Bruchsal

Vergessener Sohn

Jetzt besingen sie wieder ihren alten Oppenheimer, die Honoratioren der nordbadischen Kleinstadt Bruchsal. In der Fasnacht, wie dort der Karneval heißt, ist das Lied vom »Brusler Dorscht« so etwas wie eine Dauerhymne. Keine Narrensitzung, bei der das Lied vom Grafen Kuno nicht erklingen würde, dem adeligen Tunichtgut, der seinen Besitz versoff und deshalb den Seinen nichts anderes vererben konnte als »seinen Dorscht«, den man seither den »Brusler Dorscht« nennt.

Otto Oppenheimer, ein Tuchhändler aus Bruchsal (1875 bis 1951), hat dem lebenslustigen Kraichgau-Grafen aus dem späten Mittelalter ein populär-literarisches Denkmal gesetzt. Otto Oppenheimer war Jude. Sein Leben spielte sich überwiegend in Bruchsal ab: Schule, Übernahme des väterlichen Tuchgroßhandels, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, Arisierung des Betriebes im Jahr 1938, Flucht in die USA, letzter Wohnsitz: New York, Bronx.

Förderer In Bruchsal wurde Otto Oppenheimer vergessen. Vergessen wurde, dass er sich, wie schon sein Vater sozial engagiert hatte. Vater Louis war einer der Förderer des katholischen Schwesternheimes St. Josefshaus. Otto selbst gründete den örtlichen Kunstverein mit, war Mitglied in der Großen Karnevals Gesellschaft und Beiratsmitglied bei den Bruchsaler Strafanstalten.

Wenn nicht vor einigen Monaten die Initiatoren einer Webplattform den Vorschlag gemacht hätten, einen neuen Platz im Herzen der Stadt nach Otto Oppenheimer zu benennen, unterstützt von allen Fasnachts-Vereinen, die endlich eine Chance sahen, ihrem Traditions-Dichter ein dauerhaftes Gedenken zu ermöglichen, wäre der Name ganz vergessen worden.

Seither rumort es hinter den politischen Kulissen der Kleinstadt, denn die katholische Kirchengemeinde, mit ihrer Stadtkirche »Unsere liebe Frau« einer der drei Anrainer des kleinen Plätzchens, hat längst eine andere Widmung gefordert: Marienplatz. Unterstützung fand sie in Teilen der CDU-Ratsfraktion. Ein erster Anlauf, dem Platz einen Namen zu geben, scheiterte schon Ende vergangenen Jahres.

Dabei spielte es keine Rolle, dass Louis Oppenheimer das St. Josefshaus zusammen mit dem befreundeten Stadtpfarrer Josef Kunz initiierte, der es immerhin zum Ehrenbürger geschafft hat mit einer eigenen Straße, die direkt an den geplanten Oppenheimerplatz anschließen würde. Kunz war katholisch.

Gegenentwurf Irgendwann muss aber entschieden werden, denn das neue »Wohnzimmer der Stadt«, Zitat der parteilosen Oberbürgermeisterin, wird bald fertiggestellt. Und jetzt wird ein Namenskompromiss gesucht. Der Konsensvorschlag: Die einen verzichten auf ihren Marienplatz und sind mit dem Säkularersatz »Stiftsplatz« einverstanden. Die anderen vertrösten sich, dass ihr Oppenheimerplatz an einen innerörtlichen Busbahnhof verlegt wird, der in der »Bahnhofstraße« liegt, in der Oppenheimer für ein paar Jahre wohnte.

Doch wie es scheint, wird’s wohl nichts werden mit einem Oppenheimerplatz in Bruchsal. Denn sowohl die vereinigten Fasnachter als auch die Initiatoren des Oppenheimerplatzes zwischen Stadtkirche, Sparkasse und einem neuen Einkaufszentrum wollen sich nicht mit einem Kompromiss abspeisen lassen.

Derweil warten in New York und Kalifornien die Nachfahren Oppenheimers auf eine Einladung nach Bruchsal. Mit Freuden hatten sie auf die Ankündigung reagiert, dass ein Platz in der Stadtmitte künftig den Namen ihres Vorfahren tragen soll, der auch im amerikanischen Exil reges Interesse an der Entwicklung seiner Geburtsstadt zeigte. Doch die scheint ihm und seinen Nachfahren jetzt die kalte Schulter zu zeigen.

Immobilie

Das jüdische Monbijou

Deutschlands derzeit teuerste Villa auf dem Markt steht auf Schwanenwerder und soll 80 Millionen Euro kosten. Hinter dem Anwesen verbirgt sich eine wechselvolle Geschichte

von Ralf Balke  22.12.2025

Erfurt

Die Menschen halfen einander

Pepi Ritzmann über ihre Kindheit in der Gemeinde, ihre Familie und Antisemitismus. Ein Besuch vor Ort

von Blanka Weber  22.12.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebender Leon Weintraub wird 100 Jahre alt

Dem NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau entkam Leon Weintraub durch eine Augenblicks-Entscheidung. Heute warnt er als Zeitzeuge in Schulklassen vor Rechtsextremismus. Am 1. Januar feiert er seinen 100. Geburtstag

von Norbert Demuth  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Porträt

Am richtigen Ort

Arie Oshri ist Koch, Dragqueen und lebt in seiner Wahlheimat Berlin

von Alicia Rust  20.12.2025

Umbenennung

Yad-Vashem-Straße in Berlin: Wegner will schnelle Umsetzung

Nach der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem soll ein Straßenabschnitt im Herzen von Berlin benannt werden. Der Regierende Bürgermeister hofft auf eine schnelle Umsetzung

von Jonas Grimm  18.12.2025