Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Einmal tief durchatmen und einen Moment innehalten: Das ist der beste Tipp, den ich als Journalist meiner Zunft gerade geben kann. Ziemlich kopflos droht diese zurzeit nämlich, in ein mediales Desaster zu stolpern.

Gerade wird ein AfD-Spitzenpolitiker nach dem anderen in Talkshows eingeladen – und während die sich über ihren Durchbruch in den Mainstream freuen, wissen wir Journalistinnen und Journalisten offenbar kaum, wie uns geschieht. Als hätten wir nicht über zehn Jahre Zeit gehabt, uns Gedanken darüber zu machen, wie man am besten mit der mittlerweile im Kern rechtsextremen AfD umgeht

Die jüngsten Auftritte von Björn Höcke, Tino Chrupalla und Maximilian Krah in den Talk-Formaten von Welt TV, Caren Miosga und »Jung und Naiv« zeigen: So geht es jedenfalls nicht.

Fangen wir mit dem Tiefpunkt der vergangenen zwei Wochen an: Der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, war für 6,5 Stunden (!) Interviewgast beim Youtube-Kanal »Jung & Naiv«. Der unkonventionelle linke Journalist Tilo Jung räumte damit dem Politiker, der dem völkischen Flügel seiner Partei zugeordnet wird, mehr Sendezeit ein, als es wohl jedes rechts-alternative Medium machen würde. Schlimm genug. 

Doch zum GAU wird das ganze dadurch, dass Jung seinem Gegenüber nicht annähernd gewachsen ist. Krah belehrt den Moderator wie einen Schuljungen und kann sich angesichts der unbeholfenen Versuche, ihn aufs Glatteis zu führen, das Grinsen nicht verkneifen. Es muss das ultimative Beispiel dafür sein, wie man Rechtsextreme auf keinen Fall interviewen sollte.

Kein Wunder also, dass Krah seinen Anhängern das Gespräch bei »Jung & Naiv« aufs wärmste empfiehlt. »Wer es noch nicht angeschaut hat: Nun ist aber Zeit!«, schreibt Krah auf »X«. Das Video hat mittlerweile eine halbe Million Klicks. Hinzu kommen unzählige kurze Interview-Schnipsel, die in den sozialen Medien verbreitet werden und in denen Krah als eloquenter und unangepasster Politiker rüberkommt.

Auf Tiktok erreicht Krah damit unzählige junge Menschen, von denen viele bei der anstehenden Europawahl das erste Mal ihr Kreuz machen dürfen. Was für ein Wahlkampfgeschenk!

Ein ähnliches Problem hat man aber auch dann, wenn es besser gelingt, die geladenen AfD-Politiker inhaltlich zu stellen. So kam Björn Höcke im TV-Duell mit Mario Voigt bei »Welt« ganz schön in Bedrängnis. Für die Auswertung seines Auftritts auf AfD-nahen Social-Media-Kanälen ist aber auch das kein Problem: Man pickt sich einfach seine paar wenigen guten Momente heraus. 

Für überzeugte AfD-Anhänger können »ihre« Politiker sowieso nichts falsch machen. Stehen sie zu ihren kruden Ideen, werden sie als mutige Tabubrecher gefeiert. Wollen sie das alles doch gar nicht so gemeint haben, wird ihnen das als kluge Taktik ausgelegt. 

Vor allem letzteres, die Selbstverharmlosung, betreiben AfDler in Talkshows gerne. So kriegte Caren Miosga den AfD-Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla in ihrer Sendung kaum zu fassen. Egal mit welchen Entgleisungen seiner Parteifreunde sie ihn konfrontierte, stets sagte Chrupalla einfach, dass das auch nicht sein »Geschmack« sei. Dieses Pingpong-Spiel, zu dem Konfrontationen von AfD-Politikern häufig werden, bringen keinerlei Erkenntnisgewinn. 

Noch kontraproduktiver ist folgende Dynamik: Aus der (berechtigten) Sorge, dass einem das Gespräch entgleitet, lädt man sich noch ein, zwei Experten ein, die der Moderation Schützenhilfe leisten sollen. Zu dritt bearbeitet man dann den AfD-Gast. Auch auf Zuschauer, die keine überzeugten Anhänger der Partei sind, wirkt das schnell sehr unausgewogen. Hat die AfD am Ende vielleicht doch recht, wenn sie sagt, unfair behandelt zu werden? Auf diese Weise bekräftigt man, was man eigentlich widerlegen wollte. 

Es gibt also eine ganze Reihe von Dilemmata, wenn man AfD-Politiker in Talkshows einlädt. Eine überzeugende Lösung wurde von deutschen Medien bisher nicht präsentiert. Es ist daher an der Zeit, über den Umgang mit dieser Partei neu nachzudenken. Eine Überlegung sollte dabei nicht tabu sein: Vielleicht wäre es besser, Talkshows und Interviews mit AfD-Vertretern einfach sein zu lassen

Der Autor ist Journalist und lebt in Berlin.

Aufgegabelt

Gemüsesuppe mit Kichererbsen

Rezepte und Leckeres

 12.10.2024

Medizin

Das Geheimnis des Fadenwurms

Der amerikanische Genforscher Gary Ruvkun erhält für bahnbrechende Erkenntnisse zu microRNA-Molekülen den Nobelpreis

von Michael Thaidigsmann  12.10.2024

Geschichte

Derrick, der Kommissar von der Waffen-SS

Horst Tappert wurde in der Bundesrepublik als TV-Inspektor Derrick gefeiert - bis ein erhebliches Problem in seinem Lebenslauf bekannt wird

von Thomas Gehringer  11.10.2024

Analyse

Die neuen alten Grenzen der Solidarität

Erstaunt über den aktuellen Judenhass? Lesen Sie doch mal Jean Amérys 60 Jahre alte Texte

von Leeor Engländer  11.10.2024

Sachbuch

Deutschland und Israel nach dem 7. Oktober

Was ist mit den gemäßigten und liberalen Israelis seit dem 7. Oktober? Fania Oz-Salzberger geht dem in ihrem neuen Buch nach. Und streift dabei durch die Geschichte Israels bis hin zum Hamas-Überfall vor einem Jahr

von Leticia Witte  11.10.2024

Medien

Künftig weniger Folgen von »Hart aber fair«

Bei der Talkshow kehrt weiterhin keine Ruhe ein. Die ARD will die Sendung seltener ausstrahlen. Gastgeber Louis Klamroth soll stattdessen neue Formate für die Mediathek entwickeln

von Christof Bock  10.10.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  10.10.2024

Berlin

Neues Schiedsgericht soll Verfahren für Rückgabe von Nazi-Raubgut verbessern

Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände haben sich auf eine neue Instanz im Verfahren zur Rückgabe von NS-Raubgut geeinigt. Zentral ist dabei die »einseitige Anrufbarkeit«. Was steckt dahinter?

von Ann-Marie Utz  10.10.2024

Porträt

Nobelpreis für Literatur: Dieser jüdische Schriftsteller gilt als großer Favorit

Eine Prognose von Maria Ossowski

von Maria Ossowski  10.10.2024 Aktualisiert