Berlin

Die große Tuvia-Tenenbom-Show

Tuvia Tenenbom in der Volksbühne: »I love you« Foto: Gregor Zielke

Was passiert, wenn man einem Theatermann eine Bühne gibt? Er inszeniert eine Show. Die Volksbühne Berlin hatte am Donnerstagabend zur Diskussion geladen. »Wie antisemitisch ist Deutschland?«, lautete die Frage aus Anlass von Tuvia Tenenboms Allein unter Deutschen. Der Große Saal der Volksbühne war voll, und das trotz harter Konkurrenz – immerhin war zeitgleich Berlinale-Eröffnung.

Zur Einstimmung lasen die Schauspieler Kathrin Angerer und Bernhard Schütz das 18. Kapitel von Allein unter Deutschen vor, das im türkisch-muslimisch geprägten Duisburger Stadtteil Marxloh spielt. Nach dem Prolog kam dann das eigentliche Stück, die Podiumsdiskussion. Auftritt der Darsteller: Rafael Seligmann, Buchautor, Berliner Boulevardblattkolumnist und »Jewish Voice from Germany«, wie auch die von ihm herausgegebene Vierteljahrespublikation heißt.

Star Christoph Dieckmann, Ossi, preisgekrönter »Zeit«-Reporter, studierter Theologe und manchen noch ungut in Erinnerung für eine vor ein paar Jahren in seinem Blatt veröffentlichten Auschwitz-Reportage, in der es unter anderem hieß: »Israels Erwählungshybris ist ein Fluch.« Als Moderator Jörg Thadeusz, bekannt aus Funk und Fernsehen – »Dickes B« im rbb, »Straßenstars« im Hessischer Rundfunk, »Die Küste umsonst« im NDR und als Experte für Judenfragen bislang angenehmerweise noch nicht hervorgetreten. Last und, wie sich bald herausstellen sollte, alles andere als least, Tuvia Tenenbom.

Es folgte – nein, zum Glück keine Diskussion. Stattdessen gab Tuvia Tenenbom eine hochamüsante Einpersonen-Ego-Show. Er echauffierte sich über deutsche Intellektuelle, die alle verfügbare Geisteskraft mobilisieren, um das Offensichtliche zu negieren, nämlich den Antisemitismus ihrer Landsleute. Vor allem Juliane Wetzel bekam ihr Fett ab. Die Wissenschaftlerin am »Zentrum für Antisemitismusforschung« sitze in ihrer Bücherstube und habe keine Ahnung von der Wirklichkeit, während er, Tenenbom, auf der Straße und in Kneipen dem deutschen Volk aufs Maul geschaut habe.

Man erfuhr an diesem Abend auch einiges, das aus juristischen Gründen nicht im Buch steht. Etwa, dass – behauptet Tenenbom zumindest – der sächsische Ministerpräsident Stanislav Tillich zu ihm gesagt habe, der eigentliche Grund für den Nahostkonflikt sei, dass die Israelis so gern im Toten Meer baden, und dass die Gründung eines Palästinenserstaates längere Anfahrtswege dorthin zur Folge haben würde. Oder dass der bayerische Innenminister Joachim Herrmann statt über Israel und Juden lieber über seinen Bierkonsum gesprochen habe.

körpereinsatz Das und vieles andere brachte Tenenbom nach allen Regeln der Schauspielkunst dar, stets mit vollem Körpereinsatz dem Publikum und den Nachbarn im Podium zugewandt, mal sitzend, mal aufspringend und hin- und herlaufend. Er beherrschte die Bühne und genoss das sichtbar.

Den Anderen blieben da nur Statistenrollen. Rafael Seligmann meinte, alles sei noch viel schlimmer, als von Tenenbom beschrieben, und appellierte pastorenartig an die allgemeine Mitmenschlichkeit. Christoph Dieckmann monierte die mangelnde Ernsthaftigkeit dieser und der Broder-Augstein-Debatte, und bestand im Übrigen darauf, dass er der bessere Reporter sei. Aber das ging unter.

Tenenbom usurpierte sogar, als er nach einer Dreiviertelstunde keine Lust mehr hatte, von Jörg Thadeusz dessen Moderatorenrolle, erklärte die Veranstaltung für beendet und bedankte sich beim Publikum als hätte er einen Oscar gewonnen: »I love you«. Schluss der Vorstellung.

Und welche Erkenntnisse nahm man von diesem Abend mit? Keine über deutschen Antisemitismus. Aber über den ist eh längst alles gesagt. Dafür hatten die Zuschauer einen lustigen Abend. Selten ist in der vom Casdorffschen Regietheater dominierten Volksbühne ein so amüsantes Stück gegeben worden.

Einen ausführlichen Bericht können Sie in unserer nächsten Printausgabe am 14. Februar lesen.

TV-Tipp

Das Schweigen hinter dem Schweinderl

»Robert Lembke - Wer bin ich« ist ein kluger Film über Verdrängung, Volksbildung und das Schweigen einer TV-Legende über die eigene Vergangenheit. Nur Günther Jauch stört ein wenig

von Steffen Grimberg  08.06.2025

Dortmund

Jachad Köln und Kavanah Aachen gewinnen die Jewro 2025

Den zweiten Platz belegt JuJuBa, Amichai aus Frankfurt ist Drittplatzierter

von Katrin Richter  08.06.2025

Jerusalem

»The German«: Masucci drehte während des Kriegs

Für die Dreharbeiten der Serie hat sich Schauspieler Oliver Masucci in Israel aufgehalten

 08.06.2025

Dortmund

Herzen in der Halle

Die erste Hälfte der Jewrovision zeigte, was in den Jugendzentren steckt

von Katrin Richter  08.06.2025

Jewrovision

Los geht’s

In Dortmund treffen sich über 1200 Jugendliche zum Gesangs- und Tanzwettbewerb unter dem Motto »United in Hearts«

von Katrin Richter  08.06.2025

Interview

»Es findet ein Genozid statt« – »Israel muss sich wehren«

Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad über ihre langjährige Freundschaft, was sie verbindet – und was sie nach dem 7. Oktober 2023 trennt

von Philipp Peyman Engel  08.06.2025 Aktualisiert

Rheinland-Pfalz

»Aus Beutebeständen« - NS-Raubgut in rheinland-pfälzischen Museen

Viele kleine Museen in Rheinland-Pfalz haben bisher nicht danach geforscht, ob NS-Raubgut in ihrem Besitz ist. In den Sammlungen von vier dieser mehr als 400 Museen sah eine Kunsthistorikerin nun genauer nach

von Norbert Demuth  06.06.2025

Medien

Deutschlands Oberlehrer

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? In diesen Tagen scheint die Diffamierung Israels oberste Bürgerpflicht zu sein. Ein Kommentar

von Michael Thaidigsmann  06.06.2025 Aktualisiert

Berlin

Dokumentarfilm »Don’t Call It Heimweh« über Margot Friedländer

Die Dokumentation von Regisseur Thomas Halaczinsky zeigt Friedländers erste Reise aus New York nach Berlin im Jahre 2003. Es war ihre erste Fahrt in die Heimatstadt nach 60 Jahren

 05.06.2025