Gebet

Von Herzen

von Rabbiner Joel Berger

An diesem Schabbat befasst sich die Tora mit dem Opferkult des einstigen Bet Hamikdasch (Heiligtum) zu Jerusalem. Josephus Flavius, jüdischer Feldherr und Geschichtsschreiber aus dem 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, beschreibt in seinem Buch Antiquitates Judaicae (Jüdische Altertümer) die Sühneopfer (Tamid). Sie wurden im Heiligtum morgens und abends im Namen der Gemeinschaft dargebracht. Diese Art der Durchführung des Opferkultes wurde als eine nationale Einrichtung angesehen.
Die Gelehrten und Kohanim legten Wert darauf, dass der Aufwand des Opferkultes von der Gesamtheit des Volkes getragen wurde. Man wollte auch auf diese Weise verhindern, dass einige wohlhabendere Bürger den Kult an sich ziehen. Josephus schildert, und der babylonische Talmud (Ta’anit 27) bestätigt es, dass die Vertretung des Volkes zu den täglichen Opfergottesdiensten immer anwesend war.
Die Kohanim und die Leviten teilten das Volk in Wachgemeinschaften (Mischmarot) auf. Jede Woche versah eine andere Gruppe der regionalen Volksvertretung den Dienst im Heiligtum. Während der Opferung stand ein Volksvertreter neben dem Kohen und rezitierte Psalmen und Gebete. Auf diese Weise wollte man verhindern, dass das Volk die Gottesdienste als institutionalisierten, sühnebringenden Mechanismus betrachtete. Das Volk sollte bewusst und motiviert an den Gottesdiensten teilnehmen.
Im Amida für Wochentag finden wir die Wörter: »Habe Wohlgefallen, Ewiger unser G0tt, an Deinem Volk Israel und seinem Gebet und bringe den Opferdienst wieder in das Heiligtum Deines Hauses, und die Opfer Israels und ihr Gebet nimm in Liebe auf ...« Der deutsch-jüdische Philosoph Franz Rosenzweig stellte die Frage, ob wir heute noch dieses Gebet aufrichtig sprechen können. Er meinte: Diese Gebete können in uns wegen der erwartenden Veränderungen in der messianischen Zeit ein gemischtes Gefühl auslösen.
Es sei ein Paradox, so Rosenzweig, dass wir einerseits jene Änderungen herbeiführen wollen und sie uns wünschen. Andererseits ist die Angst in unserer Seele beheimatet, die jede Änderung radikal ablehnt. Der Schriftsteller Moses Hess, der in seiner Jugend mit Karl Marx befreundet war, nahm auch in der Diskussion über das Opfern Stellung. In seinem Buch Rom und Jerusalem meint er, dass es im Opferkult der Juden nichts gäbe, was dem Humanismus widersprechen könnte. Er geht sogar noch weiter, indem er behauptet, dass jener Opferkult sogar als Sieg des Humanismus bewertet werden müsse, weil er das damals allgemein übliche Menschenopfer radikal untersagt und verpönt habe. Zu den Auswirkungen gehörte ein allgemeines Verbot jeglichen Blutgenusses bei den Juden. Hess bemerkt auch, dass der Jude vor Blut, wie auch vor jeglicher Form des Blutvergießens starken Ekel und Abscheu empfindet.
Es waren die Rabbinen der nachbiblischen Zeit, die, nach der Zerstörung des Heiligtums in Jerusalem durch die Römer, angeordnet hatten, dass an Stelle der Opfergaben das Gebet der Gemeinschaft treten solle. Sie stützten sich auf ein Prophetenwort aus der Bibel. Hosea, der im 8. Jahrhundert vor unserer Zeit lebte und predigte, verkündete: »Kehrt um zum Herrn, nehmt Worte der Reue mit euch, und sagt zu ihm: Nimm alle Schuld von uns, und lass uns Gutes erfahren. Wir danken es dir mit der Frucht unserer Lippen« (Hosea, 14,3).
Bei allen religiösen Richtungen des Judentums nimmt daher das Gebet eine zentrale Rolle ein. Jedoch eine jede Gruppe unterscheidet sich von der anderen durch die Art und den Sinn ihrer Gebete. Selbst der Ritus, die Gebetsordnungen sind unterschiedlich. Die Tagesgebete sind alle gleich: Das Morgen-, Nachmittags- und Abendgebet sowie die Gebete am Schabbat und den Feiertagen.
Die jüdische Literatur bewahrt für uns bis heute viele Dialoge über den Stellenwert der Gebete, die zwischen Chassidim und Mitnagdim (Gegner des Chassidismus), geführt worden sind. Es wird erzählt, dass einige gesetzestreue Juden in der galizischen Stadt Ruschin sogar den Israel Baal Schem Tow aufgesucht haben, um einige Fragen zu klären. Sie sagten: »Wir sind aus einer gottesfürchtigen Gemeinde. Wir studieren die heiligen Schriften, wir pflegen die Tagesgebete in der vorgeschriebenen Zeit. Die Chassidim dagegen verrichten die Tagesgebete erst später und trinken nach dem Morgengebet ein Gläschen Schnaps. Ist es dann richtig, dass diese sich als »Chassidim« (Fromme) zu bezeichnen pflegen? Wir aber »Mitnagdim« genannt werden? Gerechter wäre es doch umgekehrt!« Bevor der Rebbe sich äußern konnte, warf ein Chassid ein: »Ihr betet nüchtern, mit kühlem Kopf. In eurem Gebet fehlt die Wärme, das Herz, was der Ewige von uns verlangt. Die Chassidim dagegen beten mit der ganzen Wärme ihres Herzens. Daher muss der Mensch diese Wärme, – besonders in der klirrenden Kälte – mit einem Gläschen Wodka bewahren und hüten.«
Reb Israel ergänzte noch: Seitdem wir kein Heiligtum und keine Opfer haben, beten wir! Und wenn wir »Le’Chaim« trinken, wünschen wir uns, dass der Herr uns Leben und Frieden schenkt. Dies betrachten wir als einen Bestandteil unserer Gebete und auch als eine Art tätiger Nächstenliebe! Wir hoffen, dass Gott auch diese »Gebete« erhören wird!«
Dieser Schabbat kommt direkt vor Pessach und wird »Schabbat Haggadol« (der »große Schabbat«) genannt. An diesem Tag bereiten wir uns ernsthaft auf das vor uns liegende Fest der Befreiung unserer Vorfahren aus der Sklaverei Ägyptens vor. Die Gelehrten sahen in diesem Schabbat, an dem unsere Ahnen sich ein Lamm für das Opfer der Befreiung besorgen mussten, einen Hinweis: Der Auszug selbst erfolgte am 15. Tag des Monats Nissan. Jedoch der Weg in die Freiheit begann bereits mit den Vorbereitungen: »Ein jeder solle selber für sein Haus ein Lamm besorgen« (2. Buch Moses 12). Die Freiheit bedeutet auch Selbstversorgung. Diese muss erlernt werden und bewusst gemacht werden. Die Tora fordert uns auf, damit schon an diesem Schabbat anzufangen.

Zaw, 2. Buch Moses 35,1 – 40,38

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