Groningen

Rambams Dolmetscher

Zeigt auf Kairo, wo Maimonides jahrzehntelang wirkte: Wout van Bekkum Foto: Pieter Lamberts

Groningen

Rambams Dolmetscher

Der Semitist Wout van Bekkum übersetzt Maimonides ins Niederländische

von Pieter Lamberts  06.09.2020 14:29 Uhr

Wegen Corona waltet Professor Wout van Bekkum an der staatlichen Universität im niederländischen Groningen nach wie vor seines Amtes. Die Suche nach einem geeigneten Nachfolger für das Institut für Nahoststudien, dessen Gründer er ist – mit fast 40 Studierenden pro Jahr ein beliebtes Orchideenfach –, gestaltet sich schwieriger als in normalen Zeiten.

Oranje-Nassau Wegen seiner vielen Verdienste hat der 66-Jährige kürzlich ein Ehrenzeichen erhalten. Er darf sich jetzt »Officier in de Orde von Oranje-Nassau« nennen – eine königliche Auszeichnung, vergleichbar mit dem Bundesverdienstkreuz.

Am Ende dieses Jahres aber hofft van Bekkum, emeritiert zu werden, um sich ganz seiner selbst gewählten neuen Aufgabe widmen zu können: der Übersetzung von Maimonides’ Führer der Unschlüssigen ins Niederländische.

Vor einigen Jahrzehnten hat er das Institut für Nahoststudien gegründet.

»Was Maimonides anbelangt, besteht hierzulande Nachholbedarf«, sagt er. »Man hat sich bisher zu helfen gewusst mit qualitativ ausgezeichneten deutschen Übersetzungen. Aber Maimonides sollte man in der eigenen Muttersprache lesen, denn seinen Einfluss auf das Judentum kann man kaum überschätzen.«

Spezialist Van Bekkum, weltweit bekannter Spezialist für semitische Sprachen, überträgt den Führer der Unschlüssigen direkt aus dem Judeo-Arabischen, dessen Maimonides sich bedient hat. »Man muss den Text Wort für Wort, Abschnitt für Abschnitt schmecken, um ihn richtig übersetzen zu können. Es ist eine schwangere Sprache, die gebären möchte«, begeistert sich der Professor.

Da van Bekkum in erster Linie Wissenschaftler ist, läge es auf der Hand, einen Wälzer mit vielen Fußnoten vorzulegen, aber das möchte er nicht. »Ich stelle mir vor, dass die Übersetzung beim Leser zu Hause einfach auf dem Tisch liegt, man dann und wann einmal hineinschaut, einen Absatz liest und darüber nachdenkt. Das hätte einen Sinn und würde mich freuen.«

Seine Übersetzerqualitäten sind van Bekkum schon vorher zugutegekommen. Er hat ab der Mitte der 70er-Jahre eine ganze Zeit lang die Texte von mehr als 6000 jüdischen Grabsteinen entziffert und sie so für die Zukunft bewahrt.

»Es waren vor allem Grabsteine in der Provinz Groningen, aber auch Stelen im benachbarten Ostfriesland«, erzählt van Bekkum. Der damalige Reichsarchivar in Groningen, Jan de Vey Mestdagh, fürchtete, dass dieser Schatz für immer verloren gehe, wenn die Texte nicht übersetzt würden. Da kam ich ins Spiel.»

Die Grabsteine an sich sind ein Archiv der Entwicklung der jeweiligen jüdischen Gemeinschaften, erklärt van Bekkum. So kann man anhand der Texte die Emanzipation und Integration der holländischen Juden ablesen. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Texte immer niederländischer, auf Kosten des Hebräischen. Niederländisch war die Sprache der Leitkultur und wurde schon in der Grundschule vermittelt.

Interessant ist seiner Meinung nach eine kleine Gruppe sogenannter sprechender Steine aus der Stadt Groningen. Da müsse ein Freigeist am Werk gewesen sein, sagt van Bekkum. Die Texte sprächen direkt zum Friedhofsbesucher: «Halt, stopp, du, der du hier vorbeigehst. Unter mir liegt ein Gerechter, mit Namen so und so.» Oder aber: «Ich habe die Ehre, dir den und den vorzustellen.»

Grabinschriften Nach der Übersetzung von mehr als 6000 Grabinschriften fand es van Bekkum an der Zeit, sich anderweitig für die jüdische Gemeinschaft in Groningen einzusetzen. So wurde er 1982 Sekretär der «Stichting Folkingestraat Synagoge» und blieb das 30 Jahre lang.

Die Stiftung wurde gegründet, um die 1906 erbaute und Mitte der 70er-Jahre vor dem Abriss gerettete Synagoge sinnvoll nutzen zu können. Ein abgetrennter Teil wurde Bethaus für die örtliche jüdische Gemeinde, der Rest, einschließlich der Frauengalerie, wird für Kulturveranstaltungen verwendet.

Ende des Jahres hofft der Professor, in den Ruhestand zu gehen.

«Als Sekretär kamen mir meine Kenntnisse des Judentums zustatten wie auch mein Gespür für die Empfindlichkeiten der jüdischen Gemeinde in Groningen. Sie beäugt manchmal mit Misstrauen, was da so alles organisiert wird. Zum Beispiel gab es ein Bach-Konzert – das wurde zum Stolperstein, weil manche es zu christlich fanden. Aber im Großen und Ganzen hat es immer ganz gut geklappt.»

Unter anderem werden in der Synagoge jedes Jahr im Rahmen der Initiative «Offene Jüdische Häuser» Vorträge über die Lebensgeschichten der ehemaligen Bewohner oder Benutzer gehalten. Auch hier ist van Bekkum, selbst Sohn einer jüdischen Auschwitz-Überlebenden und eines christlichen Vaters, fast immer dabei. «Dass meine Mutter jüdisch war, hörte ich erst als Zwölfjähriger. Das war im Nachhinein entscheidend für meinen persönlichen und beruflichen Werdegang», sagt er.

Die Schicksale, über die er erzählt, berühren ihn tief. Vor allem die der sogenannten «kleinen Leute».

Jette Gans war so eine Frau. Sie wurde 1877 in Grijpskerk, einem Dorf bei Groningen, geboren und siedelte sich später in der Stadt an. Gemeinsam mit ihrem Mann betrieb sie einen kleinen Laden neben der Synagoge. «Mit dem Handel von Gemischtwaren ist die Familie mehr schlecht als recht durchgekommen. Aber es ging so. Doch dann kamen Krieg und Schoa», erzählt van Bekkum. «Die Geschichte von Jette Gans, ihrem Mann und ihrem 23-jährigen Sohn endet 1943 in Sobibor. Sie hatten überhaupt keine Chance. Das berührt mich immer wieder, ich finde es unfassbar.»

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025

Sydney

Jüdische Bäckerei schließt wegen Antisemitismus

Nach Jahren der Anfeindungen und dem schwersten antisemitischen Anschlag auf australischem Boden hat eine beliebte jüdische Bäckerei für immer geschlossen

 18.12.2025

Strassburg

Glühwein und Kippa

In der selbst ernannten »Weihnachtshauptstadt« lebt eine traditionsbewusste jüdische Gemeinde. Wie passt das zusammen? Eine Reise zu koscheren Plätzchen und Pralinen mit »Jahresendgeschmack«

von Mascha Malburg  18.12.2025

Meinung

Weitermachen oder die jüdische Resilienz

Verfolgung, Exil und Gewalt konnten es nicht brechen: Die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes prägt seine Geschichte bis heute

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Australien

Bericht: Die Heldentat von Ahmed Al-Ahmed sorgt auch in Syrien für Jubel

Die Berichterstattung über den »Helden von Sydney« hat auch dessen Heimatort erreicht und bringt Stolz in eine Trümmerlandschaft

 18.12.2025

Berlin

Ehrung von Holocaust-Überlebenden

Die »International Holocaust Survivors Night« ehrt jedes Jahr Überlebende der Schoah. Die virtuelle Veranstaltung hat sich inzwischen zu einer Feier entwickelt, an der Teilnehmende aus fast 20 Ländern mitwirken

 18.12.2025

Sydney

Abschied von jüngstem und ältestem Opfer

Ganz Australien trauert: Die 10-jährige Matilda und der 87-jährige Holocaust-Überlebende Alex Kleytman sind beerdigt worden

 18.12.2025

Faktencheck

Bei den Sydney-Attentätern führt die Spur zum IS

Nach dem Blutbad am Bondi Beach werden auch Verschwörungsmythen verbreitet. Dass der jüngere Attentäter ein israelischer Soldat sei, der im Gazastreifen eingesetzt wurde, entspricht nicht der Wahrheit

 17.12.2025

Analyse

Rückkehr des Dschihadismus?

Wer steckt hinter den Anschlägen von Sydney – und was bedeuten sie für Deutschland und Europa? Terrorexperten warnen

von Michael Thaidigsmann  17.12.2025