Das Albumcover zeigt die Violinistin Esther Abrami selbstbewusst in Pose – mit nackten Beinen und Stöckelschuhen. »Women« ist auch eine Ehrung ihrer Großmutter, die sich nach der Hochzeit keine musikalische Laufbahn erlauben konnte und ihre erste Violine später der Enkeltochter in die Arme legte. Die ließ sich glücklicherweise nicht von einer Karriere abhalten. Im Gegenteil: Die 28-jährige Französin ist nicht nur Musikerin, sondern macht auf TikTok und anderen Social-Media-Kanälen Klassik populär. Inzwischen hat sie Hunderttausende Follower.
Ihr Debüt-Album »Esther Abrami« erschien 2022, mit ihrem jüngsten Werk »Women« würdigt sie 14 Komponistinnen, zu denen sie eine besondere Beziehung spürt. Wie Ilse Weber (1903–1944): Mit zittrigem Ton interpretiert Abrami die letzte Strophe des Wiegenlieds »Wiegala« der Sängerin und Liedermacherin, die im Ghetto Theresienstadt im Kinderkrankenhaus arbeitete. Als mehrere Kinder nach Auschwitz deportiert wurden, ging sie freiwillig mit. Wie diese jungen Menschen und Weber wurde auch der Urgroßvater von Esther Abrami im größten Vernichtungslager der Nazis ermordet.
Die insgesamt 16 für »Women« eingespielten Werke stammen aus unterschiedlichen Epochen und Genres, die Komponistinnen unter anderem aus Brasilien, Japan, den USA, Tschechien und Venezuela. Es sind etliche Neuentdeckungen darunter. Das älteste Werk hat Hildegard von Bingen (1098–1179) geschrieben, eine der ersten identifizierbaren Komponistinnen in der Geschichte der westlichen Musik. Mit »Flowers« ist aber auch die Popsängerin Miley Cyrus vertreten.
Abrami scheute sich nicht, ungewöhnliche Stücke zu kombinieren
Abrami scheute sich nicht, ungewöhnliche Stücke zu kombinieren – etwa einen Walzer der japanischen Musikerin Yoko Shimomura aus einem Videospiel mit neuen Werken der Filmkomponistinnen Rachel Portman und Anne Dudley sowie eher historische Werke wie die von Pauline Viardot-Garcia (1821–1910), Chiquinha Gonzaga (1847–1935) und Teresa Carreño (1853–1917).
Viele Stücke hat die Violonistin selbst bearbeitet und arrangiert, wobei sie sehr viel Wert auf lange Bögen und Melodien legt. Das macht Esther Abrami sehr geschickt – und so entsteht aus dem Potpourri ein homogenes Album. Auch den »March of the Women« von Ethel Smyth, einer führenden Figur der Suffragettenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts, hat sie bearbeitet und die Originalstimme von Ethel Smyth mit eingebaut – was das Hörerlebnis allerdings stört. Mit Abramis eigener Komposition »Transmission« klingt das Album aus.
So zeigt sich erneut: Die Klassik-Influencerin spielt nicht nur hervorragend Geige und beweist bei Recherchen zu neuen Themen viel Ausdauer und Geduld, sondern es liegt ihr auch, zu arrangieren und zu komponieren.
Esther Abrami: »Women«. Sony Classical, 2025, 61 Minuten, 19,90 €