Es gibt Dinge, die umso wertvoller werden, je unerreichbarer sie sind. Und die umso unerreichbarer werden, je krampfhafter man sie zu verwirklichen sucht. Ähnlich scheint es sich auch mit der Idee der Zweistaatenlösung zu verhalten, also dem vor allen Dingen in Europa vorherrschenden Traum, den »israelisch-palästinensischen« Dauerkonflikt durch einen Palästinenserstaat an der Seite Israels zu befrieden.
Bis zu einem gewissen Grad ist das verständlich. Denn diese Lösung drängt sich auf, wenn man einen Konflikt zwischen zwei Gruppen lösen möchte, die beide Anspruch auf dasselbe Land erheben. Auf der einen Seite Juden. Auf der anderen Seite Araber. Die beide erklären, historische Besitzansprüche auf das Land zu haben.
Seit gut 110 Jahren haben sich Staatslenker, Politiker und Diplomaten aller Couleur die Zähne in dem Versuch ausgebissen, eine Lösung zu finden. Erfolglos. Was daran liegt, dass sie den Kern des Problems bis heute nicht verstanden haben. Oder nicht verstehen wollen.
Dabei ist es erschreckend einfach: Die eine Seite will die andere Seite tot sehen. Konzilianter ausgedrückt: Die Juden bestehen auf ihren eigenen Staat und die Araber wollen ihn zerstören. Oder ausführlicher: Die Juden - zumindest diejenigen, die sich als Zionisten bezeichnen - beharren auf einen eigenen Staat in ihrer biblischen Heimat und die Araber dieser Region, die sich aus politischen Gründen ab Mitte der 1960er Jahre Palästinenser nannten, wollen eben diesen Staat vernichten, um ihren eigenen Staat an dessen Stelle zu errichten.
So einfach ist das. Und so kompliziert. Denn es ist eine Grundkonstante, die sich bis heute durchzieht. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen und die Machtverhältnisse verändert haben. 1937, 1947, 1967, 2000, 2005, 2008, 2020: Jeder Versuch einer Lösung lief bislang ins Leere. Jedes Angebot wurde zunächst von den Arabern und später von den Palästinensern abgelehnt.
Der frühere israelische Außenminister Abba Eban sagte deshalb einmal: »Die Palästinenser haben nie eine Gelegenheit ausgelassen, eine Gelegenheit auszulassen«. Was so tragisch wie wahr ist. Fakt ist, dass nach all den Jahrzehnten immer noch die Maxime dominiert, wonach ein jüdischer Staat in irgendeinem Teil des biblischen Israel nicht akzeptabel sei.
Das klingt hart. Apodiktisch. Überzogen. Aber es ist keine leere Behauptung. Und kein unbelegter Vorwurf. Sondern es ist belegbar, nachprüfbar und beweisbar. Und zwar durch das Handeln und die Entscheidungen der früheren und der jetzigen Palästinenserführung. Denn auch wenn sie nach Jahrzehnten kategorischer Ablehnung des Existenzrechts des Staates Israel seit Mitte der 1990er Jahre begonnen haben zu behaupten, dass sie bereit wären, Israel unter bestimmten Bedingungen anzuerkennen und eine Zweistaatenlösung zu akzeptieren, haben sie den Worten keine Taten folgen lassen. Gaben nur Lippenbekenntnisse ab. Und sprachen mit gespaltener Zunge.
Der Beweis: Selbst die weitreichendsten israelischen Angebote für einen Palästinenserstaat und damit den Grundstein der Zweistaatenlösung der Jahre 2000 und 2008 blieben unbeantwortet oder wurden zurückgewiesen.
Konkret: In den Verhandlungen von Camp David in 2000/2001 bot Israel den Palästinensern einen eigenen Staat in Gaza und in der Westbank mit Ostjerusalem als Hauptstadt an. Anstatt die Chance zu ergreifen und die Details anschließend auszuhandeln, lehnte Palästinenserführer Arafat ab und brach stattdessen die 2. Intifada mit einem jahrelangen Krieg von Selbstmordattentaten und Terror gegen die israelische Zivilbevölkerung vom Zaun.
Im Jahr 2008 legte Israel ein noch weitreichenderes Angebot vor (Olmert-Plan), das ebenfalls nicht angenommen wurde, bis die israelische Regierung schließlich zusammenbrach und das Angebot vom Tisch war.
In beiden Fällen hatte man den Palästinensern die Chance auf einen eigenen Staat eröffnet. Also genau das, was sie stets zu wollen vorgaben. Aber in beiden Fällen ließen sie die Gelegenheit verstreichen. Denn ein Staat neben Israel und nicht an der Stelle Israels war für sie in Wahrheit keine Option. Das ist keine Interpretation der Ereignisse. Sondern es ist das Ergebnis nüchterner Beobachtung.
Mit den Palästinensern war also kein Staat zu machen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und das bewiesen sie noch ein weiteres Mal: Denn mit dem einseitigen Rückzug Israels aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 bekamen die Palästinenser die große Chance, einen eigenen lebensfähigen Palästinenser-Staat zu entwickeln. Sie hätten allen demonstrieren können, dass sie es mit einem eigenen Staat neben und nicht anstelle Israels ernst meinen. Sie hätten ihren Worten also Taten folgen lassen können. Sie hätten mit internationaler Unterstützung und Finanzierungshilfen in Milliardenhöhe das Singapur des Nahen Ostens schaffen können. Doch auch diese Hoffnung zerstob.
Stattdessen verwandelte die Terrororganisation Hamas, die nach den ersten und einzigen Wahlen die Macht übernahm, Gaza in einen hochmilitarisierten Polizeistaat, dessen Bevölkerung systematisch indoktriniert, ideologisiert und radikalisiert wurde.
Gespeist und ermöglicht durch »humanitäre Hilfe« und Terrorunterstützung aus dem Ausland und produktiv vor allem in der Entwicklung einer militärischen Infrastruktur mit Terrortunneln, Waffendepots, Sprengfallen, Minen und Raketenabschussrampen in vormals zivilen Einrichtungen, von wo aus der Süden Israels über Jahre unter dauernden Beschuss genommen wurde.
Wem das noch nicht reicht, um zu erkennen, was die Palästinenser wirklich wollten und was eben nicht, der hätte es spätestens am 07. Oktober 2023 begreifen müssen. Denn an diesem Tag wurde Israel von tausenden Terroristen und Zivilisten aus Gaza überfallen, die das größte Massaker an Juden seit dem Ende der Schoa anrichteten. Damit wurde der letzte Sargnagel eingeschlagen und das letzte bisschen Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung wurde endgültig beerdigt.
Im Gegensatz zu all den Traumtänzern, die unerschütterlich oder verzweifelt auf der Zweistaatenlösung beharren, hat Israel am 07. Oktober einen unfassbar hohen Preis dafür gezahlt, dass es in den letzten 110 Jahren ein ums andere Mal auf diese Lösung gesetzt hat.
Doch ob man es nun wahrhaben will oder nicht: Die Palästinenser wollen keinen Staat neben Israel. Sie wollen keine Koexistenz. Sie wollen keinen Kompromiss. Sondern sie wollen exakt das, was sie immer wollten: das Ende des jüdischen Staates. Die Vernichtung der jüdischen Heimstätte. Und ein Palästina an der Stelle Israels.
Gilt das für alle Palästinenser? Gibt es keine Ausnahmen? Natürlich gibt es die! Und natürlich gibt es auch solche, die nach Souveränität an der Seite und nicht an Israels Stelle streben. Die den Frieden dem ewigen Hass vorziehen. Und die selbstkritisch genug sind, um zu erkennen, welche Chancen bisher ausgelassen wurden. Wie destruktiv die vielen negativen Entscheidungen bisher waren.
Wie umfassend das Versagen der palästinensischen Führungsriegen bis heute ist und welche dramatischen Folgen es hat, wenn man eine Generation nach der anderen mit Opfermythen, Selbstmitleid und Hass füttert. Aber der Wahrheit die Ehre: Viele sind es nicht, die so denken. Was nicht nur zahlreiche Umfragen belegen, sondern auch die Stromlinienförmigkeit, der Konformismus und die Gefügigkeit palästinensischer Stimmen.
Sicher: Es gibt auch laute, mutige und kritische Gegenstimmen. Aber die kann man an zwei Händen abzählen. Leider! Anders ist es nicht zu erklären, warum sich über Jahrzehnte kein Widerstand gegen die katastrophalen Entscheidungen der palästinensischen Führung geregt hat. Wo blieb die Empörung, der Aufschrei oder die engagierte Gegenrede nach den vielen »Neins«, den vielen abgelehnten Angeboten, den vielen verpassten Chancen? Wo blieben die Proteste, die kollektive Auflehnung, die Demonstrationen? Gelegenheiten gab es mehr als genug. Ergriffen wurden sie nie. Stattdessen begreift sich die übergroße Mehrheit der Palästinenser vor allem als Opfer dunkler, kolonialistischer, imperialistischer und vor allem zionistischer Mächte und träumt unbeirrt von einer Rückkehr in ein Palästina, das es so nie gegeben hat.
From the river to the sea, Palestine will be free. Oder wie es in der arabischen Originalfassung heißt: From water to water, Palestine will be arab. Palästina soll wieder arabisch werden. Und die Juden werden entweder ermordet, vertrieben oder unterworfen. Einen Schimmer davon, was es heißt, wenn diese Träume zu Realität gerinnen, hat Israel am 07. Oktober 2023 erlebt. Die Invasion, die Barbarei, das Schlachten, das Foltern und das genozidale Morden an Juden, das die Hamas und ihre Helfershelfer verübt haben, zeigen, wie man sich eine »Befreiung Palästinas« vorzustellen hat. Offenbaren, wie die sogenannte Rückkehr aussieht, die den Palästinensern von Kindesbeinen an eingetrichtert wird. Veranschaulichen, was den Juden Israels im Ernstfall blüht.
Die Barbarei, die Grausamkeit und die Euphorie des 07. Oktober offenbarten dabei einen Blick in die tiefsten menschlichen Abgründe. Verdichteten sich zu dem, was man am ehesten als »das Böse« bezeichnet. Und erzeugten für Israel und in geminderter Form auch für Juden in aller Welt in den Worten des israelischen Philosophen Micah Goodman »eine Nahtoderfahrung«. Denn an diesem Tag wurden die schlimmsten Ängste wahr. Wurden Alpträume Wirklichkeit. Schien das Ende Israels für einen Moment greifbar. Und die Juden Israels blickten ihrer eigenen Vernichtung ins Auge. Dem eigenen Tod. Und der kollektiven Auslöschung.
Doch eins ist seither klar: Diese Schwäche wird Israel sich nicht mehr erlauben. Dieser Moment wird sich nicht noch einmal wiederholen. Und der Hauch des Todes wird Israel so schnell nicht mehr heimsuchen. Nicht aus Gaza. Nicht aus der Westbank. Und nicht aus einem wie auch immer gearteten Palästinenserstaat.
Bei all dem ist offenkundig: Nicht die Juden sind schuld, dass die Palästinenser bis heute keinen eigenen Staat haben. Nicht die Zionisten. Nicht die Siedler. Nicht die israelische Rechte. Und auch nicht Premierminister Netanjahu. Auch wenn viele zu glauben scheinen, dass er der Teufel in Menschengestalt ist (glauben Sie mir: Er ist es nicht!) Nein. Die Palästinenser sind selbst schuld!
Zugegeben: Sie wurden von ihren arabischen Brüdern jahrzehntelang im Kampf gegen Israel als Speerspitze missbraucht. Sie wurden ausgenutzt als Pfand gegen die Amerikaner und die Europäer. Sie wurden von den Vereinten Nationen nicht nur in dauernder Abhängigkeit gehalten, sondern obendrein in ihrem Selbstbetrug unterstützt, ein ewiges Rückkehrrecht zu besitzen. Sie wurden als Vehikel westlicher Schuldgefühle missbraucht. Sie wurden zu Opfern stilisiert, auf deren Rücken speziell die Europäer in ihre Rolle als barmherzige Wohltäter hineinwuchsen. Und sie wurden von Antisemiten und Israelhassern überall auf der Welt als Waffe gegen die Juden und den jüdischen Staat instrumentalisiert.
Doch so übel ihnen auch von ihren vorgeblichen Verbündeten und Wohltätern mitgespielt wurde: Sie, die Palästinenser, sind nicht nur Opfer. Nicht nur Objekte. Sondern sie sind Subjekte. Handelnde. Akteure, die Entscheidungen treffen. Die wiederum Konsequenzen haben. Und dafür tragen sie trotz des Störfeuers die Verantwortung.
Der arabisch-palästinensische Weg des Alles-oder-Nichts ist gescheitert. Der Versuch, den Judenstaat zu zerstören, ging nach Hinten los. Und die Weichenstellung für die Gewalt hat außer zahllosen Toten und endlosem Leid nichts eingebracht. Außer Gewissheit. Israelischer Gewissheit. Denn nach all den verpassten Chancen für einen eigenen Staat neben Israel und nach dem 07. Oktober kann niemand, der bei klarem Verstand ist, ernsthaft an der Zweistaatenlösung festhalten. Und erst recht kann niemand von Israel erwarten, dass sie unter den aktuellen Bedingungen einen palästinensischen Staat in unmittelbarer Nachbarschaft akzeptieren.
Das heißt: Einen weiteren Terrorstaat an Israels Grenze wird es nicht geben! Weder in Gaza noch in der Westbank. Israel wird keinen von den Europäern begleiteten Selbstmord begehen. Und sie werden auch keine Sterbehilfe der Vereinten Nationen akzeptieren. Komme was wolle. Da können noch so viele internationale Konferenzen zur Zweistaatenlösung abgehalten werden. Und die UN-Generalversammlung kann noch so viele Resolutionen verabschieden. Und es können noch so viele Länder »Palästina« als eigenen Staat anerkennen, um das zu erzwingen, was unter den gegebenen Bedingungen seit jeher unerreichbar war. Dem Ziel wird man damit keinen Deut näherkommen. Denn die internationale Diplomatie findet genauso wie die Machtpolitik dort ihr Ende, wo es um das eigene Überleben geht. Wo die eigene Existenz auf dem Spiel steht.
Das heißt im Klartext: Die Zweistaatenlösung ist am Ende! Jedenfalls auf absehbare Zeit. Und solange der palästinensische Fiebertraum von der Vernichtung Israels nicht aufgegeben wird, wird sich daran auch nichts ändern. Die Palästinenser wussten das schon immer. Israel hat es auf die denkbar brutalste Weise gelernt. Und je schneller die Europäer und der Rest der Welt es endlich begreifen, desto besser. Denn erst wenn das Alte vergangen ist, kann etwas Neues entstehen. Und dafür ist es höchste Zeit!
Der Autor ist Jurist und Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen.