Gaza-Flottille

Nie mehr Antalya

Demonstration vor der türkischen Botschaft in Tel Aviv Foto: Flash 90

Gaza-Flottille

Nie mehr Antalya

Israelis wehren sich gegen Kritik aus der Türkei. Das Verhältnis ist schwer beschädigt

von Sabine Brandes  07.06.2010 16:25 Uhr

Bei diesen Bildern stockt den Menschen der Atem. Blutende, verwundete israelische Soldaten in verrutschten Uniformen, denen Angst und Schmerz in den Gesichtern stehen. Sie sind jung, fast noch Kinder. Die Fotos, die jetzt von der türkischen Tageszeitung Hürriyet veröffentlicht wurden, sind nicht leicht zu verdauen, helfen aber zu verstehen, was tatsächlich an Bord der Mavi Marmara geschah. Während jeder der beiden Staaten noch Fakten sammelt, um als moralischer Sieger der blutigen Tragödie dazustehen, ist die Beziehung zwischen der Türkei und Israel tatsächlich bereits am Nullpunkt angelangt.

Protest »Wenn der Welt jetzt nicht klar ist, was hier gelaufen ist, dass unsere Jungs aus Notwehr gehandelt haben, dann wollen sie es nicht wahrhaben«, meint Schlomo Dalal aus Tel Aviv, während er seine Falafeltasche mit Sesamsauce füllt. Ihm sei von Anfang an klar gewesen, dass die Gaza-Flotte »nichts als Provokation« gewesen sei, um Israel wieder einmal öffentlich an den Pranger zu stellen. »Und die Hilfsgüter waren nur Tarnung.« Friedensaktivisten und Pazifisten würden keine Menschen lynchen wollen, meint Dalal voll Vehemenz.

Dieser Meinung waren auch die Hunderte von Israelis, die am vergangenen Montag vor der türkischen Botschaft in Tel Aviv auf die Straße gingen. Ihr Protest richtete sich gegen die Einmischung der Türkei, insbesondere des Premierministers Recep Tayyip Erdogan. »Provokation ist kein Friedensweg« oder »Stopp Hamas« war auf den Schildern zu lesen. Knessetmitglied Danny Danon, der bei der Demonstration dabei war, malte sich aus, was passieren würde, »wenn ein Schiff voller Terroristen an den Stränden der Türkei anlegen wolle. Ankara soll uns nicht über Menschenrechte belehren.« Die Toten tun uns leid, doch wir sind stolz auf unsere Sicherheitskräfte, fügte er hinzu.

Absagen Vor Kurzem noch erholten sich ganze Belegschaften bei Firmen-Kurzurlauben in den Luxushotels eine halbe Flugstunde entfernt. Jetzt ist der Tenor: »Ich will da nicht mehr hin!« Mehrere Reisegruppen weigerten sich in den letzten Tagen, in die Flieger zu steigen und verlangten von ihren Arbeitgebern Ausweichmöglichkeiten für ihre Betriebsausflüge. Die First International Bank hat bereits umgebucht. Jona Goldschlager, Vorsitzender der Bankgewerkschaft, erklärte, dass die Gaza-Flotte es unmöglich gemacht habe, israelische Angestellte in die Türkei zu schicken. Stattdessen habe er 600 Mitarbeiter gerade nach Kreta umgebucht, obwohl das teurer sei. »Diesen Sommer heißt es auch bei der Gewerkschaft der Bankangestellten: Überallhin, aber nicht in die Türkei.«

Das spürt auch Alon Siwan, Geschäftsführer des Last-Minute-Reisebüros Wallatours. Nach den letzten Zwischenfällen, etwa dem unrühmlichen Auftritt des türkischen Premiers beim Wirtschaftsgipfel von Davos im Februar 2009, gab er sich noch zuversichtlich, jetzt hat ihn der Optimismus verlassen. »Die Türkei existiert momentan nicht mehr auf unserer Landkarte«, gibt er offen zu. »Kein Mensch will nach Antalya. Die einstigen Türkeiurlauber buchen heute Griechenland oder Bulgarien, viele reisen für einen Kurztrip nach Europa«, so Siwan. Den israelischen Reisenden, die in den letzten Tagen noch in der Türkei weilten, als Demonstranten versucht hatten, das Konsulat Israels in Istanbul zu stürmen, hatte man geraten, in ihren Hotels zu bleiben und Menschenmengen zu meiden. Das Kreuzfahrtschiff »Magic 1« mit 850 israelischen Passagieren an Bord wurde von türkischen Häfen nach Zypern umgeleitet. Zudem gab die Regierung eine offizielle Reisewarnung für alle Israelis, insbesondere Soldaten, heraus. Vizepremier Dan Meridor sagte seine geplante Türkeireise kurzfristig ab.

Vorgeschichte Der tiefe Riss in der Beziehung der beiden Staaten entstand jedoch nicht erst an Bord der »Mavi Marmara«. Schon lange zuvor war die Freundschaft in bedrohlich schwere See geraten, einen Höhepunkt im Streit der einstigen Verbündeten gab es Anfang des Jahres 2009 mit dem Militärschlag gegen Gaza, der Ankara übel aufstieß, dann durch die beschämende Behandlung des türkischen Botschafters in Tel Aviv. Wiederholt strapazierte Erdogan durch seine heftigen Worte die Verbindung.

Daniel Zemet, Vizepräsident des Israelisch-Türkischen Geschäfts- und Handelsrates weiß, dass das Verhalten des türkischen Ministerpräsidenten für Israel zutiefst irritierend ist. Durch dessen verbale Attacken und die stetige Annäherung an den Iran und Syrien könnte die Verbindung so nicht mehr aufrechterhalten werden, ist er sicher. »Wir fühlen uns von ihm einfach betrogen.«

Verhältnis David Schalom spricht fließend Türkisch, obwohl er in Israel geboren ist, seine Eltern stammen ursprünglich aus Ankara. Ob der Einsatz des israelischen Militärs auf dem Schiff der Gaza-Flotte unverhältnismäßig war, will der 43-Jährige nicht sagen, besonders nach dem Auftauchen der neuen Fotos von misshandelten Soldaten weiß Schalom nicht, wie er selbst in einer derartigen Situation gehandelt hätte. »Ich denke aber, dass es falsch war, überhaupt an Bord zu gehen, denn es war abzusehen, dass es Gewalt geben würde. Israel ist in eine inszenierte Falle getappt. Man hätte die Dampfer nach Gaza schippern lassen sollen und Schluss.« Leid tut es ihm besonders um das »einst so gute Verhältnis zur Türkei«, das der Geschäftsmann auch beruflich nutzte. »Die Türkei war eine Insel in einem Meer von Feinden, der einzige muslimische Verbündete Israels. Das ist nun wohl vorbei, und es ist wirklich sehr bedauerlich.«

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