Sprachgeschichte(n)

Backware? Pustekuchen!

Pustekuchen gibt es nicht mit Sahne. Foto: Fotolia

Der saloppe Ausruf »Pustekuchen!« signalisiert – wie »von wegen« oder »denkste« –, dass jemand mit einer Aussage falsch liegt oder etwas nicht bekommen wird. Zur Etymologie rätselt Duden online: »vielleicht nach der Wendung ›jemandem etwas pusten‹« und zieht den Vergleich zu »jemandem etwas husten«. Eine andere Herleitung versuchte Hermann Schreiber 2009 im »Hamburger Abendblatt«: Goethe habe »Herrn Pustkuchen zur Redensart gemacht«.

Richtig ist, dass 1821 in Quedlinburg unter dem Pseudonym Glanzow der Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre erschien – einige Monate vor Goethes gleichnamigem Werk. Der als Autor enttarnte Pastor Johann F. W. Pustkuchen (1793–1834) kämpfte mit seiner Version gegen den Dichterfürsten, der sich 1822 zornig wehrte: »Pusterich, ein Götzenbild, grässlich anzuschauen / Pustet über klar Gefild Wust, Gestank und Grauen.«

Marx Kein Geringerer als Karl Marx sekundierte 1837 und schmähte den »Afterdichter«: »So knete deine Kuchen nur zurecht. Dann bleibst du immer noch ein Bäckerknecht. Wer wollte auch von dir verlangen, Du solltest dich an Goethen hangen.«

Von den beiden Erklärungen stimmt – keine. Pustekuchen! Auf die richtige Spur führt uns die erste deutsche Germanistikprofessorin. Sie lehrte ab 1923 in Hamburg, bevor man sie als Jüdin 1934 entließ und 1942 in Riga ermordete. Agathe Lasch notierte 1928 in ihrer Berlinisch betitelten Sprachgeschichte die seit dem frühen 19. Jahrhundert modische Phrase »Ja, Kuchen!«, die auch Zelter 1825 gegenüber Goethe erwähnt.

Tucholsky Ein Jahr zuvor, 1824, hatte das »Morgenblatt für gebildete Stände« den in Berlin »üblichen Ausruf ›Ja! Kuchen!‹« zitiert, »womit man denjenigen, der von einem prahlerischen Vorhaben spricht, in die prosaische Wirklichkeit zurückruft«. So wie Kurt Tucholsky 1918, der, als das Kaiserreich am Ende war, in der »Weltbühne« schrieb: »Ja, Kuchen! – Wir müssen erst dem Alten fluchen und dann nach gutem Neuen suchen.«

Dieser Kuchen ist jedoch kein Backwerk. »Ja, Kuchen!« für »Das ist Unsinn« oder »Ich bin anderer Meinung« war umgangsdeutsch bis zur Maingrenze bei Frankfurt das Kürzel des jiddischen Spruchs »Ja chochem (= klug, aus dem hebräischen «chacham»), aber nicht lamdon (= talmudkundig)« – im Rotwelsch gedeutet als: »ja schlau, aber nicht schlau genug«.

Avenarius Der Volksmund machte daraus »Ja Kuchen, aber nicht London«. Dieser Spruch findet sich amüsanterweise auch in einer Maria-Stuart-Travestie (abgedruckt in Louis Avenarius’ Anthologie Der fröhliche Rheinländer, 1840: »Watt globste denn? Kuchen werd ich ihr vermachen, aberst nicht London.«).

Die Verwirrung ging munter weiter. Aus »Ja, Kuchen« wurde »Ja, Apfelkuchen« oder »Ja, Kirschkuchen«, in Karl Steffens’ Hausfreund in Hütten und Palästen (1845) gar »Ja, Salzkuchen!«. 1867 erläuterte Karl F. W. Wander im Deutschen Sprichwörter-Lexikon beim Eintrag »Ja, Quarkspitzen!«: »Wofür man jetzt auch hört: Ja, Kuchen!«

Puchner So weit zum missverstandenen Kuchen. Und woher kommt die vorgesetzte »Puste«? Günter Puchner beendete 1976 in Kundenschall: Das Gekasper der Kirschenpflücker im Winter alle volksetymologischen Gebäck-Spekulationen und führte »Pustekuchen« korrekt zurück auf das rotwelsche Kompositum der jiddischen Wörter »poschut« (= gering, abgeleitet vom hebräischen »pochet« = weniger) und »kochem«. Das ist inzwischen anerkannter Stand der Forschung. Alles andere ist Pustekuchen.

Glosse

Der Rest der Welt

Von Kaffee-Helden, Underdogs und Magenproblemen

von Margalit Edelstein  08.12.2025

Eurovision Song Contest

»Ihr wollt nicht mehr, dass wir mit Euch singen?«

Dana International, die Siegerin von 1998, über den angekündigten Boykott mehrerer Länder wegen der Teilnahme Israels

 08.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  08.12.2025

Vortrag

Über die antizionistische Dominanz in der Nahostforschung

Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf hat im Rahmen der Herbstakademie des Tikvah-Instituts über die Situation der Universitäten nach dem 7. Oktober 2023 referiert. Eine Dokumentation seines Vortrags

 07.12.2025

Zwischenruf

Die außerirdische Logik der Eurovision

Was würden wohl Aliens über die absurden Vorgänge rund um die Teilnahme des jüdischen Staates an dem Musikwettbewerb denken?

von Imanuel Marcus  07.12.2025

Los Angeles

Schaffer »visionärer Architektur«: Trauer um Frank Gehry

Der jüdische Architekt war einer der berühmtesten weltweit und schuf ikonische Gebäude unter anderem in Los Angeles, Düsseldorf und Weil am Rhein. Nach dem Tod von Frank Gehry nehmen Bewunderer Abschied

 07.12.2025

Aufgegabelt

Plätzchen mit Halva

Rezepte und Leckeres

 05.12.2025

Kulturkolumne

Bestseller sind Zeitverschwendung

Meine Lektüre-Empfehlung: Lesen Sie lieber Thomas Mann als Florian Illies!

von Ayala Goldmann  05.12.2025

TV-Tipp

»Eigentlich besitzen sie eine Katzenfarm« - Arte-Doku blickt zurück auf das Filmschaffen von Joel und Ethan Coen

Die Coen-Brüder haben das US-Kino geprägt und mit vielen Stars zusammengearbeitet. Eine Dokumentation versucht nun, das Geheimnis ihres Erfolges zu entschlüsseln - und stößt vor allem auf interessante Frauen

von Manfred Riepe  05.12.2025