Musik

Braunes Bayreuth

Hitler und Winifred Wagner 1937 mit den Söhnen Wieland (rechts) und Wolfgang (2.v.l.), im Garten des Hauses Wahnfried Foto: dpa

Es ist viel Hitler in Wagner.» Ein beinahe beiläufiger Satz, mit dem Thomas Mann die Kontinuität in der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts auf den Punkt gebracht hat: Richard Wagner war, da gibt es nichts zu leugnen, in seinen politischen Ideen ein Vorläufer des Nationalsozialismus.

Und was für Wagner gilt, das gilt erst recht für die Bayreuther Festspiele. Der Frankfurter Historiker und Journalist Bernd Buchner hat die Geschichte dieser Festspiele jetzt in seiner Studie Wagners Welttheater nachgezeichnet, von den revolutionären Ideen des jungen Richard Wagner bis zu den oft halbherzigen Versuchen einer «Vergangenheitsbewältigung» nach dem Zweiten Weltkrieg.

richard Der Antisemitismus durchzieht Wagners Denken wie ein roter Faden. Dabei hatte er jüdischen Komponistenkollegen doch so viel zu verdanken, auch materiell – Giacomo Meyerbeers Unterstützung hatte ihn während seiner Jahre in Paris vor dem Verhungern bewahrt. Wagner «dankte» es Meyerbeer später mit der Schrift Das Judentum in der Musik. Der Jude, schrieb Wagner in diesem Pamphlet, «herrscht, und er wird so lange herrschen, als das Geld die Macht bleibt, vor der all unser Tun und Treiben seine Kraft verliert».

«Jüdisch» im Sinne Wagners war vor allem das Geld, das – leider, leider – die anderen hatten. Seine eigenen Festspiele sollten die angeblich jüdische, von Wagner ebenso verachtete wie beneidete Grand Opéra in Paris imitieren, überbieten und in der Erinnerung auslöschen. Bei den Sachwaltern von Wagners Ideen im Bayreuth des wilhelminischen Kaiserreichs und der Weimarer Republik wichen die kulturellen Aspekte, die Wagners Antisemitismusbegriff – neben persönlichem Ressentiment – geprägt hatten, immer mehr rassistischen Kategorien.

Die Entwicklung wird in einem Brief von Richards Sohn Siegfried aus dem Jahr 1924 deutlich. Sein Vater, heißt es dort, habe gegen jenen Geist gekämpft, «den ich den Heineschen nennen möchte, den Geist der Zersetzung und Verhöhnung».

Und ohne jedes Zögern ging Siegfried von dort auf eine rassistische Argumentation über: «Was ich für das Unglück für das deutsche Volk halte, ist die Mischung der jüdischen und der germanischen Rasse.» Zugleich verwahrte sich Siegfried jedoch gegen Forderungen, Juden in Zukunft vom Besuch der Festspiele auszuschließen, und verwies auf die jüdischen Weggefährten seines Vaters.

winifred Bereits seit 1923 war Adolf Hitler ständiger Gast im Hause Wahnfried und bei den Festspielen. «Meine Frau (Winifred) kämpft wie eine Löwin für Hitler!», schrieb Siegfried im selben Jahr in einem Brief.

«Die Zustände in Bayern sind ja unerhört ... Meineid und Verrat wird heiliggesprochen, und Jude und Jesuit gehen Arm in Arm, um das Deutschtum auszurotten.» Detail am Rande: Das Papier, auf dem der Hitler nach seinem Putschversuch 1923 in der Landsberger Haft seinem Privatsekretär Rudolf Heß Mein Kampf diktierte, wurde von Winifred Wagner in einem Papiergeschäft in der Bayreuther Maximilianstraße gekauft.

Winifred selbst erklärte später, ihre Freundschaft mit Hitler sei völlig unpolitisch gewesen. «Ob wir befreundet waren?», antwortete sie am 3. Mai 1945 Klaus Mann, der sie besuchte. «Von Politik verstehe ich nicht viel, aber von Männern eine ganze Menge. Hitler war charmant ... gemütvoll und gemütlich! Und sein Humor war einfach wundervoll.»

Im Entnazifizierungsverfahren wurde sie 1948 lediglich als «Minderbelastete» eingestuft. Buchner: «Mildernde Umstände ließ der Senat wegen Winifreds Hilfsbereitschaft für bedrängte Menschen gelten und sah dabei sogar das ›antinazistische Motiv‹ als ›völlig zweifelsfrei‹ gegeben.»

Tatsächlich hatte sich Winifred in einigen Fällen mit Hilfsgesuchen «bis zu einem gewissen Punkt mit den Machthabern angelegt», so Buchner. Zeitweise hatte sie wohl geglaubt, das NS-Regime für ihre Zwecke instrumentalisieren zu können. 1943 trat sie an Goebbels mit dem Anliegen heran, alle Wagner-Veröffentlichungen zu verbieten, die nicht auf Quellen aus dem Wahnfried-Archiv beruhten oder vom Archiv nicht genehmigt waren. Goebbels lehnte Winifreds Begehren nach einer «Lex Bayreuth» jedoch ab; am Ende entschied sich auch Hitler persönlich gegen den Wunsch der sonst so geschätzten Freundin.

wieland und wolfgang Auch Enkel Wieland und Wolfgang – der eine bei Kriegsende 28 Jahre alt, der andere 25 – waren nicht unbelastet. Beide waren von Hitler mit Gunstbezeugungen bedacht worden. Wieland konnte man auch seine Mitgliedschaft in der NSDAP vorhalten; im letzten Kriegsjahr hatte er in der Leitung einer KZ-Außenstelle in Bayreuth fungiert. Soweit bekannt, arbeitete er mit ausgewählten Häftlingen an seinen Bühnenbildern. Schließlich wurde er als Mitläufer eingestuft.

1946/47 war diskutiert worden, ob man die Festspiele nicht der Familie Wagner wegnehmen und einem internationalen Stiftungsrat übertragen solle, mit dem vom Nationalsozialismus unbelasteten Wagnerianer Thomas Mann als Ehrenpräsidenten. Winifred war empört: «Thomas Mann an der Spitze und nur Juden im Komitee!» Die Festspiele wurden dann aber doch der Familie zurückgegeben. Wielands «Neubayreuth», urteilt Buchner, war höchst zwiespältig: Soweit in der Öffentlichkeit die Verstrickung der Festspiele in den Nationalsozialismus angesprochen wurde, herrschte ein beredtes Schweigen, auf der Bühne dagegen ein forcierter Modernismus.

Die «Vergangenheitsbewältigung» fand sozusagen ausschließlich auf der Bühne statt. Immerhin: Zum Entsetzen der Bayreuther Traditionshüter verbannte Wieland die germanischen Götter vom Festspielhügel. Gänzlich verstummt sind die rückwärtsgewandten Stimmen vielleicht nicht; Buchner zitiert eine Facebook-Seite von 2012, zu Winifreds 115. Geburtstag: «Es muss eine wunderbare Frau gewesen sein, die letzte wahre Hüterin des kulturellen Schaffens von Richard Wagner» – das Wort «wahr» ist kursiv hervorgehoben.

Bernd Buchner: «Wagners Welttheater. Die Geschichte der Bayreuther Festspiele zwischen Kunst und Politik». Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2013, 254 S., 39,90 €

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