Geschichte

Geburtsfehler der jungen Bundesrepublik

Als Buchautor bekommt man nicht alle Tage einen Anruf von Martin Schulz. Doch die Fritz-Bauer-Biografie von Ronen Steinke begeisterte den Präsidenten des Europäischen Parlaments so sehr, dass er den Autor einfach direkt anrief, um ihm dafür zu danken. Denn Bauer gehöre »zu den Helden«, findet Schulz. Wie kaum ein anderer wurde der Jurist Fritz Bauer in der jungen Bundesrepublik dafür angefeindet, dass er als hessischer Generalstaatsanwalt die Verbrechen von Auschwitz ans Licht brachte – inmitten einer Justiz, die in den 60er-Jahren noch immer von braunen Seilschaften geprägt war.

sozialdemokrat »Die Würde des Menschen ist unantastbar – am meisten schockiert mich, dass die Bundesrepublik so lange brauchte, um aus dem ersten Artikel ihres Grundgesetzes von immerhin 1949 die nötigen Schlussfolgerungen abzuleiten und Naziverbrecher unverzüglich vor Gericht zu stellen«, sagte Martin Schulz am Montag im Gespräch mit Ronen Steinke anlässlich dessen Buchpräsentation in der Jüdischen Volkshochschule Berlin. Dabei sei Bauer nicht nur selbst als Jude Verfolgter des NS-Regimes gewesen, sondern ein herausragender Jurist und zudem Zeit seines Lebens ein engagierter Sozialdemokrat.

»Es gab damals nicht viele Beispiele von Zivilcourage«, stimmte Steinke dem Präsidenten des Europäischen Parlaments zu. Bauer habe wie nur wenige »sein Land aufgehellt«. Fritz Bauer zwang die Deutschen zum Hinsehen: Er setzte den Frankfurter Auschwitz-Prozess durch und kooperierte mit dem israelischen Geheimdienst, um Adolf Eichmann vor Gericht zu bringen.

Steinkes Buch Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht zeichnet unter Verwendung bislang unbekannter Quellen den Lebensweg eines kämpferischen Einzelgängers nach, dessen persönliche Geschichte zum Politikum wurde. Denn anders als seine sozialdemokratischen Weggefährten Willy Brandt und Kurt Schumacher, die nach der Rückkehr aus dem Exil in der Politik der jungen Bundesrepublik willkommen waren, schlugen die Alliierten Bauer »die Tür vor der Nase zu«. Dabei habe gerade Bauer »darauf gebrannt«, die deutsche Nachkriegsgesellschaft mitzugestalten. »Er redete von ›Wir‹ und identifizierte sich voll und ganz mit den Werten der Sozialdemokratie«, berichtete Steinke. »Die Deutschen seien ›noch nicht reif für einen jüdischen Juristen‹, hieß es damals«, zitierte Steinke die Quellen.

lebensthema Für Martin Schulz ist diese Einstellung aus heutiger Sicht unfassbar. Dabei erinnert er sich noch gut an den Auschwitz-Prozess und die Diskussionen innerhalb seiner eigenen Familie. Er sei damals zwar noch ein Kind gewesen, doch die »kontroversen Debatten waren Alltag«. Das sei Bauers Verdienst gewesen: Er habe mit seinem mutigen Einsatz »den Geburtsfehler der BRD korrigiert«. Dafür gebühre ihm ein Platz in den Geschichtsbüchern – auch denen der Sozialdemokratie, wo Bauer heute nahezu vergessen ist. Schulz bekannte, er habe sich, geprägt von den Auswirkungen des Auschwitz-Prozesses, seit frühester Jugend aktiv mit der Nazizeit, der Schoa und der Rolle Deutschlands in der europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigt: »Das ist mein Lebensthema – und der Grund, weshalb ich Europapolitiker geworden bin.«

Man dürfe jedoch nicht glauben, dass das »Phänomen des Destruktiven« verschwunden sei. »Wenn mir vor 20 Jahren jemand gesagt hätte, mit welch einer Frechheit heute diese rechten Typen wieder auftreten, hätte ich das nicht für möglich gehalten.« Wer etwa in Frankreich die rechtspopulistische Politikerin Marine Le Pen wählte, nehme Holocaustleugnung »als Kleinigkeit« billigend in Kauf.

Washington

Trump über Gaza-Verhandlungen: »Ich denke, wir haben eine Einigung«

Die Verhandlungen um ein Ende des Gaza-Kriegs hatten zuletzt wieder Fahrt aufgenommen. Donald Trump macht erneut Hoffnung - es ist nicht das erste Mal

 26.09.2025

Meinung

Steht auf gegen Judenhass!

Eine Reihe antisemitischer Vorfälle in den vergangenen Tagen hat die jüdische Gemeinschaft in Deutschland erschüttert. So darf es nicht weiter gehen. Ein Appell an die Zivilgesellschaft

von Jan Feldmann  26.09.2025

Klütz

Absage von Friedman-Auftritt: Bürgermeister tritt zurück

Michel Friedman sollte 2026 in einem Literaturhaus in Klütz lesen. Doch der Auftritt wurde abgesagt - aus Angst vor Störern, was heftige Kritik auslöste. Ein Kommunalpolitiker zieht Konsequenzen

 26.09.2025

New York

Vor UN-Rede: Baerbock ermahnt Netanjahu

Die Präsidentin der UN-Vollversammlung sagte, auch Israel müsse sich an die UN-Charta halten und das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser respektieren

 26.09.2025

Meinung

Israel wird zum Juden unter den Fußballern

Der europäische Fußballverband Uefa steht kurz davor, das israelische Team ausschließen. Dahinter steht eine antisemitisch grundierte Kampagne gegen den jüdischen Staat

von Martin Krauss  26.09.2025

Beirut

Hisbollah setzt sich über Verbot der libanesischen Regierung hinweg

Die Hisbollah gilt seit dem Krieg mit Israel als geschwächt. Mit einer Kundgebung will sie zeigen, dass sie weiter Einfluss im Libanon hat - und widersetzt sich einem Verbot des Ministerpräsidenten

 26.09.2025

Europäische Rundfunkunion

Streit um Israel beim ESC: Veranstalter plant Online-Votum

Nach Protesten gegen Israels Teilnahme am ESC plant die EBU eine Online-Abstimmung. Sie spricht diplomatisch von einer »beispiellosen Meinungsvielfalt« unter den Mitgliedern

 26.09.2025

Vereinte Nationen

Meloni befürwortet EU-Sanktionen gegen Israel

Die italienische Regierungschefin hat in ihrer Rede vor der UN angekündigt, einige der Strafmaßnahmen gegen Israel zu unterstützen. Welche, verriet Giorgia Meloni zunächst nicht

 26.09.2025

Ausgrenzung

Uschi Glas zu Antisemitismus: »Dürfen nicht wegschauen wie 1933«

Klagen über Judenhass im Klassenzimmer, im Netz und auf der Straße nehmen zu. Das darf die Gesellschaft nicht länger hinnehmen, warnt TV-Star Uschi Glas. Und verweist auf schlimme Zeiten in der deutschen Geschichte

von Gottfried Bohl  26.09.2025