Knesset

Das Mandat geht an Gantz

Premier Netanjahu gibt Versuch der Regierungsbildung auf – Bündnis Blau-Weiß strebt ein liberales Einheitsbündnis an

von Sabine Brandes  24.10.2019 13:38 Uhr

Benny Gantz: Schafft er eine regierungsfähige Koalition? Foto: Flash 90

Premier Netanjahu gibt Versuch der Regierungsbildung auf – Bündnis Blau-Weiß strebt ein liberales Einheitsbündnis an

von Sabine Brandes  24.10.2019 13:38 Uhr

Mehr als fünf Wochen nach den Wahlen in Israel gibt es noch immer keine Regierung. Doch die Karten werden neu gemischt. Am Dienstag gab Interimspremier Benjamin Netanjahu das Mandat zur Regierungsbildung ab. Einen Tag darauf (nach Redaktionsschluss) wollte Präsident Reuven Rivlin es dem Vorsitzenden der Zentrumsunion Blau-Weiß, Benny Gantz, offiziell übergeben. Der hätte dann 28 Tage Zeit, um eine funktionierende Regierung auf die Beine zu stellen.

Umfrage Viele sagen, dass es auch jetzt noch wahrscheinlich ist, dass die Israelis bald wieder zur Wahl müssen – zum dritten Mal. Die würde Umfragen zufolge keine anderen Ergebnisse bringen als die vorherige. Blau-Weiß bliebe stärkste Partei, gefolgt vom Likud, der Vereinten Arabischen Liste und Israel Beiteinu. Bei den Wahlen am 17. September hatte Blau-Weiß 33 Mandate geholt, der Likud 32.

Einige jedoch widersprechen. Netanjahus Verbündeter David Bitan vom Likud beispielsweise ist der Meinung, dass es definitiv zu keiner dritten Wahl kommen wird. Stattdessen werde in den letzten 21 Tagen des offiziellen Zeitraums eine Regierung gebildet. Damit meint er die Phase, in der sich jeder Knessetabgeordnete, nachdem die Vorsitzenden der Hauptparteien aufgegeben haben, an der großen Aufgabe messen kann. Bitan geht davon aus, dass doch noch eine Einheitsregierung zustande kommen wird – mit Netanjahu an der Spitze.

BLÖCKE Denn wenn auch Gantz scheitert, was Bitan annimmt, werde der Druck steigen, »und die Blöcke, rechts und links, zerfallen«. Der Likud hatte gleich zweimal schriftlich festgehalten, dass er nur im Verbund mit den religiösen (Schas und Vereinigtes Tora-Judentum) sowie den rechten Parteien Hajamin Hachadasch und Jüdisches Haus in Koalitionsverhandlungen gehen wird. Obwohl es keinen offiziellen Block aus Zentrum- und Linksparteien gibt, glaubt Bitan, dass Blau-Weiß und Israel Beiteinu von Avigdor Lieberman ein Abkommen haben, Netanjahu nicht wieder an die Macht kommen zu lassen.

Viele halten eine Einheitsregierung noch immer für möglich.

Der hatte es zuletzt noch einmal darauf angelegt, eine breite Koalition zu schaffen. »Dies ist die einzige Regierung, die jetzt gebildet werden kann und muss.« Die Israelis würden sehen, dass sich der Nahe Osten vor ihren Augen verändert. »Sie wissen, dass die Herausforderungen in Sachen Sicherheit wachsen.«

Gegenteil Trotz der großen Worte gab es dabei nichts Neues. Im Gegenteil: Netanjahu startete den Versuch mit dem Wissen, dass Blau-Weiß ohnehin nicht darauf eingehen würde. Denn der Vorschlag ignorierte die Vorbedingung von Gantz und seiner Nummer zwei, Yair Lapid, dass weder religiöse noch Rechtsaußen-Parteien in der Regierung sitzen sollen. Auch Lieberman hatte stets betont, keine Koalition mit religiösen Parteien zu unterstützen.

Niemand war verwundert, als Gantz noch am Telefon »Nein, danke!« sagte. Er wolle nun »ernsthafte Verhandlungen beginnen, um eine liberale Einheitsregierung zu bilden«. Eine weitere Möglichkeit für Blau-Weiß ist eine Minderheitsregierung. Dabei würde eine Regierung mit nur 44 Mandaten gebildet, in diesem Fall von einem Mitte-Links-Block mit Blau-Weiß, Arbeitspartei/Gescher und dem Demokratischen Lager. Unterstützt würde sie von Israel Beiteinu und der Vereinten Arabischen Liste, ohne dass diese Teil davon sind. Sie würden versichern, die Koalition nicht zu gefährden.

Während es unmittelbar nach einer Wahl noch niemals eine Minderheitsregierung gab, ist sie in Israel nicht präzedenzlos.

Während es unmittelbar nach einer Wahl noch niemals eine Minderheitsregierung gab, ist sie in Israel nicht präzedenzlos. Zum Beispiel während der Rabin-Regierung 1992, als Schas sich aus der Koalition verabschiedete. Legal ist sie, denn das Grundgesetz schreibt nicht vor, dass eine Regierung 61 Mandate oder mehr haben muss. Allerdings ist es eher eine theoretische Möglichkeit, etwa um abzuwarten, ob Netanjahu angeklagt wird. In diesem Fall könnte Blau-Weiß versuchen, den Likud dazu zu bringen, einen anderen Vorsitzenden zu wählen und dann eine Einheitsregierung mit Rotationsprinzip zu bilden.

Gantz hat allerdings nie erklärt, dass er eine Minderheitsregierung anstrebt. Stattdessen erklärte Blau-Weiß: »Der scheidende Ministerpräsident weigert sich anzuerkennen, dass der Großteil der Israelis für eine liberale Einheitsregierung ohne Extremisten gestimmt hat. Es gibt einen Grund, weshalb er keinerlei Bezug auf die wichtigsten Punkte nimmt: moralische Grundsätze und Rechtsprechung.« Damit bezieht sich die Union auf die Korruptionsverfahren gegen Netanjahu. Derzeit laufen dessen Anhörungen in drei Fällen vor dem Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit. Anschließend wird Mandelblit entscheiden, ob und in wie vielen Fällen Netanjahu angeklagt wird.

VERFAHREN Eine Rechtsgrundlage oder einen juristischen Präzedenzfall für einen Ministerpräsidenten unter Anklage gibt es nicht, erläutert das Israelische Demokratieinstitut (IDI). »Es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, dass ein angeklagter Premier zurücktreten muss, bevor alle Verfahren beendet sind.« Jedoch dürfe sich die Öffentlichkeit fragen, ob es vernünftig ist, dass der Premier unter diesen Umständen im Amt bleibt. »Diese Frage wird sicher das Oberste Gericht beschäftigen, falls Netanjahu wieder Premier wird, angeklagt wird und sich dann weigert, zurückzutreten.«

Die juristischen Experten des IDI sind allesamt der Auffassung, dass es für jeden öffentlichen Bediensteten, der wegen ernsthafter krimineller Vergehen angeklagt ist, angebracht sei, sein Amt niederzulegen. »Ein angeklagter Politiker an der Spitze der Hierarchie könnte das öffentliche Vertrauen in die Rechtsprechung ernsthaft beschädigen.« Zudem stelle es einen erheblichen Interessenkonflikt für den Ministerpräsidenten dar, der letztlich für das Justizministerium verantwortlich ist. Eine derartige Situation würde seine Fähigkeit einschränken, die Geschicke des Staates zu lenken, während er sich gleichzeitig vor Gericht verantworten muss.«

Auch zu der von Netanjahu und seinen Verbündeten angestrebten Änderung des Gesetzes in Sachen Immunität für den Premier hat das IDI eine Meinung: »In Israel darf es keinen Platz für persönliche Rechtsprechung geben, die eine bestimmte Person vor einer Anklage schützt.« Denn dies wäre ein schwerwiegender Schaden für den Rechtsstaat. Das von Netanjahu als Beispiel herangezogene »französische Gesetz« sei eine Ausnahme in der demokratischen Welt. »Das mag zu einem Präsidialsystem passen«, so das IDI, »aber nicht zu einem parlamentarischen.«
Gerüchten zufolge rumort es nach dem Scheitern Netanjahus, eine Regierung zu bilden, im Likud. Lieberman sagte, dass altgediente Likud-Mitglieder sich zwar noch nicht trauen, öffentlich zu sprechen, doch hinter den Kulissen »verfassen sie bereits seinen politischen Nachruf«.

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