Eigentlich ist Amichai Chikli für den weltweiten Kampf gegen Antisemitismus und die Angelegenheiten der Juden in der Diaspora zuständig. Außerdem war er bis 2024 im Kabinett auch für gesellschaftliche Chancengleichheit in Israel verantwortlich. Doch zu internationaler Bekanntheit gebracht hat der Likud-Politiker es vor allem mit öffentlichkeitswirksamen Provokationen.
So brachte Chikli im März sogar Präsident Isaac Herzog in Verlegenheit, weil er führende Vertreter rechtspopulistischer und rechtsradikaler europäischer Parteien zu einer Antisemitismuskonferenz nach Jerusalem eingeladen hatte. Die sollten eigentlich auch zu einem Empfang beim israelischen Staatspräsidenten teilnehmen. Doch dann hagelte Absagen - vor allem aus Europa. Der britische Oberrabbiner Ephraim Mirvis, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Volker Beck und andere geladene Teilnehmer gaben Chikli einen Korb.
Doch den schienen die zahlreichen Absagen wenig zu kümmern; die Antisemitismustagung fand trotzdem statt. Mit Vorliebe tritt der 44-jährige Likud-Minister bei Konferenzen von Thinktanks und Parteien des äußersten rechten Randes auf. Der Sohn eines Masorti-Rabbiners, der in einem Kibbuz aufwuchs, profiliert sich mit Vorliebe mit markigen Statements, in denen er Homosexuelle, Linke und Kritiker der amtierenden israelischen Regierung angreift.
Viele jüdische Gemeinden in Europa wollen deswegen mit dem redegewandten Politiker nichts zu tun haben. Bereits 2023 rief die damalige Präsidentin der Europäische Union jüdischer Studenten (EUJS) zu einem Boykott Chiklis auf. Dieser sei kein geeigneter Gesprächspartner für die Diaspora.

Doch den scheint Kritik eher anzuspornen. Jetzt hat der Minister den Zorn der jüdischen Gemeinschaft Großbritanniens auf sich gezogen. Selbst konservative Kommentatoren verurteilen Chikli für seine Einladung an den englischen Rechtsextremisten Stephen Yaxley-Lennon, der sich seit einigen Jahren nach einem Fußball-Hooligan Tommy Robinson nennt und Gründer der islamfeindlichen English Defence League ist.
Für das Board of Deputies of British Jews, den britischen Zentralrat der Juden, ist Robinson ein »Schläger«, der das Schlechteste verkörpere, was Großbritannien ausmache. Der rechte Aktivist saß bereits mehrere Gefängnisstrafen ab, unter anderem wegen Körperverletzung, Versicherungsbetrug und Drogenbesitzes. Juden, die er nicht leiden konnte, ging Robinson scharf an. Auf der Plattform X bezeichnete er eine Aktivistin als »Schwein«. Auch antisemitische Verschwörungstheorien wie die vom »Großen Austausch« hat Robinson bereits verbreitet.
2022 veröffentlichte er auf seiner Webseite ein Statement zur »jüdischen Frage«, im er behauptete, es gebe »mächtige jüdische Menschen, die sich als Zionisten bezeichnen und die in der Unterhaltungsindustrie, in der Tech-Branche, in den Mainstream-Medien, in der Musikindustrie, in Hollywood und in Regierungen die Fäden in der Hand halten«. Robinson war eine Zeitlang auch Mitglied der British National Party, dem britischen Pendant zur NPD in Deutschland.
Doch für Amichai Chikli und andere führende Likud-Politiker ist der 43-jährige Robinson trotz alledem in Israel herzlich willkommen. Die Regierung in Jerusalem will sogar die Kosten für Robinsons umstrittene Reise übernehmen. Am 13. Oktober muss der Brite sich erneut vor Gericht verantworten. Doch anschließend will er nach Israel kommen, teilte Robinson am Wochenende mit. Am 18. Oktober wird er zu einem öffentlichen Auftritt im Tel Aviv International Salon erwartet, der Kartenvorverkauf hat bereits begonnen.
Auch der Knesset werde er einen Besuch abstatten, so Robinson. Der Parlamentsvorsitzende Amir Ohana, ein Parteifreund Chiklis, nannte ihn auf X sogar kumpelhaft seinen »Mate«. Er freue sich auf den Besuch. »Du leistest deinem Land einen großartigen Dienst, aber mehr noch ... Die westliche Zivilisation wird angegriffen – und da es ist unsere Pflicht, fest zusammenzustehen – und zu gewinnen. Wir sehen uns in Jerusalem!«
Auslöser für die Einladung war der – möglicherweise islamistisch motivierte – Terroranschlag auf die Synagoge in Manchester am vergangenen Donnerstag. Zwei Mitglieder der Hebrew Congregation Heaton Park im Stadtteil Crumpsall starben an Jom Kippur, als ein gebürtiger Syrer mit einem Auto in eine Menschenmenge vor dem Gotteshaus fuhr und anschließend mit einem Messer auf Beter und Sicherheitsleute einstach.
»Unterstützer von Israels Kampf gegen islamistischen Terror«
Tommy Robinsons problematische Vergangenheit und Aussagen wischte Chikli auf X einfach beseite. Er sei halt an den ›falschen Orten aufgewachsen‹. »Er hat keinen Lebenslauf, der ihm die Türen zu einer Karriere in der Elite öffnet. Und doch ist er einer der prominentesten Führer im weltweiten Kampf gegen den radikalen Islam. Und er ist eine der prominentesten Stimmen, die Israels Kampf gegen den islamistischen Terrorismus unterstützen«, schrieb der Minister auf X.
Robinson besitze »eine natürliche Führungsgabe, die Millionen von Briten dazu inspiriert hat, auf die Straße zu gehen, und er ist so zum Albtraum der Verfechter politischer Korrektheit und multikultureller Dogmen geworden«, fügte er in Anspielung auf eine Großdemonstration, die Robinson Mitte September in London organisiert hatte, hinzu.

Israel brauche nun einmal »Freunde und Partner wie Tommy an unserer Seite, auch wenn wir nicht in allem einer Meinung sind und auch wenn sein Lebenslauf ziemlich chaotisch ist«, meinte Chikli. Unter Kabinettskollegen und Parteifreunden in Israel gaben ihm viele Rückendeckung.
Doch in Großbritannien hat der Diasporaminister sich damit kaum Freunde gemacht. »Nur dem Namen nach« sei Chikli ein Minister für die Diaspora. »In unserer dunkelsten Stunde«, so das Board of Deputies in seiner Erklärung, »hat er die Ansichten der großen Mehrheit der britischen Juden ignoriert, die Robinson und alles, wofür der steht, entschieden und konsequent ablehnen«.
»Dummer und gefährlicher Fehler«
Noch schärfer formulierte es die jüdische Publizistin Melanie Philips. »Dass israelische Minister – israelische Minister! – die Verteidigung der Juden, Großbritanniens und des Westens mit einem Mann in Verbindung bringen, der für neonazistischen Extremismus, Rowdytum, Gewalt, Aufwiegelung, Einschüchterung und Missachtung des Rechtsstaat bekannt ist, ist absolut schockierend. Die unermessliche Dummheit und Ignoranz dieser israelischen Minister kann man kaum überbetonen«, schrieb Philips, die selbst für ihre konservativen und islamkritischen Positionen bekannt ist, auf ihrer Webseite.
Dann wurde sie noch deutlicher: »Robinson steht nicht ›an vorderster Front im Kampf gegen den radikalen Islam‹. Er schürt Hass gegen alle Muslime. Seine hetzerische Rhetorik und seine häufigen Falschbehauptungen haben Berichten zufolge dazu beigetragen, psychisch gestörte Menschen zu Gewalttaten gegen Muslime anzustacheln.« Mit der Einladung an Robinson habe Chikli die ohnehin schon schwierige Lage der Juden in Großbritannien noch schlimmer gemacht, wetterte die Kolumnistin. Das sei »ein sehr dummer und gefährlicher Fehler«.
Tommy Robinson sieht das naturgemäß ganz anders. Gerade nach dem Anschlag von Manchester stehe er an der Seite Israels, schrieb er auf X. »Als Christ bin ich tief bewegt, auch in die Fußstapfen meines eigenen Glaubens zu treten. Ich habe vor, wichtige christliche Heiligtümer zu besuchen, darunter die Grabeskirche in Jerusalem, den See Genezareth und weitere. Ich werde die heiligen Stätten besuchen, an denen das Christentum entstanden ist. Ich hoffe auch, nach Gaza zu kommen«, schrieb Robinson auf X.
Er freue sich schon darauf, »durch die Straßen Jerusalems zu gehen, die Menschen Israels kennenzulernen und Seite an Seite mit einer Nation zu stehen, die sich angesichts des Terrors nicht unterwirft.« Er sei schließlich »ein stolzer britischer Patriot und Zionist«. Seinen Post endete Robinson mit den Worten: »KEINE KAPITULATION. Danke Amichai Chikli für die Einladung«.