Kirchentag Berlin

»Unterschiede verstehen und akzeptieren«

Die Sonne brannte am Freitagnachmittag auf den Alexanderplatz in Berlin-Mitte. Doch trotz der Hitze waren zahlreiche Besucher gekommen, um Prominente aus Politik und Gesellschaft zu hören, die sich im 30-Minuten-Takt auf dem »Roten Sofa« den Fragen von Vertretern der evangelischen Kirchenpresse stellten. Längst ist das »Rote Sofa« zur festen Institution der alle zwei Jahre stattfindenden Evangelischen Kirchentage geworden.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) sowie der Mediziner und Kabarettist Eckart von Hirschhausen waren bereits vor Ort. Und nach einer musikalischen Darbietung des Klarinettisten und Klezmermusikers Giora Feidman nahm auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, auf dem »Roten Sofa« Platz, um mit Arnd Brummer, Chefredakteur des evangelischen Monatsmagazins Chrismon, über jüdisches Leben in Deutschland und die aktuellen Herausforderungen für die Gesellschaft zu diskutieren.

demokratie »Es gilt, unsere Freiheiten und demokratischen Verhältnisse in der Bundesrepublik zu erhalten«, betonte Schuster und erklärte zugleich, dass die Einhaltung zivilisatorischer Mindeststandards dabei von zentraler Bedeutung sei. »Schließlich endet Freiheit in meinen Augen in dem Moment, wenn andere, wenn Dritte auch in Worten beleidigt und bedroht werden.«

Damit bezog sich Schuster auf den jüngsten Vorfall an einer Schule in Berlin-Friedenau, an der antisemitische Anfeindungen jahrelang an der Tagesordnung waren. »Die Schulleitung hatte viel zu lange die vermeintlichen Freiheiten geduldet, weshalb ein jüdischer Schüler einem massiven Leidensdruck ausgesetzt war.«

In diesem Kontext hob Schuster die Bedeutung des interreligiösen Dialogs hervor, um präventiv wie auch offensiv gegen alle Formen von Diskriminierung vorzugehen und radikalen Strömungen das Wasser abzugraben. »Wer eine andere Religion ein wenig kennengelernt hat, der tut sich erheblich leichter damit, diese Unterschiede auch zu verstehen und zu akzeptieren.«

Dies beinhalte aber keineswegs eine Beliebigkeit bei der Wahl der Gesprächspartner. »Wir müssen mit muslimischen Verbänden und Moscheegemeinden in Kontakt treten, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.« Zugleich erteilte der Zentralratspräsident allen eine Abfuhr, die negative Pauschalurteile fällten und abwertend von »den« Muslimen redeten. Angesichts mancher Verzerrungen in den Diskussionen käme den Medien hier eine zentrale Bedeutung zu.

martin luther Auch der Judenhass Martin Luthers kam zur Sprache, insbesondere anlässlich des Luther-Jahres 2017. »Haben Sie den Eindruck, dass dieses Thema ausreichend beleuchtet wird?«, wollte Brummer wissen. Schuster erklärte daraufhin, dass er von den Bemühungen der Verantwortlichen in der evangelischen Kirche, dieses finstere Kapitel ihrer Geschichte aufzuarbeiten, sichtlich beeindruckt sei. »Das relativiert natürlich keinesfalls all das, was Luther gesagt hat.«

Es gebe zudem zahlreiche weitere, weniger prominente Theologen in der Kirchengeschichte, deren Haltung gegenüber Juden ähnlich feindselig gewesen sei, betonte Schuster. Auch das müsse weiter thematisiert werden.

Der Zentralratspräsident wollte aber nicht nur über andere sprechen. Schließlich war die Runde auf dem »Roten Sofa« auch eine gute Gelegenheit, einem breiteren Publikum Einblicke in die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland zu vermitteln. »Die Unterschiede zwischen liberal oder traditionell spielen bei genauerem Hinsehen keine Rolle«, so Schuster. »Schließlich sind die Glaubensinhalte für alle völlig identisch.«

Wie gelebte Pluralität im Judentum aussehen kann, skizzierte er am Beispiel der Westend-Synagoge in Frankfurt. Dort feierten drei verschiedene Strömungen des Judentums im gleichen Gebäude ihre Gottesdienste. Und nicht ohne Stolz bemerkte Schuster abschließend: »Und das Phänomenale für mich ist: Das Dach des Hauses hält.«

Interview

Holocaust-Überlebender Weintraub wird 100: »Ich habe etwas bewirkt«

Am 1. Januar wird Leon Weintraub 100 Jahre alt. Er ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust. Nun warnt er vor Rechtsextremismus und der AfD sowie den Folgen KI-generierter Fotos aus Konzentrationslagern

von Norbert Demuth  16.12.2025

Magdeburg

Neuer Staatsvertrag für jüdische Gemeinden in Sachsen-Anhalt

Das jüdische Leben in Sachsen-Anhalt soll bewahrt und gefördert werden. Dazu haben das Land und die jüdischen Gemeinden den Staatsvertrag von 2006 neu gefasst

 16.12.2025

Bundestag

Ramelow: Anschlag in Sydney war Mord »an uns allen«

Erstmals gab es in diesem Jahr eine Chanukka-Feier im Bundestag. Sie stand unter dem Eindruck des Anschlags auf eine Feier zum gleichen Anlass am Sonntag in Sydney

 16.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns wollen?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Berlin

Chanukka-Licht am Brandenburger Tor entzündet

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin das erste Licht am Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet. Der Bundespräsident war dabei

 15.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025

Berlin

Straße nach erster Rabbinerin der Welt benannt

Kreuzberg ehrt Regina Jonas

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Chanukkia

Kleine Leuchter, große Wirkung

Von der Skizze bis zur Versteigerung – die Gemeinde Kahal Adass Jisroel und die Kunstschule Berlin stellen eine gemeinnützige Aktion auf die Beine. Ein Werkstattbesuch

von Christine Schmitt  12.12.2025