Heiligtum

Schwieriger Status quo

Brennpunkt: Auch in dieser Woche gab es wieder Ausschreitungen. Foto: Flash 90

Manches Mal bedarf es lediglich eines Gerüchts, und schon bricht fast ein Krieg aus. Ein anderes Mal ist es so etwas Banales wie das Wetter, das die Stimmung beruhigt. In Jerusalem trifft beides zu. Während es in den vergangenen Wochen jede Nacht zu Ausschreitungen in den arabischen Vierteln und auf dem Tempelberg gekommen war, sorgte der Wintereinbruch am Wochenende mit starken Winden und Regengüssen zumindest für eine vorübergehende Ruhe in der Stadt. Je heftiger die Stürme toben, desto weniger Menschen – Demonstranten inklusive – begeben sich nach draußen.

Hauptsächlich aber glättete wohl der Aufruf von Premier Benjamin Netanjahu, »verantwortungsbewusst zu handeln«, die Wogen. Nach Medienberichten soll er am Sonntag zu einem Geheimtreffen mit dem jordanischen König Abdullah in Amman zusammengekommen sein. Auf der Tagesordnung habe nur ein Thema gestanden: wie die Ruhe auf und um den Tempelberg wiederhergestellt werden kann.

rechte Im Anschluss sagte Netanjahu: »Seit den Tagen Abrahams ist der Tempelberg die heiligste Stätte für unser Volk. Doch es ist auch der empfindlichste Kilometer der Welt. So sehr wir unsere Rechte betonen, so sehr sind wir ebenso bestrebt, den Status quo für alle Religionen zu wahren, um eine Explosion zu verhindern.« Er rief zur Besonnenheit auf allen Seiten auf, denn: »Es ist viel einfacher, einen religiösen Flächenbrand auszulösen, als ihn zu löschen.« Für diese Aussagen lobte ihn sogar Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der meinte, Netanjahus Worte seien ein Schritt in die richtige Richtung.

Zugleich hat das Kabinett in dieser Woche beschlossen, dass »Steinewerfer«, also Gewalttäter, die Gegenstände auf Menschen oder Fahrzeuge schleudern, mit Gefängnis bis zu 20 Jahren bestraft werden können.

Wahrzeichen Das heiß umkämpfte Plateau liegt auf einer Anhöhe in der Jerusalemer Altstadt. Auf Hebräisch Har Habait, auf Arabisch Haram al-Scharif, ist es nicht nur ein Ort, der Juden und Muslimen heilig ist, sondern gleichfalls das Wahrzeichen der Stadt. Schon von Weitem sieht man die goldene Kuppel des Felsendoms in der Sonne glitzern. Der Tempelberg ist als Har Moriah mehrfach in der Tora erwähnt. Hier sollte Awraham seinen Sohn Jizchak opfern. Und hier wurde der jüdischen Tradition zufolge der Tempel (Beit Hamikdasch) auf dem Ewen Haschtia, dem Stein, auf dem die Welt erschaffen wurde, errichtet.

Der Zweite Tempel wurde im Jahre 70 von den Römern zerstört. Bis zu der Eroberung des Landes durch die Araber lag das Gebiet rund 600 Jahre brach. Dann entstand an dieser Stelle mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee die drittheiligste Stätte des Islam. Als Israel im Sechstagekrieg 1967 die Jerusalemer Altstadt zurückeroberte, hatten Juden endlich wieder Zugang zum Areal. Seitdem betonen palästinensische Politiker und islamische Geistliche in aller Welt immer wieder ihren alleinigen Anspruch auf den Tempelberg, versuchen sogar, historische und religiöse Verbindungen der Juden mit diesem Ort zu leugnen.

friedensabkommen
So geht es immer wieder um den Status quo, der, wenn angetastet, die gesamte Region in Brand stecken könnte. Im Friedensabkommen mit Israel, das 2014 sein 20-jähriges Bestehen feiert, ist Jordanien eine besondere Verwalterrolle in Ost-Jerusalem zugesichert worden. Die religiöse Stiftung Waqf verwaltet den Tempelberg und die muslimischen Heiligtümer, Israel obliegt die generelle Sicherheitskontrolle.

Der Status quo besagt, dass es Menschen aller Religionen erlaubt ist, den Tempelberg zu besuchen, doch lediglich Muslime dort öffentlich beten dürfen. Allerdings geschah es mehr als einmal, dass die bloße Anwesenheit von Juden zu gewalttätigen Ausschreitungen von meist jungen Palästinensern führte. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Besuch des damaligen Regierungschefs Ariel Scharon im Jahr 2000.

Verbot Dabei ist es nicht nur der islamische Waqf, der keine Gebete von Juden auf dem Tempelberg wünscht. Das israelische Oberrabbinat untersagt es Juden generell, das Gebiet zu betreten. Dieses Verbot steht schwarz auf weiß auf einem Schild am Eingang und wurde erst im Dezember von den neuen Oberrabbinern bestätigt. Der Grund ist allerdings nicht die politische Lage, sondern die außergewöhnliche Heiligkeit dieses Ortes. Doch längst nicht alle Juden folgen der Empfehlung des Rabbinats.

Immer mehr modern-orthodoxe und nationalreligiöse Juden sehen das Beten auf dem Tempelberg als Grundrecht an. So argumentierte auch Jehuda Glick, der vergangene Woche bei einem Attentat von einem Araber schwer verletzt worden war. Doch es sind nicht mehr nur Extremisten, die mit Slogans wie »Wir jagen die Al Aksa in die Luft und bauen einen neuen Tempel« für Unruhe sorgten, sondern immer öfter Vertreter des religiösen Mainstreams. Sie argumentieren, dass verschiedene Stellen des Tempelberges nach Auslegungen rabbinischer Autoritäten des Mittelalters sehr wohl für Juden zugänglich sind.

sicherheitsleute Das meint auch Mosche Feiglin vom rechten Flügel des Likud. Er ist immer einer der Ersten, die auf den Tempelberg pilgern, nicht selten von Sicherheitsleuten bewacht. Auch vergangene Woche war er wieder hier und machte klar, was er vom Status quo hält: »Die Tatsache, dass ich eine Eskorte brauche, während die Araber sich frei bewegen, zeigt, wer hier Besucher und wer Herr des Hauses ist. Doch mit Gottes Hilfe werden wir diese Realität ändern.«

»Ob der Status quo richtig ist oder falsch, mag diskutiert werden«, schrieb daraufhin ein Kommentator in einer israelischen Tageszeitung. »Die Geschichte aber hat uns immer wieder gezeigt, dass Worte wie diese wie ein Spiel mit Zündhölzern im weltgrößten Laden für Feuerwerkskörper sind.«

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