Jetzt geht es wieder los. Schon bald wird es wieder heißen, Israel sei der Aggressor und nicht der Angegriffene. Israel breche das Völkerrecht. Israel gefährde den Weltfrieden. Eine »Eskalation der Gewalt« sei dringend zu vermeiden. Die »Gewaltspirale« müsse unbedingt zurückgedreht werden. Ein neuer »Flächenbrand« drohe in Nahost.
Und nicht zuletzt wird es schon bald wieder heißen: Israels Premierminister Benjamin Netanjahu handele einzig und allein aus innenpolitischen Gründen. Um sich weiter an der Macht zu halten. Um von den innenpolitischen Problemen abzulenken. Um den Fokus der Staatengemeinschaft vom Krieg im Gazastreifen gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas wegzulenken.
Diese Zeilen habe ich am 14. Juni, wenige Stunden nach den Angriffen Israels auf die iranischen Atomanlagen, in einem ersten Entwurf für einen Kommentar zu Papier gebracht. Schon kurz darauf musste ich feststellen: Genau jener oben beschriebene Zustand war schon längst eingetreten. Die öffentliche Meinung ist – wieder einmal – weitgehend gegen den jüdischen Staat, den Juden unter den Staaten, gerichtet.
Was soll Israel anderes tun als sich gegen das Regime in Iran zu verteidigen? In Schönheit sterben?
Zur Erinnerung: Wie jedes Land der Welt hat auch Israel alles Recht der Welt, seine Existenz zu sichern, sich zu verteidigen und seine territoriale Integrität zu verteidigen. Oder konkreter: Israel hat alles Recht der Welt, sich gegen das iranische Atomprogramm zur Wehr zu setzen. Teheran hat unzählige Male angekündigt, Israel auszulöschen. Die Vernichtung Israels ist Teil der iranischen Staatsräson. Ein solches Regime darf niemals in den Besitz von Atombomben gelangen.
Denn die Auslöschungsankündigungen sind keine bloßen Lippenbekenntnisse, sondern todernst gemeint. Iran ist Terrorexporteur Nummer eins in Nahost. Den 7. Oktober 2023, das größte und schlimmste Massaker an Juden seit dem Holocaust, hätte es ohne die Mullahs in Teheran nie gegeben.
Ebenso wenig die monatelange Vertreibung von 80.000 israelischen Bürgern und versuchte ethnische Säuberung im Norden des Landes durch die von Iran bis an die Zähne bewaffnete libanesische Terrororganisation Hisbollah.
Die Israelis sind nicht naiv: Iranische Atomwaffen werden in dem Moment, wo sie fertiggestellt sind, auf den jüdischen Staat zielen. Die Israelis wissen: Eine Konsequenz aus der jüdischen Geschichte ist, dass Juden es ernst nehmen müssen, wenn eine ultraaggressive Kraft wie der Iran ankündigt, einen staatlichen Massenmord zu begehen. Die Israelis wissen: Zur Logik des Nahen Ostens gehört es, dass Schwäche oft sofort bestraft wird – und nur Abschreckung und Stärke das eigene Überleben sichert.
Unterdessen findet das Gros der deutschen Journalisten keine klaren Worte zum Mullah-Regime, stattdessen wird Israel lieber eines angeblichen Bruchs des Völkerrechts bezichtigt. Das »Handelsblatt« fragt nicht etwa, wer die Mullahs in ihrem Atomwahn stoppt, sondern: »Wer stoppt Netanjahu?« Israels Premierminister eskaliere mit den Angriffen auf militärische Ziele im Iran angeblich die Situation in Nahost, um von innenpolitischen Problemen abzulenken.
Hand aufs Herz: Vieles ist komplex in Nahost, oft gibt es keine einfachen Antworten, schon gar nicht in Israel. Doch hier ist es ganz einfach: Israel eskaliert nicht. Israel reagiert. Israel provoziert keinen Krieg. Israel ist der Krieg schon längst erklärt worden.
Doch auch die »Berliner Zeitung« ist sich sicher: »Völkerrechtler sprechen von einem illegalen Angriff auf Iran, doch Europa stellt sich hinter Israel.« Europa zerstöre deshalb seine Glaubwürdigkeit, ist sich die Zeitung sicher. Nicht derjenige ist also der Aggressor, der angekündigt hat, einen Staat auszulöschen, und bislang auch alles dafür getan hat, um dieses Ziel zu erreichen, sondern der Angegriffene selbst.
Würde der Journalist auch so argumentieren, wenn es sich bei dem angegriffenen Land nicht um Israel, sondern um die Schweiz handeln würde? Schwer vorstellbar.
Auch in der »ZEIT« sind bislang überwiegend Texte mit entsprechender Ausrichtung erschienen. Matthias Naß etwa konstatiert: »Krieg und Hybris: Mit den fortgesetzten Angriffen auf den Iran geht Israels Regierung zu weit. So verprellt sie noch ihre letzten Freunde.« Sein ZEIT-Kollege Mark Schieritz spricht sich gegen die Angriffe Israels auf die Atomanlagen aus – und betont: »Das Völkerrecht schützt auch Schurkenstaaten. Ohne verbindliche Regeln bleibt nur das Recht des Stärkeren.«
Deutschland dürfe »nicht erneut« zu Israels Angriffen schweigen, fordert derweil der Israel-Korrespondent Thore Schröder in einem viel beachteten Kommentar im »Spiegel« (das »erneut« bezieht sich auf Israels Krieg gegen die Hamas in Gaza, der 7. Oktober 2023 hingegen wird nicht mit einem Wort erwähnt). Schröder behauptet, ohne einen Beleg zur nach wie vor zumindest offenen Frage nach dem Völkerrecht anzuführen: »Völkerrechtlich ist die Operation ›Rising Lion‹ nicht gerechtfertigt.«
In einem kurz zuvor ebenfalls im »Spiegel« erschienenen Interview mit dem Völkerrechtler Kai Ambos attestiert dieser, Israels Präventivschlag auf Teheran habe gegen das Völkerrecht verstoßen. Ambos behauptet, dass das Selbstverteidigungsrecht für Israel nicht gelte, da es zuvor keinen bewaffneten Angriff des Iran gegeben habe. Die beiden Großangriffe des Iran auf Israel im vergangenen Jahr mit ballistischen Raketen und Drohnen werden kurzerhand ausgeblendet. Ebenso wie die finanzielle, materielle und personelle Unterstützung der Terrororganisationen Hamas, Hisbollah und jener der Huthi, die in den 7. Oktober 2023 mündeten.
Unabhängig davon, dass die Frage nach dem Völkerrecht noch offen ist und zahlreiche Verteidigungsexperten argumentieren, nach den Angriffen Irans gelte schon lange das Kriegsrecht, weshalb die Angriffe auf die Atomanlagen vom Völkerrecht gedeckt seien: Was soll Israel denn machen? Zulassen, dass eines der gefährlichsten Regime der Welt in Besitz der gefährlichsten Waffe der Welt gelangt? In Schönheit sterben, wegen des Völkerrechts?
Es ist eine sehr deutsche Sitte, alles besser zu wissen. Auch, wenn man noch nie in Israel war, weiß man doch, was Israel zu tun und zu lassen hat. Früher hieß es oft, Deutschland bestehe aus 80 Millionen Bundestrainern. Heute sind aus den Fußballkennern Nahostexperten geworden. Jeder darf kommentieren, jeder darf es besser wissen. Besser auch als die Menschen vor Ort. Als die Menschen, die in Israel leben.
Dass Israels Armee mit der seit Jahren geplanten, präzise geführten Aktion die Atomanlagen im Iran angriff, mehr als ein Dutzend Anführer des islamistischen Unterdrückungsapparats tötete und somit versuchte, eine existenzielle Bedrohung auszuschalten, und dass große Teile der israelischen Bevölkerung trotz des massiven Gegenangriffs der Iraner auf israelische Städte in diesem Punkt hinter der Netanjahu-Regierung standen, entging den meisten Deutschen. Ganz so, als führte Israel zum Spaß Krieg.
Bemerkenswert: In den letzten Jahren waren nur wenige Stimmen zu vernehmen, die die ständigen Brüche des Völkerrechts durch den Iran angeprangert hätten. Aber kaum, dass Israel sich mit militärischen Mitteln wehrt, kennt Deutschland keine Parteien mehr, sondern nur noch Völkerrechtler. Hinter dem Ruf nach dem Völkerrecht verschanzen sich derweil die Mörder. Dass dies nicht gesehen wird, oder besser: bewusst ausgeblendet wird, ist unerträglich. Man kann es nicht klar genug sagen: Es ist ein journalistisches und moralisches Versagen.
Während Juden weltweit darauf hofften, dass die Welt das totalitäre Regime in Teheran endlich stoppt, haben viele hierzulande eher gehofft, dass alles ruhig bleibt. Der Wunsch nach Frieden ist verständlich und nachvollziehbar. Aber ist nicht die Lehre aus der deutschen Geschichte, dass es keinen Frieden mit antisemitischen Aggressoren und faschistischen Unterdrückern geben kann? Das ständige »Nie wieder!« bedeutet aber in Wahrheit offenbar, dass wir nie wieder militärisch eingreifen wollen. Auch dann nicht, wenn dies notwendig und gerechtfertigt ist.
Die deutsche Iran-Politik ist spektakulär gescheitert. Israel schafft derweil zum Glück Fakten.
Was hat sie nicht wieder gewarnt, unsere ganze Expertenschar. Ein Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten stehe jetzt bevor. Doch die Experten lagen daneben. Wieder einmal. Israel und zum Schluss auch die USA haben bewiesen, dass militärische Mittel manchmal doch Probleme lösen können.
Seit Jahren versuchen Diplomaten, das Mullah-Regime von seinem Atom(waffen)kurs abzubringen. Ihre Bilanz? Der Iran reicherte immer mehr Uran an. Er tat das immer schneller, mit immer moderneren Zentrifugen. Und er stand kurz davor, genug waffenfähiges Material für den Bau gleich mehrerer Atombomben anzuhäufen.
Auch das Raketenprogramm der Islamischen Republik machte Fortschritte, die Schläge gegen israelische Städte haben die Gefahr jedem, der nicht an Realitätsverlust leidet, eindringlich vor Augen geführt.
Benjamin Netanjahu hatte recht mit seinen Warnungen, die hierzulande kaum jemand hören wollte: Ein nuklear bewaffneter Iran wäre eine Katastrophe, nicht nur für Israel und die Region, sondern auch für Europa.
Israel hat dabei große Opfer erbracht. Es hat die »Drecksarbeit« erledigt, zu der andere nicht willens oder in der Lage gewesen waren. Europa hat alles auf die Karte der Diplomatie gesetzt, wollte einen Krieg mit dem Regime im Iran unter allen Umständen vermeiden. Europa ist an der Unnachgiebigkeit der Mullahs spektakulär gescheitert.
Wieder einmal hat David Goliath besiegt. Israel hat – Stand jetzt – diesen Krieg gewonnen. Der Gesichtsverlust Teherans ist enorm. Die Welt kann aufatmen. Es gab keinen Flächenbrand, auch, weil Israels Militär seine Schläge so präzise wie möglich ausgeführt hat.
engel@juedische-allgemeine.de