Sprachgeschichte(n)

Von Käffern und Kaffern

Wie aus dem biblischen Dorf eine deutsche Verbalinjurie wurde

von Christoph Gutknecht  24.11.2014 23:34 Uhr

Kaffer im Kaff: Kiedrich im Rheingau Foto: dpa

Wie aus dem biblischen Dorf eine deutsche Verbalinjurie wurde

von Christoph Gutknecht  24.11.2014 23:34 Uhr

Bei der Bedeutung des abwertenden Begriffs »Kaffer« sind sich die großen Lexika einig. Im Bertelsmann Wörterbuch der deutschen Sprache (2004) lesen wir »dummer Kerl, Tölpel«, im Duden-Universalwörterbuch (2006) »Dummkopf, blöder Mensch«.

Herbert Pfeiffers Das große Schimpfwörterbuch (1999) spricht vom »groben Schimpfwort für einen dummen, unkultivierten Menschen« und fügt den vulgären Ausdruck »Arschkaffer« hinzu, der »zumindest in der Pfalz und am Mittelrhein ein grobes Schimpfwort für einen dummen oder unzuverlässigen Menschen« sei.

bauer Wie viele andere deutsche Verbalinjurien auch stammt auch der Kaffer aus dem Jiddischen. Zur Etymologie des Worts schreibt Klepschs Westjiddisches Wörterbuch (2004), zu dem schon in der Bibel belegten Substantiv »kefar« (= Dorf) werde »erst in einer nachantiken Stufe des Hebräischen das Adjektiv ›kafrî‹ (= dörflich, ländlich) gebildet.

Dieses wird im Jiddischen als Substantiv ›Kaffri‹ oder ›Kaffer‹ (= Bauer, Dorfbewohner) verwendet«. Belege liefern ältere Wortverzeichnisse. Im Anhang zu von Reizensteins Der vollkommene Pferdekenner (1764), »woraus diejenigen Redens-Arten können erlernet werden, deren sich die Juden in ihrem Umgang gegen einander und sonder lich auf Ross-Märken bedienen«, steht Kafriim für »Bauern, Dorfleute«. Auch R. Giehrs Jüdisches Conversationslexikon (1829) übersetzt »Kafri« als »Landmann, Bauer«.

lexem Aus dem Jiddischen übernahm das Rotwelsche das Lexem. Der älteste Beleg des Kaffers stammt laut Kluges Quellenbuch zum Rotwelsch (1907) aus dem Jahr 1714: »Dann sie hätten ihn vor thumm gehalten und ihn immer den thummen Kaffer genennet.« Aus dem Rotwelschen gelangte der Kaffer dann in die deutschen Mundarten und – abfällig konnotiert – in die Studentensprache. 1832 erschien unter dem Pseudonym Mariannus eine Schwanksammlung zu Ehren der Universität Jena, betitelt Komische Szenen aus der akademischen Welt zur Erinnerung für alle fidelen Brüder.

Darin heißt es: »Verblüfft stand der Kaffer, als hätt’ ihm den Rücken Getroffen des Blitzes entseelender Schlag.« Kluges Deutsche Studentensprache (1895) nennt für 1831 die Bedeutungen »Bauer, bäurischer Mensch« und führt Kaffer ab 1846 als so genanntes »Tuschwort«. Der vom französischen Verb »toucher« (= berühren) inspirierte Begriff stand im Milieu der studentischen Korps und Burschenschaften für eine Beleidigung, auf die zum Duell gefordert wurde.

Über die Studentensprache, bilanziert Hermann Paul im Deutschen Wörterbuch (2002), ging der Kaffer in die Gemeinsprache über. Berthold Auerbachs Erzählung Neues Leben (1852) spricht von »froschkalten Kaffern, die die Natur vergöttern«. In W. O. von Horns Rheinischen Dorfgeschichten (1877) tut der Protagonist »dem reichen Kaffern, wie er den Hofbauer nannte, einen rechten Schabernack«.

rückbildung Ob der Kaffer etwas mit dem »Kaff«, dem elenden Nest, zu tun hat, war lange umstritten. Die von Siegmund A. Wolf im Wörterbuch des Rotwelschen (1956) und 1957 in der Zeitschrift Muttersprache (1957) vertretene, von einigen Lexika übernommene These, »Kaff« gehe auf das zigeunersprachliche »gaw« (= Dorf) zurück, gilt inzwischen nach Hans den Bestens Kritik in der Zeitschrift für Germanistische Linguistik (2006) als widerlegt. Als mögliche Wortwurzel bietet sich eine Rückbildung von »Kaffer« an oder, wie dies auch Hans Peter Althaus’ Kleines Lexikon jiddischer Wörter deutscher Herkunft (2003) vertritt, eine Rotwelsch-Prägung vom hebräischen Buchstaben kaph – als Kürzel für das westjiddische Wort »kephar« (= Dorf).

Im modernen Iwrit heißt Dorf »kfar«. Dass die Stadt Kfar Schmarjahu bei Tel Aviv von Olim aus dem Berliner Stadtteil Schmargendorf gegründet wurde, ist allerdings eine Legende.

Karl Kraus

»Als ob man zum ersten und zum letzten Mal schriebe«

Zum 150. Geburtstag des großen Literaten und Satirikers

von Vladimir Vertlib  26.04.2024

Bonn

Beethoven-Haus zeigt Ausstellung zu Leonard Bernstein

Die lebenslange Beschäftigung des Ausnahmetalents mit Beethoven wird dokumentiert

 25.04.2024

Potsdam

Chronist der neuen Weiblichkeit

Das Museum Barberini zeigt Modiglianis Menschenbilder in neuem Licht

von Sigrid Hoff  25.04.2024

München

Ausstellung zeigt Münchner Juden im Porträt

Bilder von Franz von Lenbach und anderen sind zu sehen

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Der Regisseur möchte über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024