Jerusalem

Kompromiss in letzter Minute?

Knessetsprecher Yuri Edelstein: Wird am 25. Februar 2020 das Parlament nochmals neu gewählt? Foto: Flash 90

Die Tage sind gezählt. Bis zum Ablauf der letzten Möglichkeit, eine Regierung zu bilden, ist weniger als eine Woche Zeit. Dann läuft auch diese Frist ab. Ein Treffen zwischen Premier Benjamin Netanjahu und dem Chef der Zentrumsunion, Benny Gantz, endete am Dienstagabend erfolglos und wurde nach 45 Minuten abgebrochen. Nun drängen andere Knessetmitglieder in letzter Minute auf eine Einheitsregierung.

Allen voran der sogenannte Königsmacher in der israelischen Politik, Avigdor Lieberman von Israel Beiteinu. Der sagte am selben Abend, dass er mit einer knappen Rechtsregierung koalieren würde, sollte Gantz keinen Kompromiss eingehen.

Abgeordnete in seiner eigenen Partei übten Druck auf ihn aus, damit er einer Regierung aus Likud, rechten und religiösen Parteien beitritt, mit Netanjahu an der Spitze. Fernsehkanal 12 berichtete, dass die Israel-Beiteinu-Abgeordneten Oded Forer und Hamad Amar die Forderungen von Gantz, im Falle einer Rotation als Erster den Chefsessel zu übernehmen, überzogen finden.

Ein Treffen zwischen Gantz und Netanjahu wurde nach 45 Minuten abgebrochen.

Allerdings würde dies bedeuten, dass Lieberman doch wieder mit den ultraorthodoxen Parteien in einer Koalition sitzen würde. Etwas, das er seit den Wahlen im April kategorisch ausgeschlossen hatte. »Schwer zu sagen, was schlimmer ist, vorgezogene Wahlen oder eine knappe Regierung«, zitierte der Fernsehbericht den Politiker.

bedingung Auch Ayelet Shaked von Hajamin Hachadasch will Gantz überzeugen, doch noch eine breite Regierung zu Netanjahus Bedingung einzugehen, dass er als Erster an der Spitze steht. Sie versprach, dafür zu sorgen, dass der amtierende Ministerpräsident sich an das Rotationsprinzip halten werde. Offenbar hat Gantz Sorge, dass Netanjahu am Ende seiner sechsmonatigen Frist die Regierung lieber auflösen würde, statt sein Büro zu räumen. »Sollte Netanjahu dies beschließen, würden wir, der gesamte rechte Block, bei Gantz bleiben«, versicherte Shaked.

Sie bezeichnet den Rotationsvorschlag mit dem Wechsel des Ministerpräsidentenamtes als »super fair« und sieht keinen Grund, ihn nicht zu akzeptieren. »Wir müssen uns daran erinnern, dass wir uns auf Wahlen zubewegen. In dieser Phase würde Netanjahu ohnehin für sechs Monate Premierminister bleiben. Warum also diese soziale Kluft schaffen und Milliarden Schekel verschwenden?«

Gantz und die Nummer zwei, Yair Lapid von Blau-Weiß, aber scheinen sich nicht auf einen Kompromiss einlassen zu wollen. Vor Parteimitgliedern sagte Gantz, er wolle keine dritten Wahlen, aber auch keine »Albtraumregierung«. Dann, direkt an Netanjahu gerichtet, fügte er hinzu: »Blau-Weiß hat die Wahl gewonnen, doch wir sind zu einer Rotation bereit. Ich werde für zwei Jahre dienen, während Sie Chef des Likud bleiben können.«

FINANZEN Darüber hinaus kosten Wahlen Geld. Viel Geld. Nach Angaben des Israelischen Herstellerverbandes (MAI) beläuft sich die Gesamtrechnung von drei Wahlen in Folge auf mehr als drei Milliarden Euro. Die Organisation, die alle öffentlichen und privaten Industrien im Land vertritt, rechnet die Ausgaben für die Wahltage auf, die per Gesetz arbeitsfrei sind. Dadurch machen die Unternehmen Verluste, weil sie an diesen Tagen geschlossen bleiben. Hinzu kommen die Kosten für den Wahlkampf und die Tätigkeiten des Wahlkomitees, die vollständig vom Staat finanziert werden.

Die internationale Ratingagentur »Moody’s« warnte, dass es einen negativen Effekt auf das Ranking des Landes haben könnte, wenn keine Regierung zustande kommt, da wirtschaftliche Probleme dann nicht gelöst werden könnten. Es sei nötig, dass es eine Regierung gibt, die sich mit den hohen Defiziten auseinandersetzt und einen Haushalt für 2020 verabschiedet.

Noch größer als die finanziellen Herausforderungen ist nach Meinung von Experten der Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber der Regierung. Präsident Reuven Rivlin hatte nach den Wahlen im September mehrfach davor gewarnt, dass das Ansehen der öffentlichen Einrichtungen leide, sollte auch dieses Mal wieder keine Regierung zustande kommen.

sorge Diese Sorge drückt sich auch in Zahlen aus. In einer Umfrage des israelischen Demokratieinstituts (IDI) sprachen sich im November mit 49 Prozent ganze zehn Prozent weniger positiv aus als noch im April, als sie zum ersten Mal ihre Stimmen abgaben.

Die Ratingagentur Moody’s droht mit einer Herabstufung des Landes.

Der Präsident des IDI, Yohanan Plesner, versteht die Stimmung: »Wenn es sich um ein privates Unternehmen handeln würde, das keine Entscheidungen trifft, kämen die Wettbewerber zum Zug, und die Firma wäre in großer Gefahr unterzugehen. Wir können uns keine Nachlässigkeit erlauben und eine derartige Situation hinnehmen, nur weil es hier um eine Regierung geht.«

Die Bürger seien eindeutig gegen eine dritte Wahl, auch wenn sie mit dem Ergebnis der letzten unzufrieden waren. »Sie wollen einen klaren Ausgang bei Wahlen, aber glauben nicht, dass es einen geben wird. Also fordern sie, dass die Politiker und das politische System eine Lösung finden.«

VERLUSTE Im April und September 2019 hatten die beiden großen Parteien Likud und Blau-Weiß gleichauf gelegen beziehungsweise mit nur einem Mandat Unterschied abgeschnitten. Keine von ihnen kann ohne kleinere Parteien eine Regierung bilden. Dass sich das bei Neuwahlen ändern würde, ist unwahrscheinlich – und doch gibt es kein Gesetz, das weitere Wahlen verhindern würde.

Jüngsten Umfragen des Fernsehkanals 12 zufolge würde der Likud unter Netanjahu beim dritten Urnengang 33 Mandate holen, Blau-Weiß 34. Das wäre ein fast identisches Ergebnis wie das im September, als die Wähler den Parteien 32 und 33 Sitze gaben. Bei den kleineren Parteien würde sich wenig ändern.

Allerdings könnte der Likud der Umfrage zufolge massiv verlieren, wenn er sich für einen anderen Vorsitzenden entscheidet. Netanjahu hatte Vorwahlen in seiner Partei innerhalb der kommenden sechs Wochen zugestimmt. Gideon Saar, ehemaliger Innenminister und Netanjahus Herausforderer, würde bei nationalen Wahlen lediglich 26 Sitze auf sich vereinen, prognostiziert die Umfrage. Er ist bislang der Einzige, der im Likud den Aufstand probt. Er stellte sich nach der Verkündung der Anklage gegen Netanjahu offen gegen den amtierenden Premier und forderte ihn zum Rücktritt auf.

Es gibt kein Gesetz, das weitere Wahlen verhindern würde.

In der vergangenen Woche hatte Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit erklärt, dass Netanjahu nach zweijährigen Ermittlungen wegen Korruption in drei Fällen angeklagt wird. Netanjahu lehnt einen Rücktritt jedoch ab und betont, sämtliche Vorwürfe seien frei erfunden und eine »Hexenjagd«. Eine gesetzliche Grundlage, die ihn zum Rücktritt zwingt, gibt es nicht. Mandelblit übergab die Anklage der Knesset, ab diesem Datum hat Netanjahu 30 Tage Zeit, um Immunität zu beantragen. Äußerungen verschiedener Politiker zufolge sieht es derzeit nicht so aus, als würde er damit Erfolg haben.

anklagebank In diesem Fall müsste Netanjahu auf die Anklagebank. Ein Prozess könnte sich über Monate oder sogar Jahre hinziehen. Denn die Liste der Zeugen ist lang. 333 Männer und Frauen werden von Mandelblit angeführt, darunter illustre Namen wie der Kasinoeigentümer Sheldon Adelson, der Hollywood-Filmproduzent Arnon Milchan sowie der israelische Botschafter in den USA, Ron Dermer. Besonders der Anhang der Anklageschrift dürfte Netanjahu nicht gefallen: »Im Falle einer Verurteilung könnte die Anklage eine Gefängnisstrafe fordern.«

Ob die politische Lähmung doch noch bis zum 11. Dezember aufgelöst werden kann und eine Koalition in Jerusalem zustande kommt, ist bei Redaktionsschluss weiter offen. Sollte dies nicht geschehen, wären die nächsten Schritte die Auflösung der Knesset und erneute Wahlen – zum dritten Mal innerhalb eines Jahres. Es wäre das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass es zweimal hintereinander Neuwahlen gibt. Der früheste Termin dafür wäre der 25. Februar 2020.

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