Ehrung

Verdiente Würdigung

Erhielt für seinen jahrzehntelangen Einsatz für eine Verfolgung von NS-Tätern den Ehrenpreis der IKG München und Oberbayern: Rechtsanwalt Christoph Rückel (mit Urkunde) Foto: Tom J.M. Hauzenberger

Eine Auszeit von den unzähligen Ereignissen im vergangenen Jahr: Das ist ein Wunsch, den wohl viele in der jüdischen Gemeinschaft teilen, gerade in den Wochen vor Chanukka. Mit einem erstmals in dieser Form abgehaltenen Gemeindewochenende unter dem Motto »Drei Tage für uns« tat die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern genau das und schuf für ihre Mitglieder einen beeindruckenden Gegenpol zum stressigen Alltag am Jahresende.

Nachdem am Freitag Studenten des Rabbinerseminars zu Berlin die Veranstaltungen mit einem Kabbalat Schabbat im Carlebach-Stil eingeläutet hatten, folgte am Samstag nach dem Kiddusch ein Schabbaton mit zahlreichen Schiurim der angehenden Rabbiner, ehe am Sonntag die jährliche Mitgliederversammlung die Veranstaltungsreihe abrundete. Den Höhepunkt des Wochenendes bildete jedoch die feierliche Abendveranstaltung, zu der die IKG am Samstagabend in den Hubert-Burda-Saal einlud.

Rückel treibt sein Gerechtigkeitsgefühl

Nicht nur konnten die Gemeindemitglieder dort bereits vor Beginn von Chanukka in festlicher Atmosphäre zusammenkommen, die Kultusgemeinde verlieh im Rahmen des Abends auch ihren Ehrenpreis an den Rechtsanwalt Christoph Rückel für seinen jahrzehntelangen Einsatz für eine juristische Verfolgung von NS-Tätern und gegen eine zunehmende Kultur des Vergessens. Vorstandsmitglied Anita Kaminski würdigte den Preisträger dabei in einer ausführlichen Laudatio.

Geboren in den Nachkriegsjahren, war Rückel Mitte der 70er-Jahre nach München gekommen, wohnte zufällig in direkter Nachbarschaft einer jüdischen Familie und freundete sich mit ihr an. Die eintätowierte Nummer einer älteren Verwandten und die folgenden intensiven Gespräche »machten die Vergangenheit«, in Kamin­skis Worten, »unübersehbar«. In Rückel entfachten sie ein Gerechtigkeitsgefühl, das ihn bis heute antreibe und das er selbst in seiner Dankesrede als »heiligen Zorn« beschrieb: ein Zorn, der produktiv wirke.

Durch unermüdliche Arbeit wurde der Münchner Rechtsanwalt daher in den vergangenen Jahren zu einem der profiliertesten Akteure in der Spätverfolgung von nationalsozialistischen Tätern. Unter den bekanntesten Fällen, in denen Rückel als Vertreter der Nebenklage wichtige juristische Impulse setzte, war dabei der Prozess gegen die vormalige Sekretärin des Lagerkommandanten im KZ Stutthof Irmgard Furchner.

In der Dankesrede beschrieb Rückel seinen »heiligen Zorn«, der produktiv wirke.

Wie Rückel in seiner Rede bekannte, sei es ihm in seiner Arbeit besonders wichtig gewesen, dass dabei der Tatbestand »Beihilfe zum versuchten Mord« zur juristischen Anerkennung gelangte: Nur so nämlich lasse sich das schiere Ausmaß der Verbrechen des Holocaust juristisch einfangen, schließlich seien es die unzähligen Mittäter und Helfershelfer gewesen, die das unbegrenzte Morden erst möglich machten. Auf die Vorhaltung, solche Prozesse kämen zu spät, gab Rückel zur Antwort: »Wann, wenn nicht noch jetzt?« Die »Rule of Law«, die Vorrangigkeit des Rechts, gelte heute wie damals.

Wie wenig selbstverständlich diese Überzeugungen und damit auch seine eigene Arbeit lange Zeit waren, wusste Rückel anschaulich zu beschreiben. Noch in den 90er-Jahren sei er in Vieraugengesprächen mit Vertretern einer Oberstaatsanwaltschaft mit antisemitischen Kommentaren konfrontiert worden. »Es dauerte sehr lange, bis sich eine echte Erinnerungskultur etabliert hat«, erinnerte sich Rückel auf der Bühne. Er selbst trug mit verschiedenen Initiativen auch außerhalb der Gerichtssäle zu dieser Etablierung bei.

Mit einer Beharrlichkeit, die auch Laudatorin Kaminski besonders hervorhob, setzte er sich etwa erfolgreich dafür ein, die Ausstellung How to Catch a Nazi, die die Ergreifung von Adolf Eichmann thematisierte und die er während eines Amerika-Aufenthaltes gesehen hatte, nach Deutschland zu holen. Ende 2023 feierte die Schau in München Vernissage. Als Träger fungierte die Adolf Rosenberger gGmbH, die Rückel mit seiner Frau gegründet hatte, um damit an den gleichnamigen jüdischen Porsche-Mitgründer zu erinnern, der unter fragwürdigen Umständen 1935 aus dem Konzern gedrängt wurde und später vor den Nationalsozialisten in die USA floh. Auch in diesem Bereich blieb Rückel aktiv, 2025 erscheint über Rosenbergers Schicksal ein Buch.

Zum Abschluss brennen die »Mizwa-Kerzen«

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch bezeichnete es als eine »Ehre und ein Privileg«, einen Menschen wie Christoph Rückel »in unserer Mitte zu haben«. Rückels unermüdlicher Einsatz gegen Judenhass gebe der jüdischen Gemeinschaft Anlass zur Hoffnung.

Zum Abschluss des Abends brannten auf der Bühne noch die »Mizwa-Kerzen«, die von einem Dutzend verdienter Gemeindemitglieder und Externer in Würdigung ihrer Verdienste entzündet wurden. Unter den Geehrten war Münchens Maccabi-Präsident Robby Rajber ebenso wie der Unternehmer und Philanthrop Harry Habermann, die langjährige WIZO-Vorsitzende Sara Schmerz und die Stellvertretende Generalkonsulin des Staates Israel, Kasa Bainesai-Harbor.

Bei Büffet und musikalischer Begleitung der Gruppe »De la Cream« sowie des eigens aus Israel angereisten Kantors Tzudik Greenwald klang der Abend dann im Geiste des Gemeindewochenendes entspannt und gesellig aus: im besten Sinne ein Event »für uns«.

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Misrachim

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025