Glosse

Der Rest der Welt

Foto: Getty Images

Wie feiert man Purim trotz Krieg? Die Stadtverwaltung von Jerusalem hat sich etwas einfallen lassen: Die erste »Adlojada«-Parade seit 42 Jahren startet an Schuschan Purim, dem 25. März. Wer es nicht wusste: Das ist der Tag, an dem das Fest in ummauerten Städten gefeiert wird, alle anderen Juden betrinken sich einen Tag früher.

»Adlojada« wiederum ist eine Mizwa und bedeutet: Hochprozentiges, bis der Konsument nicht mehr unterscheiden kann zwischen Haman und Mordechai. Oder in Jerusalem zwischen Feuerwehrmann Sam, Janusz Korczak und einem Känguru – besagte Kostüme wurden in israelischen Medien angekündigt. Ein Glück, dass ich erst nächste Woche nach Israel fahre und dem Spektakel zwischen Zionsplatz und der »Maschbir Plaza« entgehe.

Ganz ehrlich: Purim hat mir gerade noch gefehlt. Das letzte Mal war ich an Simchat Tora in der Synagoge – am 7. Oktober. Fünfeinhalb Monate später am selben Ort mit einer Rassel zu sitzen, bei Haman an die Hamas zu denken und dabei noch gute Laune zu versprühen – diesen Twist schaffe ich einfach nicht. Außerdem habe ich keinen Bock auf die Esther-Megilla. Schon in der Antike war es angesagt, Opferzahlen zu übertreiben – laut Text sollten die Juden sich an ihren Feinden gerächt haben, indem sie 75.000 Perser umbrachten. Für diese Zahl gibt es bis heute keine unabhängige Bestätigung. Darauf einen Manischewitz? Ohne mich!

»Adlojada« bedeutet: Hochprozentiges, bis der Konsument nicht mehr unterscheiden kann zwischen Haman und Mordechai.

Nein, ich will keinem den Spaß verderben. Alle sollen feiern, sich »Adlojada« die Kante geben und die Antisemiten für ein paar Stunden vergessen. Niemand hat das Recht, den Juden eine Party zu vermiesen. Aber ich kann einfach nicht fröhlich sein. Und verkleiden will ich mich auch nicht. Außer vielleicht als Tarnkappe. Ist gerade das Lieblingskostüm vieler Juden – am liebsten wären wir unsichtbar.

Ich gebe zu, mich hat das Symptom auch schon befallen. Vor ein paar Monaten hat mich ein Antisemit angerufen. Der rief in den Hörer: »Deutsche, wehrt euch, kauft nicht bei Juden!« und legte wieder auf. Nach dem 7. Oktober meldete sich ein anderer Typ am Telefon und behauptete, an unser Haus würden Parolen geschmiert (was aber nicht stimmte). Dann wurde Lahav Shapira zusammengeschlagen.

Jetzt habe ich mich aus dem Telefonbuch streichen lassen. Und mich bei dem Gedanken ertappt, mein Sohn möge eine Nichtjüdin heiraten, damit meine Enkel keinen Ärger haben … Diese tolle Idee kam mir ausgerechnet während einer Vorstellung von Anatevka! Was hätte Tevje bloß dazu gesagt? »Tradition!« Kein Judentum ist natürlich auch keine Lösung, genauso wenig wie Purim ohne Alkohol. Aber was dann?

Leider habe ich keine Ahnung. Vielleicht wissen es die anderen Juden? Gemeinschaft soll angeblich helfen. Vielleicht gehe ich an Purim doch in die Synagoge. Nur zum Kiddusch, ohne Megilla und ohne Verkleidung. Ich gehe einfach als ich selbst! Ist doch immer noch besser als mit Tarnkappe. Und wenn die Geiseln endlich befreit sind, gehe ich auch wieder auf eine jüdische Party. Es muss ja nicht unbedingt Purim sein.

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Glosse

Das kleine Glück

Was unsere Autorin Andrea Kiewel mit den Produkten der Berliner Bäckerei »Zeit für Brot« in Tel Aviv vereint

von Andrea Kiewel  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Ab jetzt nur noch mit Print-Abo oder Es gibt viele Gründe, auf 2026 anzustoßen

von Katrin Richter  20.12.2025