Porträt der Woche

Wo’s dampft und brodelt

Keine Angst vor Feuer: Jacqueline Salzer an einer Vulkansimulation in Berlin Foto: Stephan Pramme, sfx: Marco Limberg

Porträt der Woche

Wo’s dampft und brodelt

Jacqueline Salzer erforscht Vulkane – in Südamerika und am Institut in Potsdam

von Benjamin Moscovici  06.05.2013 19:42 Uhr

Die Arbeit am Vulkan ist schwer, die Höhe raubt einem den Atem! Selbst mithilfe lokaler Träger ist es eine große Herausforderung, die Ausrüstung hinaufzuschleppen. Und anders als Touristen können wir uns dort oben nicht ausruhen und die Landschaft genießen. Dort oben fängt unsere Arbeit erst an.

Direkt nach meinem Studium in Oxford habe ich im November 2011 eine Doktorandenstelle am Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam erhalten. Für mich ist das ideal. Da ich in Charlottenburg wohne, kann ich bei gutem Wetter sogar mit dem Rad zur Arbeit fahren. Das hilft mir sehr, weil ich meist den ganzen Tag am Computer sitze. Ich werte die Daten aus, die ich bei den Expeditionen gesammelt habe.

Wenn unser Team oben auf einem Vulkan angekommen ist, bin ich für die Kameras zuständig. Sie müssen fest montiert werden, um über einen längeren Zeitraum regelmäßig Bilder von der Landschaft zu machen. Da muss man improvisieren können. So habe ich gelernt, wie man eine Autobatterie über ein Solarpanel lädt und wie ich meinen Laptop wiederum über eine Autobatterie laden kann.

Für die unvorhersehbaren Situationen auf Vulkanen habe ich inzwischen immer Bauschaum dabei. Auch wenn es schwerfällt, sich das vorzustellen, kann man dort oben manchmal keinen einzigen festen Stein finden, um die Kameras zu montieren. Überall nur loses Geröll. Mit Bauschaum ist das kein Problem, vor allem lässt er sich gut transportieren. Leider verschandelt das Zeug die Landschaft.

Deshalb bemühe ich mich auch immer, die Kameras etwas abseits zu platzieren. Außerdem ist das wohl auch sicherer. Denn wenn wir alles fertig montiert haben, lassen wir unsere Kameras und Messgeräte auf dem Vulkan zurück und kommen erst Monate später wieder, um die aufgezeichneten Daten und Instrumente einzusammeln. Das ist ein spannender Moment, kurz bevor man erfährt, ob alle Geräte durchgehalten haben und welche vielleicht doch ausgefallen sind. Immerhin hängt von diesen Daten unsere ganze Arbeit ab.

ruhe Normalerweise misst man bei Vulkanen nur zwei Zustände: Ausbruch oder Ruhe. Ich versuche, den Blick auf die kleinen Veränderungen zu legen. Die Methode, die ich dafür verwende, funktioniert ein bisschen wie Daumenkino. Nur sehr langsam.

Wenn ich nach einer Expedition wieder zurück in meinem Büro in Potsdam bin, lege ich all die Bilder von derselben Landschaft, die die Kameras während meiner Abwesenheit automatisch geschossen haben, nebeneinander. Dabei filtere ich die Landschaftspunkte heraus, die sich in der Bilderstrecke verändern. So zeigt sich, ob irgendwelche Teile vom Vulkan absinken oder wachsen. Daraus kann ich Rückschlüsse ziehen auf die unterirdischen Prozesse.

Ich glaube, manche Dinge wird die Wissenschaft aber trotz aller Forschung nie verstehen. Mir hilft da mein Judentum. Ich bete regelmäßig. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Welt vor ein paar Tausend Jahren entstanden ist, das wäre angesichts meiner Arbeit auch paradox. Für mich sind Wissenschaft und Religion dennoch nicht unvereinbar. Ich verstehe das Judentum als eine Herangehensweise an die Welt. Judentum heißt für mich, sich mit Dingen auseinanderzusetzen und darüber zu diskutieren.

Klar, manche Vorschriften kann ich nicht einhalten. Wenn wir auf einem Vulkan sind, kann ich nicht einfach am Schabbat alles stehen und liegen lassen. Und ich kann auch nicht immer koscher essen. Oftmals bleibt uns nur Fleisch vom Grill. Richtig kochen kann man in der Höhe nämlich nicht. Das Wasser wird einfach nicht heiß genug. Wegen des niedrigen Drucks blubbert es schon bei 70 Grad, da wird einfach nichts gar. Und wo sollte ich in 5000 Meter Höhe am Rand der Atacamawüste in Chile koscheres Fleisch herkriegen?

Ich glaube, jeder muss so religiös sein, wie er sich damit wohlfühlt. So bin ich zumindest aufgewachsen. Wir haben zu Hause die großen Feste immer gefeiert und nach Möglichkeit auch koscher gegessen, aber streng orthodoxen Maßstäben hat unsere Küche nie entsprochen. Einen dicken Schweinebraten hätte es bei uns dennoch nie gegeben. Insgesamt lebt meine Familie ein sehr liberales Judentum.

batmizwa Trotzdem durfte ich bei meiner Batmizwa nicht aus der Tora lesen, was doch eher orthodox klingt. Aber damals waren wir noch in Buenos Aires, und der Rabbiner unserer Gemeinde wollte nicht, dass Mädchen aus der Tora lesen. Deshalb war meine Batmizwa auch mehr ein Familienfest als eine religiöse Initiation. Das hängt bestimmt auch damit zusammen, dass ich Hebräisch zwar lesen, aber nicht wirklich verstehen kann. Doch irgendwann will ich es noch lernen, vor allem modernes Hebräisch, das würde ich sehr gerne sprechen. Ich war zwar erst zweimal in Israel, aber ich habe mich da von Anfang an sehr zu Hause gefühlt. Für mich war das eine ganz besondere Erfahrung, Gleiche unter Gleichen zu sein und zu spüren, dass man eine gemeinsame Geschichte hat.

Die Familie meines Vaters kommt ursprünglich aus der Tschechoslowakei und die Familie meiner Mutter aus Polen. Beide Familien sind unabhängig voneinander nach Argentinien ausgewandert. Dort haben sich meine Eltern kennengelernt. Sie sind dann zusammen nach München gezogen, wo ich 1988 geboren wurde. Als ich acht Jahre alt war, ist meine Familie zurückgegangen nach Argentinien. Daher spreche ich auch Spanisch, was mir viel hilft, weil die meisten Vulkane, an denen ich forsche, in den Anden in Südamerika liegen.

Auch wenn wir damals in Buenos Aires gewohnt haben, hat die Zeit als Kind in Argentinien, glaube ich, meine Liebe zur rauen Natur geweckt. Als ich zwölf war, zogen wir zurück nach München, wo seitdem das Zentrum meiner weit verstreuten Familie liegt. An den Hohen Feiertagen kommen dann Verwandte aus der ganzen Welt nach München.

Da ich auf keiner jüdischen Schule war, habe ich nicht besonders viele jüdische Freunde. Ich glaube, deshalb suche ich auch den Kontakt zu jüdischen Gruppen, vor allem zu jungen Leuten. Das gibt mir einfach ein besonderes Gefühl der Vertrautheit und Zugehörigkeit. Aber in Berlin habe ich so etwas noch nicht gefunden. Ich weiß einfach nicht so recht, wo ich anfangen soll und hatte bisher nicht die Zeit, mir hier richtige Kontakte aufzubauen. Deshalb sind die meisten Bekanntschaften in Berlin über meine Arbeit entstanden. Uns verbinden das Institut und die gemeinsamen Expeditionen, bei denen man sich absolut aufeinander verlassen können muss.

forscher Klar ist die Arbeit am Vulkan aufregend, aber Vulkanologen sind Forscher und nicht lebensmüde Abenteurer. Wenn es Warnsignale gibt, dann steigt da niemand mehr rauf. Trotzdem spürt man manchmal die Erde unter den Füßen beben. Das ist schon ein gewaltiges Gefühl, zu wissen, dass das nicht von der U-Bahn kommt. Dann wird einem klar, wie eindrucksvoll ein richtiger Ausbruch für die Menschen sein muss. Man könnte sagen, in solchen Momenten wird die Allmacht Gottes spürbar.

Wahrscheinlich haben Vulkane deshalb seit jeher eine so starke mystische Bedeutung. Es gibt Forscher, die auch in der Tora Hinweise auf Vulkane vermuten. So heißt es im 2. Buch Mose: »Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten.« Das klingt zwar sehr nach einem Vulkan, aber ich weiß, dass es zu der entsprechenden Zeit keinen Vulkanausbruch in der Region gegeben hat. Vielleicht waren Vulkane einfach das Gewaltigste, was Menschen sich damals vorstellen konnten, und sie wurden deshalb zum Symbol göttlicher Präsenz.

Aufgezeichnet von Benjamin Moscovici

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