Israel

Im permanenten Ausnahmezustand

Israelis im Schutzraum (Archivbild) Foto: imago/Xinhua

In Israel kennt mittlerweile jeder den Klang der Sirenen. Jedes Kind weiß, was ein Schutzraum oder ein Bunker ist, und wie lange beziehungsweise wie kurz die Zeitspanne ist, die einem bleibt, um ihn aufzusuchen, bevor laute Knalls ertönen.

Während anderswo viele schon wegen der Sirene eines Krankenwagens zusammenzucken, ist für Israelis der Raketenalarm zum Alltagsbegleiter geworden. Die Sirenen und Warntöne der Handys gehen ins Mark einer ganzen Nation. Und sie hallen bis in die Diaspora nach. Für viele Juden ist die Verbindung zu Israel so stark, dass selbst tausende Kilometer Entfernung die Bindung nicht schwächen können.

Shani J.* aus Tel Aviv beschreibt den vergangenen Freitag, als Israel die iranischen Nuklearanlagen und die Führung der Islamischen Revolutionsgarden angriff, so: »Nach einem Jahr und acht Monaten ist dies ein entscheidender Moment im Krieg gegen jene, die versuchen, uns auszulöschen. Ich bin stolz auf unsere Armee und Sicherheitskräfte, die ihr Leben riskieren, damit wir in Frieden leben können. Es fühlt sich nicht anders an als die Zeit seit Beginn des Krieges am 7. Oktober 2023. Natürlich mache ich mir Sorgen um meine Familie, aber ich versuche, das Leben so normal wie möglich weiterzuführen und den Sicherheitsanweisungen zu folgen.«

»Zeit zu handeln«

Ricarda Louk, deren Tochter Shani Louk am 7. Oktober 2023 auf dem Nova Festival ermordet wurde, war am Vorabend des Angriffs auf einer Feier: »Freunde von Shani hatten ein kleines Musik-Festival in Erinnerung an sie organisiert, an dem wir teilnahmen. Das Fest wurde um 3 Uhr morgens gestoppt, was für alle enttäuschend war. Wir waren in der Nähe des Flughafens auf einem offenen Gelände – nicht der beste Ort. Ich bin dann mit meinen Söhnen nach Hause gefahren. Die Lage war angespannt, alle sind in ständiger Bereitschaft und bereiten sich auf Stromausfall und Wassermangel vor. Wir hoffen, dass die Lage bald ruhiger wird und diese Aktion zukünftige Angriffe sowie die Atomgefahr vermindert.«

Lior G. lebt im Norden Israels. Der Reservist ist Vater zweier Kinder. »Der Weckruf um drei Uhr morgens war laut und beunruhigend. Als wir von dem Angriff erfuhren, waren wir überrascht, aber wissen seit Jahren um die Bedrohung. Golda Meir sagte schon vor 50 Jahren: ›Wenn die Araber ihre Waffen niederlegen, gäbe es keine Gewalt mehr. Würden die Juden ihre Waffen niederlegen, gäbe es kein Israel mehr.‹ Es ist Zeit zu handeln, um Frieden zu schaffen. Meine Sorge ist, ob wir genug Zeit haben, um die Aufgabe zu Ende zu bringen und unseren Kindern einen sicheren Ort zu bieten. Meine Gedanken sind auch bei der iranischen Bevölkerung, für die diese Nacht vielleicht ein erster Schritt in Richtung Freiheit war.«

»Die Hoffnung bleibt«

Elinor D. aus Tel Aviv berichtet über den Morgen des 13. Juni 2025: »Ich war wach, als die Sirene um 3 Uhr ertönte. Meine erste Reaktion war Angst – um meine Familie, unsere Soldaten und die Geiseln in Gaza. Leider sind wir es gewohnt, nachts in Schutzräume zu rennen. Trotzdem war es eine schlaflose, angespannte Nacht.«

Für sie ist heute vor allem eines wichtig: »Stolz auf unsere Luftwaffe, Geheimdienste und Streitkräfte. Diese Maßnahme war notwendig, um unsere Sicherheit und die der Welt zu gewährleisten.« Elinor hofft, dass »die Aktion die iranische Bedrohung beseitigt und das Volk dort vom Extremismus befreit. Im Moment habe ich keine Angst.«

Oz G., der ein Café in Tel Aviv betreibt, nimmt alles mit fast stoischer Gelassenheit. Es sei halt eine weitere typische Nacht in Tel Aviv gewesen. Er sagt: »Vertraue niemandem. Erledige die Sache selbst. Wir haben die beste Armee und den besten Geheimdienst. Die Hoffnung bleibt, aber der Rest der Welt muss jetzt die Arbeit beenden, die wir für die Menschlichkeit begonnen haben.«

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Der 7. Oktober 2023 hat tiefe Wunden geschlagen, die längst noch nicht verheilt sind. Tausende trauern, Tausende kämpfen, Zehntausende leben in Angst – wegen der Geiseln in Gaza, wegen der Gefallenen, wegen der Furcht vor dem nächsten Angriff, der nächsten Sirene.

Der Schlag auf das iranische Atomprogramm und die Reaktion im Land zeigt die vielschichtige Gefühlswelt einer Gesellschaft im Ausnahmezustand. Unsicherheit und Zuversicht liegen dicht beieinander. Vielleicht ist es genau diese Fähigkeit, auch unter großem Druck weiterzuleben, die Israel prägt. Die Gesellschaft diskutiert, ringt, streitet. Aber sie steht.

*Einige Nachnamen wurden auf Wunsch der Betroffenen abgekürzt.

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