USA

Leinwand-Kämpfer

Im Jahr 1943 komponierte Kurt Weill den wunderschönen Song »Speak Low«. Darin geht es um die Kurzlebigkeit der Liebe, verglimmende Gefühle und fallende Vorhänge. Und obwohl nichts in dem Lied, das später auch von Barbra Streisand gesungen werden sollte, konkret auf die Welt des Films anspielt, kommen beim Hören doch alte Kinoleinwände in den Sinn – und die verblichenen Gesichter jüdischer Darsteller wie Max Ehrlich, Dora Gerson und Kurt Gerron, für die der Vorhang brutal und viel zu früh fiel, weil sie im Holocaust ermordet wurden.

Doch es gab auch die, die überlebten, weil sie es nach Hollywood schafften, und dort weiter über die Leinwände flimmerten, glitzernd wie die Wellen des Pazifiks, leuchtend wie der kalifornische Himmel, der so blau ist, dass er manchmal weißlich blendet. Und immer noch kommen jüdische Darsteller nach Hollywood, nicht mehr stummfilmhaft schön, mit Capes und Wasserwelle, auf Chaiselongues ruhend oder durch alte Gärten streifend, sondern kraftvoll, selbstbewusst und laut.

Vor 24 Jahren schuf Ridley Scott mit Gladiator (2000) einen seiner größten Filme, mit Russell Crowe als Gladiator Maximus, der an Kaiser Commodus (Joaquin Phoenix) Rache nimmt für den Mord an seiner Frau und seinem Kind. Nun kommt mit Gladiator II die Fortsetzung in die Kinos, und diesmal spielt nicht, wie noch im ersten Teil, der deutsche Schauspieler Ralf Moeller den Gladiatoren-Trainer, sondern der israelische Filmstar Lior Raz, der einst mit Avi Issacharoff den Netflix-Hit Fauda erfand und als Undercover-Agent Doron weltberühmt wurde.

Nun schwitzt und blutet er in Gladiator II neben Paul Mescal, Denzel Washington und Pedro Pascal, und natürlich wird wieder Rache genommen. Lior Raz’ Filmrollen ähneln einander – meist spielt er den harten, Testosteron-getriebenen Einzelgänger, der sein weiches Herz unter der Brutalität gegenüber dem Feind schützt, desinteressiert an Eitelkeit und Kommerz. Nun ist der 52-Jährige in Hollywood angekommen.

Tatsächlich ist das jüdische Filmschauspiel so alt wie Hollywood selbst.

Dabei ist er einer von vielen internationalen jüdischen Stars, die ihren Platz in der Traumfabrik gefunden haben. Denken Sie nur an Timothée Chalamet (Dune), dessen Familie aus Frankreich stammt, an den gebürtigen Briten Aaron Taylor-Johnson (Kraven), an den in Puerto Rico geborenen Joaquin Phoenix (Joker) oder an Mila Kunis (Black Swan), die als Siebenjährige mit ihrer Familie aus der Ukraine nach Kalifornien emigrierte, um nur ein paar der aktuellen großen Namen zu nennen.

Tatsächlich ist das jüdische Filmschauspiel so alt wie Hollywood selbst. Der amerikanische Filmhistoriker Neal Gabler hat darüber den Klassiker Ein eigenes Reich: Wie jüdische Emigranten Hollywood erfanden (1989) geschrieben. Demnach waren es osteuropäische Juden, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in die USA kamen, dort auf einen latenten Antisemitismus trafen, der ihren gesellschaftlichen Aufstieg verhinderte und sie in das damals verrufene Filmgeschäft drängte.

In Hollywood schufen Unternehmer wie Adolph Zukor und Jesse L. Lasky die Paramount, Louis B. Mayer Metro Pictures, Samuel Goldwyn die Goldwyn Picture Corporation und die Warner-Brüder Harry, Sam, Albert und Jack Warner Brothers. In den 1910er-Jahren begann mit den großen Filmstudios das »Goldene Zeitalter« des Films.

Während die Nazis in Europa wüteten, kam eine neue Welle jüdischer Regisseure, Schauspieler, Set- und Kostüm­designer, Komponisten, Drehbuch­autoren vom alten Kontinent nach Hollywood. Viele hatten auch Erfolg, doch aus dem Innersten ihrer Industrie heraus erfuhren sie weiterhin Antisemitismus, wenn auch keinen tödlichen. Filme der Zeit, zum Beispiel House of Rothschild (1934), entwarfen antisemitische Stereotype, präsentierten Darsteller jüdischer Rollen mit großen Nasen, als Steuerbetrüger und habgierig.

Erst in den 60er-Jahren, die Zeit der Bürgerrechts- und der ersten identitätspolitischen Bewegungen, wurde »Jüdischsein« im Film zum Mainstream. Es gab eine jüdische A-List mit Namen wie Dustin Hoffman, Gene Wilder, Woody Allen, Barbra Streisand und Carol Kane. Sie waren glamourös, berühmt und gewannen Oscars.

Serienerfolge und »Jewface«

Später wurden TV-Serien wie Seinfeld, Die Nanny oder Mad about you zum Kult. Doch existierte parallel dazu immer noch das antisemitische »Jewface«, die überzeichnete, karikaturhafte und abschätzige Darstellung jüdischer Charaktere durch nichtjüdische Schauspieler – etwa im Drogenmafia-Klassiker Scarface (1983) oder auch in Francis Ford Coppolas gefeiertem Dreiteiler Der Pate. Es wurde damals aber keinesfalls kritisch diskutiert wie heute, wenn Helen Mirrens Auftritt als Golda Meir oder Bradley Coopers als Leonard Bernstein zu Feuilletonschlachten führen. Bis heute nicht verschwunden ist der verschwörungstheoretische, antisemitische Mythos von der jüdischen Kontrolle über das gesamte Filmgeschäft.

Schließlich sorgte erst im vergangenen Juni ausgerechnet die Ausstellung Hollywoodland: Jewish Founders and the Making of a Movie Capital des Academy Museum of Motion Pictures in Los Angeles mit einer Retrospektive über die jüdischen Gründerväter Hollywoods für einen Skandal mit deren Darstellung als machthungrige Räuber, Betrüger und Frauenjäger. Erst nach massiver, auch internationaler Kritik haben die Kuratoren die Ausstellung verändert. Juden, wie der Autor David Baddiel schreibt, »werden antisemitisch als erfolgreich, privilegiert und mächtig angesehen und benötigen daher nicht den Schutz, den die Identitätspolitik anderen Minderheiten gewährt«.

Plötzlich gab es eine A-List mit Namen wie Dustin Hoffman oder Gene Wilder.

In Gladiator II sagt Lior Raz’ Vigo einmal zu seinen muskulösen Auszubildenden: »Die Arena macht aus Sklaven Gladiatoren und aus Gladiatoren freie Menschen.« Viele Jahrzehnte lang haben jüdische Schauspieler und Schauspielerinnen in Hollywood ihr Jüdischsein nicht oder nur selten thematisiert, oder sie haben – dies gilt insbesondere für männliche Darsteller wie Jerry Seinfeld, Peter Sellers oder Jesse Eisenberg – das Image des schrulligen Nerds kultiviert.

Zum Glück müssen Mila Kunis, Aaron Taylor-Johnson und Timothée Chalamet heute nichts mehr verstecken. Im gefeierten Coming-of-Age-Film Call me by your name spielt Chalamet einen jungen jüdischen Mann, der lernt, seine jüdische Identität – und seine Homosexualität – zu akzeptieren und selbstbewusst zu leben. In einem Interview mit dem Filmkritiker Matt Hoffman beschrieb der mittlerweile 28-Jährige das Jüdischsein als treibende Kraft im Film, »unerklärlich, aber greifbar, wenn man es sieht«. Mal sehen, was Raz daraus macht.

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