Mobilität

Aus der Not eine Tugend machen

Künftig ein Problem aus der Vergangenheit? Noch sind Staus in Tel Aviv omnipräsent. Foto: Flash90

Gluthitze, lärmende Kinder und streitende Pärchen. Fatal, wenn man nach einem harten Arbeitstag auch noch im Stau davon umgeben ist. Im Blockbuster Falling Down von 1993 brennen Filmstar Michael Douglas in einem Megastau in Los Angeles die Sicherungen durch.

Während der Hollywood-Klassiker bewusst übertreibt, ist laut dem israelischen GPS-Navigationsunternehmen Waze der Straßenverkehr die größte Ursache für den alltäglichen Stress im jüdischen Staat. Um Abhilfe zu schaffen, bringen israelische Start-ups unterschiedliche Apps auf den Markt.

software »Mit dem Elektroroller kommt man am schnellsten in Tel Aviv voran«, sagt David Schmelzer, Programmierer bei Trailze, »vor allem zum Stadtteil Ramat HaChayal, wo viele Hightech-Firmen ihren Sitz haben.« Trailze ist ein Navigationsprogramm für Wanderer und Biker. Die Software ermöglicht es, Apps von Drittanbietern verschiedene Stadtkarten und Funktionen hinzuzufügen.

»In der Mittelmeermetropole werden mehr als die Hälfte aller Fahrten mit dem Auto zurückgelegt«, erzählt der Computerspezialist. »Bis 2030 werden die Straßen doppelt so voll sein, deshalb braucht es eine Veränderung.«

Eine App sucht nach günstigen Ampelphasen, eine andere nach freien Parkplätzen.

Bei diesem rasanten Anstieg des individuellen Personenverkehrs sind fehlende Parkmöglichkeiten die logische Folge. Das in Jerusalem ansässige Start-up Wisesight erweist sich als Retter. Durch Sensoren und Live-Video-Feeds, die weltweit an wichtigen Punkten installiert sind, wird der Nutzer zum freien Stellplatz geführt.

vorhersage Zum nächstmöglich freien Parkplatz weist auch das Programm Parknav. Es sammelt Informationen aus unterschiedlichen Quellen wie Mobilfunkmastdaten, Parkgebühren, Autosensoren und Satellitenbildern. »Parknav kombiniert alles zu einer relevanten Vorhersage«, erklärt Eyal Amir, Vorstandsvorsitzender des Unternehmens. »Dadurch kann unser Navigationstool die Fahrer richtig führen.«

Bei Grün steigen die Chancen auf einen Parkplatz in einer bestimmten Straße auf 80 Prozent. Alles unter 40 Prozent ist rot gefärbt. Das Unternehmen plant schon für die Zukunft: »Demnächst werden wir auch anzeigen, ob ein gewünschtes Restaurant geöffnet hat und wie viele Tische mit entsprechenden Sitzplätzen verfügbar sind«, erzählt Amir. »Der Nutzer wird sogar wissen, welche Weinsorte noch erhältlich ist.«

Wer herausfinden will, welche Strecken nicht im Stau enden, sollte Mobi benutzen. Die App verwendet Künstliche Intelligenz (KI) sowie drahtlose, solarbetriebene Sensoren, die in vielen sogenannten Smart Citys installiert wurden, um verschiedene Lösungen für die schwierigsten urbanen Verkehrsnetze zu finden.

Für Fahrer, die vom roten Verkehrslicht genervt sind, ist die KI-gestützte Plattform von NoTraffic perfekt. Diese sucht nach der Wahrscheinlichkeit günstiger Ampelphasen, sodass Wartezeiten minimiert werden. Die Software des Unternehmens weist auf Straßen mit voll bepackten Autokolonnen hin und berücksichtigt sogar die Anwesenheit von Rollern und E-Bikes.

förderung Dass man sich in Israel mit unterschiedlichen Lösungen für das Verkehrschaos beschäftigt, kommt nicht von ungefähr. Laut einem OECD-Bericht aus dem Jahr 2019 ist dies das größte Problem des jüdischen Staates. Als kleines Land mit einer Bevölkerung von etwa neun Millionen Menschen hat es die höchste Straßenüberlastung aller OECD-Länder, da nur etwa 20 Prozent in Ballungsgebieten öffentliche Verkehrsmittel nutzen.

Mittlerweile hat sich eine Gruppe von 20 Mobilitätsfirmen mit staatlichen Transportunternehmen, Behörden, Kommunen und Universitäten zu einem privat-öffentlichen Konsortium – Israel Smart Mobility Living Lab (ISMLL) – zusammengeschlossen. Sie wollen neue Modelle über eine technologische Plattform entwickeln, die gegen Staus, Unfälle sowie Luftverschmutzung vorgehen sollen.

»Die von uns gestartete technologische Infrastruktur wird Partnerschaften sowie die Zusammenarbeit in nationalen Projekten ermöglichen«, erklärt Industrieforscherin Smadar Itskovich aus Aschdod. »Die Förderung wird es Teilen der staatlichen Unternehmen ermöglichen, Zugriff auf unterschiedliche Daten zu bekommen, um sich den Problemen zu stellen.«

Die öffentliche Planung basiert auf kurzfristigen Perspektiven sowie den Interessen der Entscheidungsträger.

Eine Studie der Universität Ariel von 2019 kam zu dem Ergebnis, dass Israels hohe Zahl der Verkehrsstaus auf die öffentliche Planung zurückzuführen sei, die auf kurzfristigen Perspektiven sowie den politischen und persönlichen Interessen der Entscheidungsträger basiere. Erst kürzlich erhielt die ISMLL von verschiedenen Regierungsministerien einen Zuschuss in Höhe von einer Million US-Dollar, um Israels wettbewerbsfähige »Smart- und autonome Mobilitätsindus­trie« weiter zu verbessern.

zusammenarbeit »Die Zusammenarbeit vieler Technologie­unternehmen ist herzerwärmend und zeigt die Notwendigkeit dieser Plattform und den Geist israelischer Hightech-Firmen, die sich gern den nationalen Bemühungen anschließen«, erklärte Itskovich. »Wir glauben, dass Israels komplexe Transportherausforderungen und fortschrittliche KI-Technologiefähigkeiten es zu einem internationalen Innovationszentrum machen werden.«

Eine ihrer Aufgaben zur Reduzierung des Verkehrschaos wird es sein, Pendler davon zu überzeugen, von ihrem Auto auf Busse, Bahnen, Fahrräder und Roller umzusteigen. Folgerichtig ist auch Moovit Teil des Konsortiums. Das Start-up bedient inzwischen mehr als 500 Millionen Nutzer in 45 Sprachen und 3400 Städten weltweit.

»Viele Menschen sind es noch nicht gewohnt, einen Roller oder Apps wie Moovit zu benutzen«, so Programmierer David Schmelzer. »Zur persönlichen Freiheit gehört das eigene Auto. Hier müsste man eine universelle Schnittstelle für die Technik schaffen.«

Der ehemalige Berater des in Jerusalem ansässigen Start-ups Mobileye, das autonome Fahrzeuge herstellt und demnächst als Pilotprojekt in Tel Aviv und München auch selbstfahrende Taxis einsetzt, fordert ein Umdenken in der Mobilitätskultur Israels. Nicht zuletzt auch wegen der seit Jahren steigenden Unfallzahlen. »Eine weitere Folge des alltäglichen Stresses«, sagt Schmelzer. Der IT-Experte ist sich sicher, dass auch diese Zahl abnehmen wird: »Israelische Technologien werden den Straßenverkehr revolutionieren.«

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