Finale

Ayalas Welt

Wir jüdischen Mütter, so das gängige Klischee, erziehen unsere Söhne zu Tyrannen. Bei meinem Sprössling scheint das Klischee der Wahrheit zu entsprechen, obwohl mein Mann nicht unwesentlich zu dem Problem beigetragen hat. Unser Kleiner (20 Monate) hat es sich nämlich zur Angewohnheit gemacht, seine Eltern bei jeder Gelegenheit an den Haaren zu ziehen. Ohne ein Büschel Haare in der Hand weigerte er sich bis vor Kurzem beharrlich, einzuschlafen. Und wenn er nachts aufwachte, weinte und ich ihn in mein Bett holte, konnten unter Haareziehen Stunden vergehen, bevor er wieder einschlief – während ich Schmerzen litt. Nacht für Nacht qualvoll um meinen Schlaf gebracht, suchte ich nach einer Lösung des Problems.

Mein Mann war keine Hilfe. Er ermunterte den Jungen noch bei seiner Unart. »Süß, Haareziehen!« schwärmte er jeden Abend, wenn der Kleine nach seinen Locken griff, während Papa ihm die Einschlaf-Milchflasche gab. Ich war sauer. »Geh doch mit ihm nach Mea Shearim!« keifte ich. »Lass Dir Peies wachsen, dann kann Dein Sohn nach Herzenslust daran reißen.« Doch bei allem Verständnis für das Judentum wollte mein Mann sich keine Schläfenlocken zulegen. Ist auch besser so: Er würde furchtbar damit aussehen. Außerdem: Was soll ein Goi mit Peies?

scheitel Derweil überlegte ich, wie ich meine Haare vor dem kindlichen Zugriff besser schützen könnte. Zunächst dachte ich daran, mir, wie eine gute orthodoxe jüdische Ehefrau, einen Scheitel zuzulegen. Ich versuchte mein Glück im Berliner Kaufhaus des Westens in der »Zweithaarabteilung«, doch die teuren Perücken taugten nicht für meinen Zweck: Sie konnten nicht reißfest am Echthaar befestigt werden. Ich wechselte in die Badeabteilung, aber die rosaroten Plastikbadekappen sahen nicht nur doof aus, sie waren auch zu groß. Eine Lammfellmütze aus der Bekleidungsabteilung hätte ich unter dem Kinn festbinden können, doch im Bett hätte ich mich damit zu Tode geschwitzt. Ich kaufte nichts und band mir stattdessen am Abend eine Öko-Einkaufstasche aus Baumwolle um den Kopf – mit dem Erfolg, dass mein Sohn so lange heulte, bis er wieder eine Haarsträhne darunter hervorgepult hatte. Auch Haargummis nützten nichts: »Nein!« schrie der Kleine empört, wenn ich versuchte, mir die Haare zusammenzubinden.

Das Ende vom Lied war, dass ich zum Friseur ging und mir die Haare kurz schneiden ließ. Meinen Sohn hat das allerdings nur mäßig beeindruckt: Seitdem zieht er nachts an meinem Pony. Aber wenigstens hat der Schmerz etwas nachgelassen. Und, wie mir andere Mütter versichert haben, hört irgendwann die Phase mit dem Haarezerren auf. Fazit: Auch jüdische Tyrannen können gezähmt werden. Man muss nur einen langen Atem haben.

Kino

»Fast ein Wunder«

Das israelische Filmfestival »Seret« eröffnete in Berlin mit dem Kassenschlager »Cabaret Total« von Roy Assaf

von Ayala Goldmann  20.11.2025

»Jay Kelly«

In seichten Gewässern

Die neue Tragikomödie von Noah Baumbach startet fulminant, verliert sich dann aber in Sentimentalitäten und Klischees

von Patrick Heidmann  20.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  20.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. November bis zum 27. November

 20.11.2025

»Lolita lesen in Teheran«

Klub der mutigen Frauen

Der Israeli Eran Riklis verfilmt die Erinnerungen der iranischen Schriftstellerin Azar Nafisi an geheime Literaturtreffen in Teheran – mit einem großartigen Ensemble

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Ausstellung

Sprayende Bildhauerin mit Geometrie

Das Museum Wiesbaden zeigt Werke Louise Nevelsons und eines Künstlerpaares

von Katharina Cichosch  20.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025