Gasakrieg

»Bedrohung ist dort Normalität«

von Elke Wittich

Für Leo Friedmann ist das Einschalten der Fernsehnachrichten nicht nur während aktueller Krisen selbstverständlich. »Mir ist das in Fleisch und Blut übergegangen: Bei uns zu Hause wurden ab 17 Uhr alle Nachrichtensendungen geguckt, da gab es keine Ausnahmen. Meine Eltern waren Überlebende. Wahrscheinlich führte die versteckte Angst dazu, dass sie sich immer über aktuelle Ereignisse informieren wollten.« Er selbst tue das im Moment noch häufiger als sonst, sagt Friedmann, der »ganz viel Familie« in Israel hat. Und die sei einiges gewohnt: »Bedrohung ist dort Normalität, man ist viel abgehärteter.«
Sorgen um Familie und Angehörige machen sich auch viele Bewohner des jüdischen Altersheims in Frankfurt am Main, das Friedmann leitet. Einige der Senioren haben Enkel, die beim Militär sind, andere überlegen, ob man Angehörige nach Deutschland holen soll. Es werde viel diskutiert, aber es herrsche doch Konsens darüber, dass das Eingreifen Israels absolut notwendig gewesen sei, um das Land vor wei-
teren Angriffen zu schützen.
Gleichzeitig berichtet er, dass es im Heim, einer Modelleinrichtung mit transkulturellem Hintergrund, durchaus politische Querelen gibt. »Die wenigen Muslime, die bei uns wohnen, sind unpolitisch«, sagt Friedmann, aber jüngst habe eine christliche Bewohnerin beim Mittagessen sehr deutlich gemacht, dass sie die Haltung der Bundesregierung im Nahostkonflikt und in puncto Auslandseinsätzen verurteile.
Unter den Jüngeren lösen solche Aussagen oft spannende, kontroverse Diskussionen aus, alte Menschen, weiß Friedmann, neigen dazu, ihren Ärger herunterzuschlucken. Und so fühlten sich die jüdischen Senioren zwar unwohl, suchten aber auch nicht die direkte Konfrontation. »Beispielsweise sagen mir einige, dass sie demnächst beim Essen woanders sitzen wollen«, berichtet der Heimleiter. Und baut stattdessen auf Wissensvermittlung: So soll es demnächst eine Veranstaltung zum Thema »Politik in Gasa« im Seniorenheim geben, »da wird dann diese Frau auch eingeladen, das wird sicher ein spannungsreicher Abend«.
Der innigste Wunsch eines jeden Juden sei der nach Frieden, sagt Jakob Horowitz. Im Moment ist Israel weit davon entfernt, aber das ist nicht die alleinige Ursache, warum er ständig Nachrichten schaut und im Internet nach News sucht. Ein Enkel ist gerade von Deutschland nach Israel gezogen, um zur Armee zu gehen, nun ist er in Ausbildung. »Als ich ihn nach dem Grund fragte, sagte er, wir hätten ihn schließlich so erzogen, damit hatte er alle Argumente auf seiner Seite«, lächelt der Großvater.
Aber auch ohne die Einberufung des Enkels zum Militär hätte er sich aus allen erreichbaren Quellen über die aktuelle Lage informiert, sagt Horowitz. »Ich finde, dass es die Pflicht eines jeden Juden ist, sich für Israel zu interessieren und einzusetzen.« Horowitz hat sich eingesetzt, er kämpfte »mit 17, 18 Jahren im Befreiungskrieg«. Natürlich habe er viel Angst ge-habt, sagt er, »wenn jemand in einer solchen Situation keine Angst hat, ist er nicht normal. Wenn man so wie ich damals acht Monate in Jerusalem eingekreist war und täglich mit dem Schlimmsten rechnen muss, das prägt sich ein.« Einen großen Unterschied sieht Horowitz allerdings: »Damals standen wir allein, und heute sind wir eben nicht allein.« In den letzten Jahren habe Israel der Welt bewiesen, dass es eine lebensfähige Demokratie sei, der nur eines fehle: Frieden.
Gerade in Krisenzeiten mache sich der technische Fortschritt doch sehr bemerkbar, sagt Judith Landshut, Sozialarbeiterin bei der Gemeinde in Hamburg. »Man schimpft ja gern darüber, dass die Leute immer und überall mit ihren Handys telefonieren, aber auf der anderen Seite ist es doch sehr schön, wenn man Familie und Freunde in Israel ganz einfach per Mobiltelefon erreichen kann. Und sofort angerufen werden kann, wenn etwas passiert.« Judith Landshut nutzt dieses Medium im Moment häufig, ihr mittlerer Sohn Joel ist vor sechs Jahren nach Tel Aviv gezogen, wo er als Schauspieler arbeitet.
Als Reservist wurde er zwar »diesmal nicht einberufen«, aber »ein anderer Verwandter ist in der Armee. Wir zittern natürlich alle mit unseren Kindern, telefonieren sehr oft, schreiben uns E-Mails.« Doch trotz aller Sorge kommt für sie eines nicht infrage: »Ich werde meinem Sohn bestimmt nicht sagen, dass er lieber wieder nach Deutschland kommen soll, das würde er nicht tun – und außerdem hat er die Liebe zu Israel ja von zu Hause mitbekommen.«
Die Ereignisse in Gasa seien auch in der Gemeinde ein großes Thema, berichtet Landshut weiter, »gerade auch unter den Zuwanderern.« Viele derjenigen, die aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen sind, haben Verwandte in Israel, »Geschwister, sogar Eltern leben dort«. Entsprechend aufmerksam werden die aktuellen Nachrichten verfolgt, »es gibt wohl auch hier einige russische Fernsehkanäle, die gut und umfassend berichten.«
Wenn Danit Bermann in diesen Tagen mit ihrer Familie und Freunden in Israel telefoniert, sind Gasa und Hamas keineswegs die Hauptgesprächsthemen. »Verdrängung ist eine typisch israelische Taktik«, sagt die 45-Jährige, »ich rufe nicht an, um zu fragen, wie’s geht. Umgekehrt ha-
ben die Leute keinen Bock, ständig darüber zu reden.« Schließlich sei die Bedrohung immer schon ganz alltäglich gewesen. »Für Selbstmordattentate gibt es kei-
nen Alarm, und man ist nirgends sicher. Das ist viel beängstigender. Einmal hat es fast meinen Neffen getroffen, ein anderes Mal beinahe meine Nichte.«
Zum ersten Mal wurde sie mit Terror und Gewalt konfrontiert, als sie noch ein Kind war. »Ich muss wohl fünf, sechs Jahre alt gewesen sein. Ich war mit meinem Va-
ter in Jerusalem, als dort eine Bombe hochging – die Bilder habe ich immer noch im Kopf.« Es folgten der Sechstage- und der Jom-Kippur-Krieg. »Wenn man damit aufwächst, wird es alltäglich«, sagt Bermann, »und das ist ja eigentlich das Schlimme: Es gehört zur Normalität.«
Nach dem Abkommen von Oslo, so er-
innert sie sich, sei die Hoffnung auf dauerhaften Frieden und Sicherheit groß gewesen, »und ich hoffe immer noch am allermeisten, dass die Gewalt aufhört, aber gleichzeitig bin ich Realistin genug, um zu sehen, dass damit nicht zu rechnen ist.«

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