NS-Geschichte

Dem Staat zu Diensten

Gleichgeschaltet: Mitarbeiterinnen des Roten Kreuzes in Nazideutschland Foto: ullstein

Seit 1863 gilt das Rote Kreuz als Zeichen der Neutralität für Verwundete und Kranke im Krieg. Die Organisation hat in 146 Jahren viel Gutes getan. Doch ab 1933 verlor auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) seine humanitäre Unschuld. Dieses Kapitel hat Peter Poguntke in seiner Dissertation untersucht. Als die Siegermächte 1945 daran gingen, die Hinterlassenschaft des NS-Staates zu beseitigen, klassifizierten sie auch das DRK als NS-Organisation und damit als verbrecherische Vereinigung. Das DRK hatte sich ab Frühjahr 1933 als nationale Rotkreuzgesellschaft nahtlos in den militarisierten NS-Staat eingefügt – freiwillig. Dazu gehörten das Hakenkreuz im Verbandszeichen und der Eid auf den »Führer«. Die beiden höchsten Dienstgradgruppen des DRK waren zu fast 90 Prozent mit NSDAP-Mitgliedern besetzt. Der geschäftsführende DRK-Präsident seit 1937, Ernst Robert Grawitz, war SS-Brigadeführer und als Reichsarzt der SS an Menschenversuchen beteiligt. Er war einer von fünf hauptamtlichen SS-Führern im achtköpfigen DRK-Präsidium und Berater Himmlers.

Die Gleichschaltung des DRK mit seinen mehr als 1,4 Millionen Mitgliedern war tiefgreifend und umfassend. Poguntke kommt zu dem desillusionierenden Urteil, dass sich das DRK über personelle Verflechtungen hinaus in den »Dunstkreis von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit« begeben hat. Von keiner einzigen Stelle sind Handlungen gegen die NS-Politik bekannt geworden, die sich als Widerstand auslegen lassen. Das DRK fühlte sich an die NS-Gesetzgebung stärker gebunden als an seine internationale humanitäre Aufgabe.

widerstand Bis vor wenigen Jahren hat das DRK kaum Versuche unternommen, sich kritisch mit seiner NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dies hat nun Poguntke getan. Doch gilt das Gesagte auch für die Basis, die einzelnen Rotkreuzgemeinschaften mit ihren Helferinnen und Helfern, die in den verschiedensten Rettungsdiensten arbeiteten? Dies ist die Leitfrage, mit der der Autor an die (spärlichen) gesicherten archivalischen Quellen heranging. Poguntke hat innerhalb des DRK einen weltanschaulich motivierten Widerstand ausgemacht, wenn es um den staatsdoktrinären Antisemitismus und die Vernachlässigung von humanitären Prinzipien ging.

Dennoch: Der Antisemitismus wurde gleichzeitig »fest implementiert« und konsequent bis auf die Ebene der Gemeinschaften umgesetzt, allerdings nicht aus einer prinzipiell antijüdischen Haltung des DRK heraus, sondern aus der als zwingend empfundenen Selbstverpflichtung, keine Mitglieder zu dulden, die von der »rechtmäßigen Regierung« als Staatsfeinde angesehen werden. Die Fakten führen den Autor zu dem fast zwingenden Schluss, dass die Rotkreuzgemeinschaften im systemkonformen Sinne »funktioniert« haben. Ihr Einsatz bestand unter anderem. darin, als DRK-Schwestern Euthanasie-Transporte zum Zielbahnhof zu begleiteten. Das Rotkreuzpersonal wusste von den Verbrechen. Was ihre direkte Beteiligung daran betraf, muss man in der Beurteilung vorsichtig sein.

versäumnisse Für Poguntke steht fest, dass das DRK wissentlich zur Verschleierung des Völkermords gegenüber dem Internationalen Roten Kreuz (IKRK) beitrug, auch wenn dem IKRK ebenfalls Versäumnisse vorgeworfen werden müssen, ohne die die Verschleierungstaktik des DRK wirkungslos geblieben wäre. Das DRK hat es auf beschämende Weise versäumt, den Juden auch nur die einfachste humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, und war damit tief verstrickt in die Taten der Nazis. Mut und Geistesgegenwart Einzelner zum Trotz wollte das Rote Kreuz selbst angesichts des Verbrechens neutral und unparteilich bleiben.

Peter Poguntke: Gleichgeschaltet. Rotkreuzgemeinschaften im NS-Staat. Böhlau, Köln 2009. 348 S., 44,90 €

Theater

Abrechnung in O-Tönen

Karl Kraus hielt seine Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit« für unspielbar. Bei den Salzburger Festspielen ist es dennoch gelungen

von Micha Schleicher  03.08.2025

Aufgegabelt

Live-forever-Slaw

Rezepte und Leckeres

von Sophia Giesecke, Uri Triest  03.08.2025

Debatte

Liebe »Kulturschaffende«, liebe nützliche Idioten!

Ein Offener Brief an die 200 Künstler, die plötzlich ihr Gewissen entdecken und an Bundeskanzler Merz appellieren, aber mit keinem Wort die israelischen Geiseln erwähnen

von Jusek Adlersztejn  02.08.2025

Meinung

Linke Solidarität und das Bedürfnis, im richtigen Club zu spielen

Die deutsche Linke ist bemerkenswert selektiv: Während sie der Ukraine zu Recht ihre Souveränität zubilligt und den russischen Angriffskrieg verurteilt, scheint für Israel ein anderes Regelwerk zu gelten

von Serdar Somuncu  01.08.2025

Herzliya

Leonardo DiCaprio beteiligt sich an Luxus-Hotelprojekt in Israel

Die Baugenehmigung ist bereits erteilt

 01.08.2025

Film

Regisseur Akiva Schaffer bringt »Die nackte Kanone« zurück

Der Kult-Klamauk kommt heute als Fortsetzung ins Kino. Mit dabei: Liam Neeson und Pamela Anderson

von Sabrina Szameitat  31.07.2025

Zahl der Woche

25 Stunden

Fun Facts und Wissenswertes

 31.07.2025

Kino

Jung, unglücklich, high

Der neue Film »Rave On« dreht sich um eine schicksalhafte Klubnacht. Schauspieler Aaron Altaras kennt, was er spielt

von Katrin Diehl  31.07.2025

Shkoyach!

Skandal mit Schere

Warum ich mich wegen Bayreuth fast scheiden ließ

von Maria Ossowski  31.07.2025