"Imanuels Interpreten" (9)

Der bessere Donald

Donald Fagen im Jahr 1993 Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Richard Drew

In Annandale-on-Hudson, einem Kaff im Bundesstaat New York, traf der Pianist Donald Fagen im Jahr 1967 Walter Becker. Als er eines Tages am Café »Red Balloon« vorbeilief, entging ihm nicht, wie Becker Gitarre übte: »Ich hörte diesen Typen und er klang sehr professionell und modern. Wie ein schwarzer Musiker.« Kurzerhand sprach er ihn an: »Hey! Willst Du Teil einer Band werden?«

Ebenso zackig wurde eine Vereinbarung erzielt. Zuerst war es das Don Fagen Jazz Trio, dann kamen die Bad Rock Group und Leather Canary. Fagen und Becker kooperierten damals mit dem heutigen Comedian und Schauspieler Chevy Chase, der ihr Schlagzeuger war. Sie begannen, Songs zu schreiben, die von Stars wie Barbra Streisand aufgenommen wurden. Im Jahr 1971 erfolgte schließlich die Gründung von Steely Dan.

Fagen und Becker verbrachten die nächsten Jahrzehnte damit, der Pop-Musik Mund-zu-Mund-Beatmung und eine Herzmassage zu verpassen. Eine selten dagewesene musikalische und liedtextliche Qualität verordneten sie ihr mit ihrem Projekt, das schon bald eine weltweite Fangemeinde hatte. Diese besteht bis heute.

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»The Fez« ist Teil des 1976er Steely Dan-Albums »The Royal Scam«.
Gefährlich gut

Einer der größten Momente der Bandgeschichte war am 23. September 1977 gekommen: Steely Dan veröffentlichte Aja, ein Meisterwerk, das viele prominente Musikerkollegen von Donald Fagen bis heute als Lieblingsalbum erwähnen und das regelrecht in Ehrungen ertränkt wurde. Bei der 20. Grammy-Vergabe im Jahr 1978 bekam Aja allerdings nur den Preis für die »bestabgemischte nicht-klassische Aufnahme«, denn gegen Al Jarreau und die bereits erwähnte Barbra Streisand anzukommen, war in diesem Moment unmöglich. Dafür verkaufte sich Aja aber hervorragend.

Das Album bot Klänge, die die Menschheit noch nie zuvor gehört hatte: Zu Fagens und Beckers Zutaten gehörten sieben auf geniale Weise komponierte Pop-Jazz-Balladen, deren musikalische Qualität bestach und die in diesem Genre bis heute nur selten wieder erreicht wurde. Hinzu sollte die brillante, instrumentale Jazz-Rock-Nummer »Stand by the Seawall« kommen (s.u.), die es allerdings am Ende nicht auf das Album schaffte – aus Platzgründen. Aja fiel dennoch gefährlich gut aus.

Die auf dem Album verewigten Stücke wurden unzählige Male aufgenommen, bis jeder Ton und jede Millisekunde perfekt waren. Dafür testete – oder verschliss – Donald Fagen mit seinem Band-Partner viele Musikerkollegen.

Donald Fagen und Walter Becker in den guten alten Steely Dan-Zeiten im Jahr 1977Foto: picture alliance/AP Photo
Wahres Kunstwerk

Um ein Beispiel zu nennen: Für die Aufnahmen des titelgebenden Tracks »Aja« allein wurden neun der besten U-Musiker auf dem Planeten engagiert, darunter der Saxofonist Wayne Shorter, die Keyboarder Joe Sample und Michael Omartian sowie der Schlagzeuger Steve Gadd. Auch letzteres Genie machte aus dem Song ein wahres Kunstwerk.

Gadd wartete mit einem von anderen Instrumenten unterlegten Dreifach-Solo auf, das als »Aja Drum Solo« in die Musikgeschichte einging. Vermutlich schmissen Amateur-Drummer ihre Trommeln und Becken in den Hudson River, die Alster oder die Themse, als sie es hörten und dieses Level des Schlagzeugspielens sogleich als unerreichbar identifizierten.

Aja ist nur eines von vielen Beispielen, die zeigen: Steely Dan gehörte zu den relativ wenigen prominenten Bands, die nicht nur Stimmung transportierten, sondern auch Musik, die diese Bezeichnung verdiente. Die leicht nasale Stimme der jüdischen Hälfte der Formation, Donald Fagen, war ein weiteres Markenzeichen.

»Imanuels Interpreten«

Wahre Kopfkinos

»Für die Aja-Aufnahmen verschanzten sich Donald Fagen und Walter Becker mit den besten Musikern und Toningenieuren, die man für Geld kaufen konnte, in Studios in New York und L.A.«, sagt der Musikjournalist A. Scott Galloway aus Los Angeles.

»Das Ergebnis war, dass ihre Songs, die reich an Metaphern, Stimmungen, Zweideutigkeiten und unendlich faszinierenden Charakteren waren, für die Hörer zu wahren Kopfkinos wurden, zu akustischen Reisen, die sie für den Rest ihres Lebens unternehmen konnten und bei denen sie immer wieder neue Nuancen entdeckten - von den Texten, den Tracks und den Instrumentalsoli bis hin zum rauen Leadgesang von Donald Fagen«, so Galloway.

Fagen selbst verriet dem »Tablet Magazine« vor vier Jahren, wie Steely Dan musikalisch gepolt war: »Jüdische Songwriter waren fasziniert von dem, was in der afroamerikanischen Musik passierte. Die ganze Subkultur, die sich daraus entwickelte, ist genau das, wo Walter und ich herkamen.« Dies war bereits in frühen Hits wie »Do It Again« oder »Rikki Don’t Lose that Number« deutlich hörbar.

Donald Fagen 2022 bei einem Auftritt in Chula Vista (Kalifornien)Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com
Defibrillator eingesetzt

Auch sprach er in dem Interview über seinen im Jahr 2017 an Krebs verstorbenen Band-Partner: »Obwohl er deutscher Abstammung war, lebte Walter in Forest Hills (einem von vielen Juden bewohnten Teil von Queens, Anm.d.Red.). Er war so etwas wie ein ›Ehrenjude‹, er kannte die vier Fragen und all das Zeug und musste zu den Sedern seiner Freunde gehen.«

Für »Peg«, einen weiteren Song für das Album Aja, testeten Don Fagen und Walter Becker gleich sieben Gitarristen. Laut »Newsweek« waren sie »besessen«. Erst Jay Graydon stellte sie zufrieden. Er sagte später: »Wenn jemand eine Ablösung als Instrumentalist persönlich nimmt, ist er ein Idiot. Du wirst niemals 100 Prozent der Leute glücklich machen. Ich wurde bei einem Solo auf einem Boz Scaggs-Album rausgeschmissen, weil der Produzent Carlos Santana bekommen konnte.«

Alle Steely Dan-Alben überzeugten – von Can’t Buy a Thrill bis Gaucho. Dann, es war 1981, wurde das Ende der Band verkündet. Zwölf Jahre später, 1993, kam aber der Defibrillator zum Einsatz. Das Ergebnis: Die Legende Steely Dan lebte plötzlich wieder. Neue Touren und zwei neue Alben, Two Against Nature sowie Everything Must Go, wurden registriert.

»Imanuels Interpreten«

Eigene Sicht

Seit den 1970er-Jahren haben zahlreiche Musikerkollegen Steely Dan-Songs interpretiert, darunter die von vier Schwestern betriebene Soul-Combo Perri (The Caves of Altamira), der Jazz/Funk-Schlagzeuger und Komponist Norman Connors (Aja) und die Woody Herman Band (Green Earrings) – um nur einige zu nennen. Na gut, einen noch: Der Jazz-, Fusion- und Weltmusik-Gitarrist Al Di Meola interpretiert in der Regel keine Stücke. Wenn er es dann doch mal tut, ist es »Aja«.

Für Donald Fagen, einen der begabtesten Prominenten mit diesem Vornamen und zugleich einen der begnadetsten Pop-Jazz-Komponisten und U-Musik-Interpreten überhaupt, war Steely Dan ein zentrales Lebensprojekt, aber nicht das einzige. Sein Album The Nightfly von 1982, das er als Solokünstler aufnahm, erreichte ebenfalls Kult-Status. »Green Flower Street« und alle anderen Songs auf dieser Scheibe begeisterten Liebhaber qualitativ hochwertiger Popmusik fast zu sehr. Dem Album zu entfliehen, war in den 80er-Jahren manchmal schwierig.

Geboren wurde Donald Fagen am 10. Januar 1948 in der Kleinstadt Passaic (New Jersey). Von New York City aus gesehen liegt sie auf der anderen Seite des Hudson. Seine jüdischen Eltern waren nicht wirklich Musiker, auch wenn Mutter Elinore als Teenager Swing-Nummern sang. Joseph Fagen, sein Vater, war als Buchhalter tätig.

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Die instrumentale Jazz-Rock-Nummer »Stand by the Seawall« war für das Album »Aja« bestimmt, passte aber nicht mehr auf die Platte.
Soul und Funk

Der junge Donald hasste es, in einem De-Facto-Vorort von New York zu leben: »Er war wie ein Gefängnis. Ich glaube, ich habe damals das Vertrauen in das Urteilsvermögen meiner Eltern verloren. Es war wahrscheinlich das erste Mal, dass mir bewusst wurde, dass ich meine eigene Sicht auf das Leben hatte.«

Dies galt auch für seinen Musikgeschmack. Nachdem er sich zunächst für Rock interessierte und ein Chuck Berry-Album erstand, schwenkte er im Alter von elf Jahren dank einer Cousine mit Überzeugungskraft auf Jazz um. Künstler wie Bill Evans, Miles Davis und Earl Hines begeisterten ihn. Dann kamen Soul und Funk in Fagens Sicht- und Hörfeld.

Im Jahr 1965 begann Donald Fagen ein Literatur-Studium am Bard College in Annandale-On-Hudson. Zwei Jahre später erfolgte die erste Begegnung mit Walter Becker. Die Geschichte von Steely Dan nahm ihren Lauf.

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»The Nightfly« ist der Title Track des gleichnamigen Solo-Albums von Donald Fagen.
Wink mit dem Zaunpfahl

Nach dem vorläufigen Ende der Band kam The Nightfly. Mit einer Million Verkäufen in den Vereinigten Staaten erreichte das Album Platinum-Status. So ganz ohne Walter Becker wollte Donald Fagen aber auch nicht arbeiten. Es ergab sich daher schon bald eine neue Kooperationsform: Becker produzierte Fagens zweites Soloalbum Kamakiriad von 1993, mit dem die beiden Freunde eine weitere Grammy-Nominierung ergatterten. In den Jahren 2006 und 2012 folgten die Alben Morph the Cat und Sunken Condos.

Donald Fagen wäre nicht Donald Fagen, wenn er nicht auch noch Filmmusik beigetragen hätte. Zudem schrieb er eine Kolumne für das Magazin »Premiere«. Und er tourte mit Michael McDonald und Boz Scaggs. Zusammen waren sie die Dukes of September. Eminent Hipsters lautet der Titel von Fagens Autobiografie von 2013.

Zwar hat das Multitalent Donald Fagen keinen Klon, den er aufgrund seiner unzähligen Aktivitäten gut gebrauchen könnte. Stattdessen griff er zu einer Strategie, die umsetzbar war: Unter Pseudonymen war er für sich selbst tätig. Als Tristan Fabriani schrieb er die Covertexte für das Steely Dan-Album Can’t Buy a Thrill. Wenn er auf seinen Alben mit Synthesizern herumhantierte, nannte er sich Illinois Elohainu. Letzterer Name war offensichtlich ein Wink mit dem Zaunpfahl.

»Imanuels Interpreten«

Mülltrennung und Joggen

Donald Fagen ist nicht mehr 27, sondern 77. Das Alter macht sich ab und zu bemerkbar: Während einer Tour mit den Eagles vor zwei Jahren musste er plötzlich ins Krankenhaus eingeliefert werden und den Rest des Spektakels abblasen.

Im Jahr 1993 heiratete er die Songschreiberin Libby Titus. Die Ehe verlief offenbar nicht immer ganz harmonisch: 2016 wurde Fagen beschuldigt, seine Gemahlin gegen einen Fensterrahmen aus Marmor geschubst zu haben. Die interessantesten Disharmonien und Harmonien gibt es jedoch weniger in Fagens Ehe, als in seiner Musik.

Aufgrund der intellektuellen Texte und Kompositionen, die Donald Fagen schreibt, spielt und aufnimmt, veräppeln Comedians gerne Steely Dan- Fans. Schon der legendäre George Carlin sprach abfällig über umweltbewusste Paare, die ihren Nachwuchs in Babyrucksäcken transportieren: »Das sind dieselben Leute, die ihren Müll trennen, mit ihren Hunden joggen und Steely Dan hören.«

»Imanuels Interpreten« ist eine Kolumne über jüdische Musiker von Imanuel Marcus. marcus@juedische-allgemeine.de

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