Dachau

Die Erinnerung wachhalten

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, will von Resignation nichts wissen. »Die Mehrheit der Gesellschaft verteidigt Werte wie Respekt und Toleranz und lässt sich von brauner Propaganda nicht einwickeln«, betonte Schuster bei der Gedenkveranstaltung zum 71. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am vergangenen Sonntag.

Die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD), die zur gleichen Zeit in Stuttgart ihr Grundsatzprogramm diskutierte und bereits von politischer Regierungsmacht schwadronierte, zählte er nicht zu diesem Teil der Gesellschaft. Ganz im Gegenteil. »Parteien wie die AfD und rechtspopulistische Bewegungen wie Pegida schüren den Hass gegen Minderheiten. Und wir Juden gehören zum Feindbild«, erklärte Schuster an einem Ort, der diesem Satz ein besonderes Gewicht verleiht.

Minderheiten Charlotte Knobloch, seit mehr als 30 Jahren Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und selbst Überlebende der Schoa, erinnerte in ihrer Rede vor der jüdischen Gedenkstätte in diesem Zusammenhang daran, dass Dachau von den Nazis als Lager für politische Gegner eingerichtet worden war, schon bald aber andere verfolgte Gruppen und Minderheiten dorthin deportiert und ermordet wurden: Sinti und Roma, engagierte Christen, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und allen voran Juden. »Dachau war nicht der Vorhof der Hölle. Dachau war eine ihrer schrecklichsten Kammern«, so Charlotte Knobloch.

71 Jahre nach der Befreiung des Lagers durch amerikanische Truppen nahmen die Überlebenden die für sie oft beschwerliche Reise in Kauf, um an dem Gedenken vor den Türen Münchens, der einstigen »Hauptstadt der Bewegung«, teilzunehmen. »Ihre Gegenwart«, wandte sich Zentralratspräsident Josef Schuster direkt an sie, »ist für uns kostbarer denn je. Sie bezeugen, was hier einst geschah, Sie tragen die Erinnerung an die Tausenden Opfer in einer Weise in Ihrem Herzen, wie es keiner von uns Nachgeborenen tun kann.«

Wie schmerzhaft die Erinnerungen sein müssen, machte Charlotte Knobloch deutlich: »Alle Grausamkeit, die sich Menschen ausdenken können, haben die nationalsozialistischen Henker und Handlanger an ihren Opfern ausgetobt. Es herrschten blanker Sadismus, Hass und ungehemmte Mordlust. Folter, medizinische Menschenversuche, Massenerschießungen, Tod durch Hunger, Krankheit und Zwangsarbeit. Bis heute ist vielen nicht bewusst, dass das Lager Dachau ein wesentlicher Quell des Bösen war. Hier im sogenannten Modell- und Musterlager tobte es zuerst und am längsten – alle fürchterlichen zwölf Jahre des nationalsozialistischen Terrorregimes, vom März 1933 bis zur Befreiung am 29. April 1945.«

Respekt Den Überlebenden zollte Schuster höchsten Respekt. »Sie zeigen uns, wie Menschen es schaffen können, trotz totaler Entrechtung, Demütigung, Folter, Hunger und Zwangsarbeit ihre Würde zu bewahren, ihren Lebenswillen zu retten und als aufrechte Menschen ihr Leben in Freiheit fortzusetzen«, hob er in seiner Rede hervor.

Dann würdigte er Max Mannheimer, der durch die Schoa den größten Teil seiner Familie verlor, das KZ Dachau überlebte und als Präsident der Lagergemeinschaft Dachau und als Vizepräsident des Internationalen Dachau Komitees gegen das Vergessen und das Wiederaufflammen von Judenhass und Diskriminierung kämpft. »Hass«, zitierte Schuster den 96 Jahre alten Schoa-Überlebenden mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen, »ist das Schlimmste, was im Menschen steckt. Wenn diese Spirale des Hasses immer weitergeht, dann gibt es überhaupt kein Ende«.

Den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart schlug IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, die betonte, wie wichtig gerade jetzt das Wachhalten der Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus ist. »In der Erinnerung an die Vergangenheit«, erklärte sie, »liegen die entscheidenden Antworten auf die drängenden gegenwärtigen Fragen in unserer Gesellschaft. Deshalb müssen wir auch dafür sorgen, dass die Erinnerung nicht zugleich mit den Zeugen jenes präzedenzlosen Verbrechens verstummt.« Eine umfassende Kultur des Erinnerns, sagte sie weiter, sei unabdingbar, da sie auch das Bewusstsein für das Wertefundament unseres demokratischen Staates und seiner Verletzlichkeit schärfe.

Flüchtlinge Angesichts der Flüchtlingskrise, die Rechtspopulisten wie die AfD für ihre politische Agenda ausnützen würden, sei der Wertekanon des demokratischen Rechtsstaates von ganz besonderer Bedeutung, ist Zentralratspräsident Josef Schuster überzeugt. Neben der Vermittlung der deutschen Sprache und der Notwendigkeit, die Menschen möglichst schnell in Arbeit zu bringen, müssten den Flüchtlingen diese Werte nähergebracht werden. »Ganz wesentlich dazu gehört, dass Antisemitismus in keiner Form geduldet wird und Deutschland immer für das Existenzrecht und die Sicherheit des jüdischen Staates eintreten wird«, betonte er.

Sowohl Josef Schuster als auch Charlotte Knobloch ließen trotz aller mit der Flüchtlingskrise in Zusammenhang stehenden Probleme keinen Zweifel daran, dass das Asylrecht nicht verhandelbar sei. »Wir Juden werden nie vergessen«, erklärte der Präsident des Zentralrats, »was es bedeutet, auf der Flucht zu sein.« Aber natürlich gebe es auch Anlass zur Sorge, dass die Flüchtlinge aus Ländern, in denen der Hass auf Juden und Israel fester Bestandteil der Erziehung ist, diesen Antisemitismus auch hierzulande weiter pflegen würden, beschrieb Knobloch die schwierige Lage – und forderte die Politik und die Gesellschaft zu einer entschlossenen Haltung in dieser Frage auf. Den Hass auf Juden zu bekämpfen, müsse ein Schwerpunkt bei den Integrationsbemühungen sein.

»Wer in Deutschland leben, dieses Land seine Heimat nennen will, muss sich auch mit dem Holocaust und unseren Lehren daraus befassen. Das sind unveräußerliche Grundlagen unserer Gesellschaft, die für Einheimische ebenso gelten wie für Neuankömmlinge. Wer das nicht akzeptiert, kann nicht dazugehören«, stellte Knobloch klar. Schuster sprach von einer »alternativlosen Herkulesarbeit«, die die Integration darstelle.

zuversicht Für Josef Schuster gibt es keinen Zweifel, wie er in Dachau zum Ausdruck brachte, dass die Mehrheit in Deutschland an der Seite der jüdischen Gemeinschaft steht, sich der Vergangenheit stellt und die Würde des Menschen für unantastbar hält.

»Dass das so ist, stimmt uns zuversichtlich«, erklärte der Zentralratspräsident. »Dass das so bleibt, dafür werden wir kämpfen. Das schulden wir allen, die hier im KZ Dachau ihr Leben lassen mussten, und allen, die hier gelitten haben. Wir werden sie nie vergessen.«

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