Solidarität

»Wir lassen uns nicht einschüchtern«

Für die Mitglieder der Münchner Kultusgemeinde war es eine klare Grenzüberschreitung. Nur wenige Tage, nachdem in der Ohel-Jakob-Synagoge anlässlich des Festaktes zum 80. Jahrestag der Wiedergründung der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) am 15. Juli 1945 die politische Prominenz ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft betont hatte, zeigten sich am Freitagabend die Notwendigkeit und Dringlichkeit dieses Schutzversprechens in aller Deutlichkeit.

Das städtische Kreisverwaltungsreferat (KVR) hatte eine anti-israelische »Marsch-Demonstration« in Sicht- und Hörweite der Hauptsynagoge genehmigt, und das genau zu der Zeit, zu der Jüdinnen und Juden zu Beginn des Schabbats zum Gebet dorthin unterwegs sein würden. Bei der Kundgebung wurde nicht nur die terroristische Hamas als »Widerstand« verharmlost, auch die Geiselnahme und Ermordung israelischer Zivilisten wurde mit antisemitischen Bildern der Ritualmordlegende gerechtfertigt. Ebenso fanden sich Unterstützer des schiitisch-islamistischen Terrorregimes im Iran ein. Die »propalästinensischen« und linksradikalen Organisatoren des Zuges werden im Übrigen vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet.

Ein starkes Polizeiaufgebot samt Reiterstaffel war zum Schutz der Betenden auf dem Jakobsplatz im Einsatz. Unter dem Motto »Schützt unsere Synagoge« hatten der Verein »München ist bunt!« und die »Omas gegen Rechts«, unterstützt durch die Kultusgemeinde, dazu aufgerufen, »gemeinsam ein friedliches und deutliches Zeichen zu setzen«. Mit einer Menschenkette wolle man die Synagoge symbolisch schützen. Dem Aufruf waren mehrere Hundert Münchnerinnen und Münchner gefolgt, die Stadträtin Micky Wenngatz in ihrer Funktion als Vorsitzende von »München ist bunt!« begrüßte.

Die Zivilgesellschaft soll für Juden einstehen,
»so wie sie es beim Ruf ›Nie wieder‹ meint«.

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, ließ in ihrer Rede keinen Zweifel an der Intention der sogenannten propalästinensischen Kundgebung aufkommen: »Ganz offensichtlich richten sich Zeit und Ort dieser Demonstration gegen die jüdische Gemeinde. Sie wollen uns einschüchtern, sie wollen Macht demons­trieren, sie wollen uns demütigen und uns Angst machen.« Und sie kritisierte die Entscheidung des Kreisverwaltungsreferats scharf: »Wenn man schon glaubt, diesen Hass nicht verbieten zu können, dann muss man ihn nicht auch noch hier und jetzt genehmigen.« Von der Politik forderte sie eine klare Position: »Es kann in diesem Land nur eines wahr sein: die Reden, die wir hören, oder dass man dem Hass gegen uns freie Bahn lassen muss. Beides zusammen geht nicht. Die Politik muss sich entscheiden!« Notfalls müsse die Gesetzeslage geändert werden.

Knobloch erinnerte aber auch daran, dass der jüdischen Gemeinde in dieser Frage keine Sonderstellung zukomme: »Alle Bürgerinnen und Bürger müssen sich auf ihren Rechtsstaat verlassen können. Und darauf, dass sie frei und sicher zum Gebet gehen können.« Dominik Krause, der Zweite Bürgermeister der Landeshauptstadt München, hatte eigens eine vorhergehende Veranstaltung verlassen und war spontan zum Jakobsplatz gekommen, um seine Solidarität mit der jüdischen Gemeinde auch vor Ort zu bekunden. Es sei ihm, so Krause in seiner Ansprache vor der Synagoge, ein besonderes Anliegen, in diesem Moment an der Menschenkette teilzunehmen.

Die ehemalige evangelische Regional­bischöfin Susanne Breit-Keßler unterstrich, »dass wir niemals dulden und schweigend mit ansehen dürfen, wenn Antisemitismus und Judenfeindlichkeit proklamiert werden. Das gilt auch dann, wenn sie im Gewand angeblicher Humanität durch unsere Straßen ziehen«.

Als die Gläubigen anschließend zum Gebet in die Synagoge gingen, formierte sich eine Menschenkette um das Gotteshaus

Der Münchner Alt-Oberbürgermeister Christian Ude ging deutlich mit der Entscheidung des KVR ins Gericht und sprach von »vorauseilendem Gehorsam«. Es könne nicht sein, dass eine Gruppe der Stadtgesellschaft, gestützt auf das Recht der freien Meinungsäußerung, eine andere an der freien Religionsausübung hindere.

Auch Ron Dekel, Präsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), kritisierte diese Entscheidung als einen Eingriff in die Religionsfreiheit. Er erinnerte daran, dass sich in den vergangenen zwei Jahren aufgrund derartiger Demonstrationen »Jüdinnen und Juden auf dem Campus unsichtbar machen« mussten. Mit der Wissenschafts- und Religionsfreiheit seien zwei Grundrechte für die jüdischen Menschen in Deutschland bedroht. Zugleich zeigte er sich, ebenso wie schon vor ihm IKG-Präsidentin Knobloch, selbstbewusst: »Wir lassen uns nicht einschüchtern. Die junge jüdische Generation ist lauter, geeinter und geschlossener denn je, sich ihre Räume nicht wegnehmen zu lassen.«

Steven Guttmann, Geschäftsführer der IKG und Vorsitzender des Vereins »Mitzwe Makers«, erinnerte daran, dass »die Synagoge und die Menschen, die in ihr beten, Teil unserer Stadt« sind. Die Zivilgesellschaft solle für jüdische Menschen einstehen, »so wie sie es beim Ruf ›Nie wieder‹ meint«. Guttmann wies erneut auf den Widerspruch hin, dass die freie Ausübung der jüdischen Religion nur unter starken Sicherheitsvorkehrungen möglich sei. Mit diesem Zustand solle man sich nicht abfinden, so Guttmann.

Als die jüdischen Gläubigen anschließend zum Gebet in die Synagoge gingen, formierte sich eine Menschenkette um das Gotteshaus. Sichtlich bewegt dankte die IKG-Präsidentin all jenen, die in drei Reihen schützend um die Synagoge standen.

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