazis in Sicherheit zu bringen.

Wiedersehen »Es war die Stimme seines Gewissens, die ihn motivierte«, so erklärt es der Beitz-Biograf Käppner. Nach dem Krieg machte Beitz schnell Karriere. Zunächst als Vorstand in einer großen Versicherungsfirma, dann als Generalbevollmächtigter des Stahlkonzerns Krupp. Er formte das Unternehmen zu einem modernen Konzern und zahlte als einer der Ersten im Jahr 1959 Entschädigungen an Zwangsarbeiter. Zu zahlreichen von ihm und seiner Frau geretteten Juden und deren Nachkommen hielten er und seine Frau stetigen Kontakt. Noch im April dieses Jahres traf Jurek Rotenberg in der Alten Synagoge Essen seinen Retter. Der heute 84-jährige Israeli verdankt Beitz nichts Geringeres als sein Leben, da Beitz dem damals 14-Jährigen und seiner Familie Dokumente ausstellte, die sie als »unverzichtbar« auswiesen.

»Beitz sah, dass etwas nicht in Ordnung war. Er war mutig genug, den Leuten zu helfen, aber er war allein. Für uns war er ein Held. Wenn er nicht da war, waren wir ohne Vater und wussten nicht, was wir machen sollten. Herr Beitz hat uns geholfen, unsere Würde und die der anderen Kollegen – sowohl der jüdischen als auch der nichtjüdischen – zu bewahren«, erinnerte sich der heute in Haifa lebende Rotenberg beim Wiedersehen in Essen.

gewissen Nie sprach Beitz nach dem Krieg öffentlich über die Zeit in Boryslaw. »Aber es fragte ihn auch niemand nach seiner Vergangenheit. Kein Wunder, denn er war ja das personifizierte schlechte Gewissen«, erläutert sein Biograf. Als er sich in den 50er-Jahren mit den Mächtigen in Moskau und Warschau traf und die Ostpolitik vorwegnahm, zweifelte Kanzler Adenauer an seiner »nationalen Zuverlässigkeit«.

Selbst als Berthold Beitz am 3. Oktober 1973 in Yad Vashem die Auszeichnung »Gerechter unter den Völkern« bekam, regte sich Widerstand – auch von jüdischer Seite. Der Unternehmer sollte als einer der ersten formalen Vertreter der Besatzungsmacht geehrt werden. Das passte so manchem überhaupt nicht. Die Gegner argumentierten, das Hauptmotiv des früheren Direktors der Karpaten-Öl AG in Boryslaw sei die Steigerung der Produktionskapazitäten der deutschen Rüstungsindustrie gewesen. Eine israelische Kommission konnte diese Vorbehalte jedoch ausnahmslos ausräumen, bevor sie Beitz (und später dann im Februar 2006 seiner Frau Else) die verdiente Ehrung zukommen ließ.

Yad Vashem spricht in der Mitteilung zum Tod von Berthold Beitz von »einem engen Freund, der außergewöhnliche Risiken eingegangen ist, um Juden zu schützen und vor dem Holocaust zu retten«. Die dank des Einsatzes von Beitz zahlreichen Schoa-Überlebenden und ihre Nachkommen »sind ein Beweis für seinen Mut und sein Heldentum«, heißt es in der Erklärung von Yad Vashem.

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