Corona

»Frieden zahlt die Rechnung nicht«

Leere Gassen in der Jerusalemer Altstadt: Seit vergangenem Freitag befindet sich ganz Israel in einem strikten Lockdown. Foto: Flash 90

Eli Yehuda, Besitzer eines Café-Kiosks im Zentrum von Tel Aviv, ist wütend auf die Regierungspolitik. »Die Leute dürfen sich einen Kilometer von ihren Wohnungen wegbewegen. Also könnten sie bei mir vorbeikommen, Kaffee und ein frisches Teilchen abholen, natürlich ohne sich hinzusetzen. Ich habe hauptsächlich Stammkunden aus der Gegend, und das würde mein Geschäft vielleicht retten.«

Doch momentan ist das verboten, lediglich Lieferungen sind erlaubt. Ganz Israel befindet sich seit vergangenem Freitag wegen steigender Zahlen von Corona-Infektionen in einem strikten Lockdown, währenddessen sämtliche »nicht essenziellen Geschäfte«, Schulen und Kindergärten sowie Büros mit Publikumsverkehr geschlossen bleiben.

»Ganz ehrlich, wer bestellt Kaffee und Kuchen nach Hause? Doch kein Mensch!« Der Geschäftsinhaber ist bitter enttäuscht, wie wenig sich die Politiker seiner Meinung nach in die normalen Menschen hineinversetzen, »Eltern kleiner Kinder, die nicht wissen, wie sie ihren Alltag bewältigen, Arbeitslose, die um ihre Zukunft bangen, und Ladeninhaber, die oft alles verlieren, wofür sie lange Jahre gearbeitet haben …«

SORGEN »Netanjahu ist ein Meister der großen Politik, die Normalisierung mit den Golfstaaten ist sicher gut für die Region«, lobt Yehuda den Premier. »Von den Sorgen des kleinen Mannes hat er allerdings keine Ahnung, und es schert ihn wenig. Aber Frieden bezahlt den Supermarkt nicht.«

Am Morgen nach Rosch Haschana waren die Straßen im Land leerer als sonst, als die Israelis zwar zur Arbeit zurückkehrten, aber viele im Homeoffice blieben. Dennoch gab es auf Hauptverkehrsadern der großen Städte lange Staus. Die Polizei hatte Dutzende von Straßensperren aufgestellt, um zu überprüfen, ob nur jene ihr Haus verlassen, denen es erlaubt ist. »Im Großen und Ganzen sehen wir, dass sich die Öffentlichkeit an die Regeln hält«, fasste Polizeichef Motti Cohen zusammen. Zuvor wurde befürchtet, dass sich ein Großteil der Israelis nicht an die strikten Regeln halten würde, die von vielen als »unsinnig und verwirrend« bezeichnet werden.

Derzeit gibt es rund 53.000 aktive Corona-Infektionen, in den Krankenhäusern befinden sich knapp 1400 Patienten, in ernstem Zustand sind 650, mehr als 170 werden künstlich beatmet. Viele Krankenhäuser berichten, dass ihre Corona-Stationen kurz vor der Auslastung stehen oder diese bereits überschritten haben. Experten gehen davon aus, dass bei 800 Schwerkranken die Grenze erreicht ist.

Krankenhäuser in Jerusalem und Aschdod können wegen Überfüllung schon keine Corona-Patienten mehr aufnehmen. Außerdem sind auf Anordnung des Gesundheitsministeriums nicht notwendige Operationen bis auf Weiteres ausgesetzt. Der Direktor des Hadassah-Medizinzentrums in Jerusalem, Zeev Rothstein, kritisierte die Entscheidung. Seine Ärzte seien noch immer damit beschäftigt, Patienten zu helfen, deren Behandlung während des ersten Lockdowns verzögert wurde. »Operationen zu verschieben, wird viele Menschen schädigen. Im März und April sind Israelis dadurch gestorben.« Rothstein hat vor, so gut wie alle OPs in den beiden Hadassah-Krankenhäusern weiterhin durchführen zu lassen.

In den ersten vier Tagen des neuen Lockdowns kamen 42.000 weitere Arbeitslose hinzu.

Derzeit liegt die Rate der positiven Corona-Testergebnisse in Israel zwischen elf und zwölf Prozent. Erst wenn diese auf sieben gesunken sei, könne man über eine Erleichterung der Maßnahmen sprechen, machte der Generaldirektor im Gesundheitsministerium, Itamar Grotto, deutlich. Bis dahin könnten die jetzigen Maßnahmen sogar noch verschärft und die wirtschaftliche Aktivität reduziert werden. Angeblich gehe es nicht mehr darum, ob, sondern nur noch darum, wann.

Auch werden Schulen und Kindergärten nach dem Ende des Lockdowns nicht wieder geöffnet, ließ das Ministerium wissen. »Die Schüler haben sich nicht an die Kapsel-Regel gehalten«, lautete die Begründung des stellvertretenden Ministers Yoav Kisch. Was in Schweden oder Deutschland vielleicht funktioniere, klappe im Staat Israel nicht.

Die Generaldirektorin im Finanzministerium, Keren Terner-Eyal, schrieb daraufhin, dass »neue Restriktionen dramatische und schmerzhafte Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hätten, die in der nahen Zukunft Milliarden von Schekeln kosten. Langfristig würde dies allerdings noch viel dramatischere wirtschaftliche und soziale Folgen haben«. Sie meint, dass man vor einer Verschärfung abwarten müsse, wie sich die Infektionsrate im Rahmen des Lockdowns entwickelt.

FOLGEN In den ersten vier Tagen der Abriegelung hatten knapp 42.000 weitere Menschen ihre Beschäftigung verloren. Sie hatten in Hotels, Restaurants und anderen Geschäften gearbeitet, die ihre Türen jetzt wieder zusperren mussten. Die Arbeitslosenquote liegt noch immer bei 20 Prozent. Zur Abmilderung der Folgen der Corona-Krise hat das Kabinett Ausgaben von geschätzten 2,6 Milliarden Euro gebilligt. Zudem wurde ein Plan bestätigt, die Bezüge des Ministerpräsidenten sowie von Abgeordneten und Ministern vorübergehend um zehn Prozent zu kürzen. »Wir alle müssen die Last tragen«, so Netanjahu.

Für dessen Rücktritt wegen der Korruptionsvorwürfe demonstrieren weiterhin jeden Samstagabend Tausende vor seiner Residenz. Immer mehr schließen sich an, um gegen die Corona-Politik zu demons­trieren.
Am vergangenen Schabbat tauchten dabei zwei Männer aus Netanjahus Beraterkreis auf. Einer von ihnen, Topaz Luk, hätte sich zu dieser Zeit in Selbstisolation befinden müssen. Luk war unterwegs mit einer Kamera, um die Proteste gegen seinen Chef aufzunehmen, und kam anderen Menschen nahe. Dabei fiel ihm nicht auf, dass er selbst gefilmt wurde – live im Fernsehen. Ein anderer Berater, Reuven Azar, brach ebenfalls die Quarantäne, als er sich auf den Straßen Jerusalems bewegte. Luk und Azar müssen 5000 Schekel Strafe zahlen.

Netanjahu twitterte kurz darauf: »Auf einmal regen sich alle über einen einzigen Mann auf.« Die Worte waren in Anlehnung an die zahlreichen Protestierenden gewählt. Allerdings ist unter den Demonstranten bislang niemand gefunden worden, der Quarantäneregeln verletzt hätte.
Eli Yehuda demonstriert nicht mit. »Dafür habe ich keine Zeit. Ich muss sehen, dass ich irgendwie über die Runden komme, das ist sehr anstrengend. Und wenn ich frei habe, will ich von alledem nichts hören und sehen.«

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