Würdigung

»Unverbesserlicher Optimist«

Wegbegleiter waren gekommen, Kollegen – und viele, viele Freunde. Mit einer Gedenkveranstaltung würdigten der Zentralrat der Juden in Deutschland und das Land Nordrhein-Westfalen Paul Spiegel. Am 31. Dezember wäre der ehemalige Zentralratspräsident 75 Jahre alt geworden. In der Synagoge der Düsseldorfer Gemeinde blickte man in Reden und einem Filmbeitrag auf sein Schaffen zurück. Viele Erinnerungen wurden wach und förderten Anekdoten und Geschichten zutage. Und jeder, so schien es, der Paul Spiegel kannte, hatte die eine oder andere zu erzählen.

Der Präsident des Zentralrats, Dieter Graumann, würdigte Paul Spiegel als einen »Mann mit einem ganz großen Herzen« und nannte ihn einen »unverbesserlichen Optimisten«. Er bleibe immer in Erinnerung als großartiger Zentralratspräsident und Mensch mit besonderer Verbindlichkeit und Wärme. Wenn es allerdings gegen Intoleranz oder den neuen Antisemitismus gegangen sei, da konnte der sonst so freundliche Paul Spiegel ernst werden und kämpfen mit aller Macht. Deshalb sei es sehr passend, den Preis für Zivilcourage in seinem Andenken zu vergeben.

Hannelore Kraft, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin. sagte, auch wenn Spiegel schon seit sieben Jahren nicht mehr bei uns sei, gelte: »Wir haben ihn nicht vergessen.« Sie erinnerte an seine enge Verbindung zum Bundesland und daran, dass er auch Träger des Staatspreises Nordrhein-Westfalens war. Er habe über Grenzen hinweg viel Respekt und hohe Anerkennung genossen. Hannelore Kraft betonte: »Wir in Nordrhein-Westfalen sind und wir bleiben dankbar für Paul Spiegel.«

konsequent »Von Anfang an hat Paul Spiegel einen Weg im Kopf gehabt«, erzählte Herbert Rubinstein vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein. »Schon als kleiner Junge wollte er aus einem unbekannten Nest in Westfalen nach vorne. Diesen Weg ist er konsequent gegangen. Er konnte hart sein, wenn er ungerecht behandelt wurde, aber er dachte weit voraus und ging auch Kompromisse ein. Wenn er Schach gespielt hätte, dann wäre er einer der Besten gewesen.«

Viele Menschen habe Paul Spiegel auf seinem Weg mitgerissen. Als er in Düsseldorf zum Gemeinderatsmitglied wurde, habe er viele junge Frauen und Männer motiviert, sich ebenfalls zu engagieren. »Er war wirklich ein Leithammel«, erzählte Herbert Rubinstein. »Wir sind ihm gefolgt und haben enorm viel gelernt«, seine Begeisterung, seine Witze und das ansteckende Lachen hätten dazu viel beigetragen. »Paul Spiegel war ein überzeugter Jude«, betont Rubinstein. »Er hat gesagt, dass wir Werte und Traditionen nicht einfach von uns streifen können, sondern dass sie Teil unserer Identität sind.«

Obwohl er sich schon früh in jüdischen Institutionen engagierte, glaubt Rubinstein, habe sich Spiegel »nicht träumen lassen, einmal Präsident des Zentralrats zu werden«. Als er dann vor der Entscheidung stand, sei es ihm wichtig gewesen, sich nicht aufzureiben und Zeit für die Familie zu haben. Spiegel habe stets die Balance gesucht.

menschenfischer Das gilt auch für sein Wirken im Landesverband. »Er hat es geschafft, dass alle bei der Stange bleiben, dass es austariert blieb«, erzählte Michael Szentei-Heise, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. »Er hat den Landesverband im Positiven dadurch geprägt, dass er diplomatisch geschickt einen Konsens zwischen den Interessen der Großgemeinde Düsseldorf und denen der kleinen Gemeinden erzielen konnte.« Oded Horowitz, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, erinnert sich: »Paul Spiegel konnte in kurzer Zeit die Leute von sich begeistern. Auch die Staatsmänner, die er kennengelernt hat, waren schnell beeindruckt. Sie haben Paul Spiegel in ihr Privatleben gelassen, was diese Menschen sonst nicht machen.«

Ein Menschenfischer sei Spiegel gewesen, das hörte man während der Gedenkveranstaltung immer wieder. »Als ich noch relativ neu in Düsseldorf war und wenige Leute kannte, hat Paul gefragt, ob wir nicht mal Tennis spielen gehen sollten«, berichtete Horowitz. »Wir standen jeden Sonntag um 10 Uhr auf dem Platz. Nicht, weil wir gute Spieler waren – es ging um die persönliche Note.« Und wenn es in Sitzungen doch mal Streit gab, habe man es Spiegel nie übel genommen. »Er hat immer noch gezwinkert oder Witze gemacht.« Viele Menschen in Düsseldorf hätten noch beste Erinnerungen an Paul Spiegel und fühlten sich deshalb der Gemeinde verbunden.

Jahrzehnte lang war Spiegel hier im Gemeinderat aktiv, 18 Jahre lang als Vorsitzender. »Paul Spiegels Wirken ist noch heute in vielen Punkten zu spüren«, sagte Horowitz und erinnerte etwa an die Gründung des Juniorenclubs. Nach seinem Tod habe man sich sofort dafür eingesetzt, den Platz an der Synagoge nach ihm zu benennen, um die Verbindung zwischen Paul Spiegel und der Gemeinde öffentlich sichtbar zu machen. Diese Verbindung habe man nach der Gedenkfeier auch spüren können.

vorgänger Als ein Zeichen von Verbundenheit nahm Paul Spiegels Witwe Gisèle die Gedenkveranstaltung wahr. »Im Rahmen einer solchen Veranstaltung so viel Gutes über Paul zu hören, tut unendlich gut«, sagte sie in der Synagoge. Ihr Mann, erzählte Spiegel, hätte an dieser Stelle seinen Freund und Vorgänger beim Zentralrat der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis zitiert, und so übernahm sie es, nach all den lobenden Worten zu sagen: »Mein Vater wäre stolz auf mich – und meine Mutter hätte alles geglaubt.«

Jom Haschoa

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