Musik

Der perfekte Musiker?

Als anständiger Mittelklassejunge war er entsetzt über Musiker, die auf der Bühne ihre Gitarre zerstörten: Neil Diamond Foto: picture alliance / AP Photo

Die Neueinspielung alter Hits von und mit Neil Diamond war eines der am meisten erwarteten Alben der letzten Zeit. Nun ist es kürzlich, passend zum 80. Geburtstag des Musikers, unter dem Titel Diamond Classics erschienen, und natürlich ist »I am … I said« drauf, »I’m a Believer« natürlich auch, »September Morn’«, »Song Sung Blue« und »Beautiful Noise« ebenfalls, und »Sweet Caroline« sowieso. Dass Diamond seine alten Sachen gemeinsam mit dem London Symphony Orchestra eingespielt hat, macht das Album genauso perfekt wie der Umstand, dass dies in den alten Beatles-Studios »Abbey Road« geschah.

Neil Diamond ist ein perfekter Musiker, und das weiß er auch. Was der Mann aber wohl nicht so recht an sich heranlässt, ist die Erkenntnis, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem exzellenten Handwerker und dem genialen Künstler.

Show Mit seiner neuen CD hat er, so sieht er es selbst, wieder einmal alles richtig gemacht. In einem aktuellen »Forbes«-Interview beharrt er darauf, dass sich diese Songs ganz neu, ganz anders anhören. Für alle anderen, die seine Einschätzung, er ändere bei jeder Show und jedem Album das Arrangement, nicht gelesen haben, hört sich »I’m a Believer« allerdings an wie »I’m a Believer«, immer der gleiche Sound.

Ihm fehle das Leidenschaftliche, das Genialische, heißt es oft über Neil Diamond.

Einer wie Diamond hat allen Grund, auf sein Werk und seine Lebensleistung stolz zu sein. Da irritiert sein einzigartiges Selbstbewusstsein; ebenfalls im besagten Forbes-Interview berichtet der Mann, der sich eigentlich vor drei Jahren wegen einer Parkinson-Erkrankung zurückziehen wollte (er spielt aber dennoch weiter), dass er einmal »Song Sung Blue« erneut hörte und sich dachte: »Warte, das ist ein Mozart-Lied, das ist keine Melodie, die ich erfunden habe.«

Ihm und Mozart sei unabhängig voneinander diese Melodie eingefallen. Dieses, sagen wir: gesunde, Selbstbewusstsein hat Diamond schon lange. »Ich träume nicht davon, George Gershwin zu sein«, hatte er in den 70er-Jahren einmal erzählt. »Ich träume davon, Beethoven, Tschaikowsky und Robert Frost zu sein. So viel glaube ich nämlich, musikalisch leisten zu können.«

anfänge Neil Diamond ging zusammen mit Barbra Streisand in Brooklyn zur Schule, aber es war nicht die mit ihm nicht befreundete Streisand, die in ihm den Künstler weckte, sondern einer, auf den man nicht sofort tippen würde: Pete Seeger, der linke Folksänger, gab einmal ein Konzert für jüdische Jugendliche, und Neil Diamond war angefixt. Er wollte Songwriter werden. Er wurde es, aber zunächst für andere, und auch das nicht erfolgreich. Doch er schrieb und schrieb und wurde zum immer sichereren Techniker in Sachen Musik- und Texthandwerk.

Erst 1966, da brach die New Yorker Folkszene um Pete Seeger, Joan Baez und Bob Dylan schon auseinander, unterzeichnete Diamond seinen ersten Plattenvertrag. »Solitary Man« war auf dem ersten Album. Das war in seiner Interpretation ein braver Song, vorgetragen von einem anständigen Mittelklassejungen; was man aus diesem Song machen kann, hat später Johnny Cash gezeigt. Wenn Diamond manchmal im Vorprogramm von »The Who« auftrat, war er entsetzt, miterleben zu müssen, dass Pete Townshend am Ende des Konzerts seine Gitarre zerstörte.

erfolg Mit »Sweet Caroline« (1969) wurde Neil Diamond zum Weltstar. Da war er 28 Jahre alt, und schon drei Jahre später, 1972, sagte er bei einem Konzert: »Ich bin nicht des Geldes wegen hier. Ich habe genug Geld. Ich bin hier, weil ich Ihre Liebe brauche.« Damit hat Diamond einen Punkt getroffen. Er gilt als nett, seine Songs als eingängig, alles ist perfekt, aber immer wieder wird gesagt, es fehlt das Leidenschaftliche, die Liebe, das Genialische. Die ersten Hits, die er hatte, wollte er festhalten, und er hielt sie fest, indem er sie seither stets variierte.

Man weiß, wie Diamond sich abmühte, wie er für und mit großen Künstlern arbeitete, aber es blieb immer der freundliche Mister Diamond mit dem immer gleichen Sound. Dass seine Songs doch alle sehr ähnlich sind, haben Kritiker auch musikwissenschaftlich formuliert: »Er konstruierte seine introspektiven Klänge immer wieder mit den Grundharmonien und Basisrhythmen seines Ersthits ›Solitary Man‹«, heißt es im Neuen Rock-Lexikon von Rowohlt.

dylan Einmal, 1978, war Diamond eingeladen zu einem besonderen rockhistorischen Ereignis: »The Last Waltz«, das legendäre Abschiedskonzert von »The Band«. Die Gruppe hatte die ganz Großen geladen, mit denen sie zusammengearbeitet hatte: Muddy Waters, Neil Young, Joni Mitchell, Bob Dylan – und auch Neil Diamond. Um dessen Teilnahme gab es Ärger, denn er hatte nie mit »The Band« zusammen gespielt, und zudem nahm er sogar der Blueslegende Muddy Waters Bühnenzeit weg.

Für Diamond aber war es eine Chance, es allen zu zeigen. Nach seinem Auftritt ging er zu Bob Dylan und sagte: »Beat that!«, mach das mal besser! Dylans Antwort: »Waddaya want me to do? Go on stage and fall asleep?« Soll ich etwa auf die Bühne gehen und einschlafen?

Es scheint, als hätte sich Diamond irgendwann damit arrangiert, nicht als Genie in die Musikgeschichte einzugehen. 1986 gab er im New Yorker Madison Square Garden acht Konzerte hintereinander, insgesamt 120.000 Besucher, eine Rekordzahl, und er verkündete: »Ich bin glücklich, dass die Leute meinen, ein Musiker über 40 habe noch eine Existenzberechtigung.«

CHABAD In dieser Zeit nahm er auch an den großen »Chabad Telethons« teil, wo jüdische und nichtjüdische Prominenz zum Spenden für soziale Zwecke aufruft. Zu diesen und anderen Anlässen präsentierte er sich als hochprofessioneller Showman und Performer. Perfekt, wie man es von ihm erwarten darf.

Als er 1980 für seinen Auftritt in dem Film The Jazz Singer nur Verrisse kassierte, offenbarte sich zum ersten Mal etwas Brüchiges, etwas Verletzliches bei Neil Diamond. Das kann damit zusammenhängen, dass er sich im Film und vor allem im Soundtrack erstmals in seiner künstlerischen Laufbahn mit seinem Judentum auseinandersetzte und die perfekte Glätte seiner sonstigen Werke verließ. Ein Kritiker schrieb: »Wer außer diesem jüdischen Elvis könnte mit einem Album, auf dem auch das Kol Nidre ist, Multiplatin bekommen?«

Vielleicht blitzte hier auf, dass in diesem »jüdischen Cowboy« (»New York Times«) wirklich ein Großer steckt. Leider war es doch nur ein Aufblitzen. Seine neue CD Diamond Classics ist nämlich wieder perfekt geworden.

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025