Nachruf auf Seymour Stein

Der Mann mit Schellack in den Venen

Ein Schwergewicht im Musikbusiness ist tot. Bereits am Sonntag starb Seymour Stein im Alter von 80 Jahren in Los Angeles an Krebs, wie nun bekannt wurde. Während seiner Karriere als Produzent und Plattenlabel-Chef arbeitete er mit einigen der ganz großen Pop-Künstler.

Im Jahr 1966 war Lyndon B. Johnson Präsident, der Vietnamkrieg tobte, die Chicago Bulls wurden endlich Teil der National Basketball Association, John Lennon stellte in einem Interview fest, die Beatles seien nun »populärer als Jesus« – eine Aussage, für die er sich später entschuldigte, und Walt Disney starb, während er das »Dschungelbuch« produzierte.

Im Vergleich zu diesen und anderen Ereignissen des Jahres war die Veröffentlichung der Single »Shy Guy« der Band Marvin Holmes and the Uptights eher unbedeutend, auch da niemand wusste, dass sie der Startschuss einer beispiellosen Karriere im Musikbusiness war.

Startschuss »Shy Guy«, ein Song mit grandiosen weiblichen Soul-Stimmen, einer Riesenportion Rhythmus und einer prominenten Bläsersektion war energetisch und mitreißend. Zugleich war das Lied eine Premiere für den damals 24-jährigen Seymour Stein: Mit »Shy Guy«, der er beim besten Willen nicht war, wurde er erstmals Produzent. Dieser Song war der Startschuss.

De facto definierte er den Sound der 80er-Jahre, den Hunderte Millionen Fans in der ganzen Welt aufnahmen.

Es dauerte nicht lange, bis namhafte Interpreten bei Seymour Stein Schlange standen. Phyllis Newmans Version des Hits »Those Were The Days« mag nicht ganz so populär gewesen sein wie die ihrer Kollegin Mary Hopkins, aber der junge jüdische Produzent steigerte sich Schritt für Schritt.

Schon 1974 kooperierte Stein, der als Seymour Steinbigle in Brooklyn geboren wurde, mit niemand geringerem als Paul Anka. Weitere 13 Jahre später hatte er den vorerst höchsten Punkt der Karriereleiter erreicht, mit der Produktion des Madonna-Albums »You Can Dance«, einer Collage aus Remixes ihrer Hits, von »Holiday« bis »Into the Groove«. Allein in den Vereinigten Staaten wurde die Scheibe 1,5 Millionen mal verkauft, weltweit ging sie fünf Millionen mal über die Plattenladentische.

Soft Rock-Combo Als Produzent kooperierte Seymour Stein auch mit der Sängerin Cyndi Lauper, der Soft Rock-Combo Barclay James Harvest und dem ebenfalls jüdischen Ausnahmetalent Paul Shaffer, das jahrzehntelang die Studioband der »Late Show with David Letterman« leitete.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Steins Karriere begann mit einem Ferienjob beim Billboard Magazine, den er Mitte der 50er-Jahre im zarten Alter von 13 Jahren annahm. Seine Begabung zeigte sich schnell. An der Entwicklung der Billboard Hot 100 Charts war er damals beteiligt. Bis heute ist sie die wichtigste Single-Hitliste der USA.

Seymour Stein war weiterhin ein Teenager, als ihn Syd King ansprach, der Chef des Labels King Records, und ihm einen Job in Cincinnati (Ohio) anbot. Steins Vater war nicht gerade begeistert. King überzeugte ihn, indem er ihm mitteilte, sein Sohn habe »Schellack in den Venen«. Es funktionierte.

Karriereschub Der nächste große Karriereschub war die Gründung des Labels Sire Productions im Jahr 1966, als Madonna gerade einmal acht Jahre alt war. Die meisten Fans, die dessen Produktionen später ansprechen sollten, waren damals noch nicht einmal gezeugt. Es dauerte allerdings eine Weile, bis Sire in Fahrt kam. Dies passierte in dem Moment, in dem Seymour Steins Partner ausstieg und er das Ruder allein übernahm.

Stein spezialisierte sich nun auf europäische Bands. Mit der niederländischen Gruppe Focus und deren Knaller-Hit »Hocus Pocus«, einem rockigen Semi-Instrumental, kam Stimmung in die Bude – und Erfolg. Stein wollte mehr. Auf nächtlichen Streifzügen durch die New Yorker Club-Welt wurde er fündig.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Von 1975 an konzentrierte sich Seymour Stein auf dunklere Klänge, nämlich Punk-Acts und Pop-Bands, deren Musik entsprechende Tendenzen aufwies. Mit den Ramones unterzeichnete er 1975 einen Vertrag. Es folgten The Talking Heads, The Pretenders, The Smiths, The Cure, Depeche Mode, The Undertones, aber auch der Rapper Ice-T.

NEW AGE Wie diese Aufzählung zeigt, wurde Steins Einfluss immer größer. De facto definierte er den Sound der 80er-Jahre, den Hunderte Millionen Fans in der ganzen Welt liebten und lebten. Er versuchte, das Punk-Genre in New Age umzubenennen, da diese Bezeichnung gerade im Englischen freundlicher klang.

Nicht alle Entscheidungen, die Seymour Stein im Laufe seiner Karriere traf, stellten sich als richtig heraus. Im Jahr 1966 hatte er die Chance, einen Vertrag mit Jimi Hendrix zu unterschreiben, sah aber davon ab, als er sah, wie das Genie seine Gitarren auf der Bühne zertrümmerte.

In seiner 2018 erschienenen Autobiografie «Siren Song: My Life in Music” schrieb er, sein Vater habe dem orthodoxen Judentum nahegestanden. Er habe seine Familie regelmäßig in eine Synagoge mitgenommen, deren Vizepräsident er gewesen sei.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Ashkenazim Auch beschrieb er die jüdische Community, in der er aufwuchs, im Brooklyn der 40er-Jahre. Deren Mitglieder seien Aschkenasim mit russischen, polnischen, baltischen, rumänischen, österreichischen, deutschen, ungarischen und tschechischen Wurzeln gewesen. Doch auch sephardische Juden hätten dort gelebt. Jede Gruppe habe ihre eigenen Traditionen und Rezepte nach Brooklyn mitgebracht.

In Interviews sprach Seymour Stein über Freundschaften, die sich mit anderen jüdischen Musik-Business-Repräsentanten und Künstlern ergaben. Es seien zum Teil Leute gewesen, die aufgrund ihres Judentums bestimmte Berufe nicht hätten ausüben können. Im Entertainment-Bereich hätten sie sich jedoch die Möglichkeit gehabt, sich zu entfalten.

Im Jahr 2005 wurde Stein als Produzent Teil der Rock and Roll Hall of Fame. Später war er Vizepräsident bei dem Giganten Warner Bros. Records. Er blieb höchst aktiv, bis er im Sommer 2018 ankündigte, in den Ruhestand gehen zu wollen. Es war höchste Zeit, denn er war bereits 75 Jahre alt.

Seymour Stein war bis in die 70er-Jahre hinein verheiratet. Mit seiner Frau Linda hatte er zwei Töchter. Samantha, die ältere, starb 2013 mit 40 Jahren an einem Gehirntumor. Mandy Stein, seine jüngere Tochter, ist Filmemacherin. Ein spätes Coming Out hatte Stein, als er 2017 bekanntgab, er sei homosexuell.

Eurovision Song Contest

CDU-Politiker: ESC-Boykott, wenn Israel nicht auftreten darf

Steffen Bilger fordert: Sollte Israel vom ESC ausgeschlossen werden, müsse auch Deutschland fernbleiben. Er warnt vor wachsenden kulturellen Boykottaufrufen gegen den jüdischen Staat

 18.09.2025

Ehrung

Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für Tamar Halperin

Die in Deutschland lebende israelische Pianistin ist eine von 25 Personen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 1. Oktober ehrt

von Imanuel Marcus  18.09.2025

Ausstellung

Liebermann-Villa zeigt Architektur-Fotografien jüdischer Landhäuser

Unter dem Titel »Vision und Illusion« werden ab Samstag Aufnahmen gezeigt, die im Rahmen des an der University of Oxford angesiedelten »Jewish Country Houses Project« entstanden sind

 18.09.2025

Debatte

Rafael Seligmann: Juden nicht wie »Exoten« behandeln

Mehr Normalität im Umgang miteinander - das wünscht sich Autor Rafael Seligmann für Juden und Nichtjuden in Deutschland. Mit Blick auf den Gaza-Krieg mahnt er, auch diplomatisch weiter nach einer Lösung zu suchen

 18.09.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  18.09.2025

»Long Story Short«

Die Schwoopers

Lachen, weinen, glotzen: Die Serie von Raphael Bob-Waksberg ist ein unterhaltsamer Streaming-Marathon für alle, die nach den Feiertagen immer noch Lust auf jüdische Familie haben

von Katrin Richter  18.09.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 18. September bis zum 2. Oktober

 18.09.2025

Fußball

Mainz 05 und Ex-Spieler El Ghazi suchen gütliche Einigung

Das Arbeitsgericht Mainz hatte im vergangenen Juli die von Mainz 05 ausgesprochene Kündigung für unwirksam erklärt

 18.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 18.09.2025