Projekt

Über den Wolken

Cool: Der Helikopter fasziniert die Jugendlichen aus dem Aliyah-Dorf Hodayot. Foto: Rafael Herlich

Dafür braucht man schon Kraft», erklärt Polizeioberkommissar Alexander Schild auf Englisch, den Oberkörper leicht aus dem Cockpit gelehnt, und zieht den Steuerknüppel zu sich heran. Um ihn herum drängt sich ein Dutzend Jugendlicher, die nicht recht wissen, wohin sie zuerst gucken sollen: Auf den Polizisten, der ihnen zu erklären versucht, wie man das Fluggerät bedient, oder auf einen der Helikopter, die aufgereiht wie Autos beim Gebrauchtwagenhändler im Hangar der Polizeihubschrauberstaffel Egelsbach stehen.

Faszination «Flugzeuge werden stabilisiert, Hubschrauber nicht», sagt Alexander Schild. Kurz darauf können sich die Jugendlichen selbst ein Bild davon machen. Die Tore des Hangars öffnen sich, und die Gruppe tritt auf das Vorfeld. Im Rotorenlärm ist jede Konversation unmöglich. Staub wirbelt über den Asphalt. Ein blau-weißer Helikopter setzt sich taumelnd in Bewegung und schwebt davon. Ein Dutzend Augenpaare blickt ihm hinterher, schweigend zurückbleibend in einer Stadt, deren Namen die Jugendlichen bis vor Kurzem gar nicht kannten.

«Bei den jungen Leuten kommt einfach alles an, was mit Technik und Action zu tun hat», sagt Jochen Würges, Sachgebietsleiter für Aus- und Fortbildung bei der hessischen Bereitschaftspolizei. Seit knapp fünf Tagen trägt er die Verantwortung für die Jugendlichen, kümmert sich um sie, organisiert jeden Tag ihrer Deutschlandreise seit ihre Maschine aus Israel gelandet ist.

Ihr Zuhause ist Hodayot, ein religiös orientiertes Internat in Galiläa, unweit von Tiberias. Heim- und Ausbildungsstätte für Jugendliche, deren Leben ins Taumeln geraten ist, wie ein Hubschrauber beim Start. Allerdings haben sie längst einen Stabilisator gefunden – dank der Kinder- und Jugendaliyah. «Die Kinder sollen lernen, nach den Sternen zu greifen», erklärt Pava Raibstein, Geschäftsführerin der Kinder- und Jugendaliyah Deutschland, «wir wollen ihnen einen Anreiz geben.»

Gegründet wurde die Organisation vor 77 Jahren um Kinder vor dem Zugriff der Nazis zu retten. Mehr als 5.000 Kinder und Jugendliche kamen so nach Israel. Nach Ende des Krieges galt die Sorge der Hilfsorganisation jenen Kindern, die zwar die Schoa überlebt hatten, den Weg nach Eretz Israel jedoch als Waisen antreten mussten.

hilfe Heute zählt die Kinder- und Jugendaliyah zu den größten Kinderhilfswerken im Nahen Osten. In ihren rund 120 Jugenddörfern werden an die 13.000 Kinder im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren betreut. Viele stammen aus Zuwandererfamilien aus Osteuropa, der ehemaligen Sowjetunion und Äthiopien. Kinder, die entweder ohne Eltern eingereist sind, diese später verloren haben oder deren Familien ihnen keine ausreichende Zukunftsperspektive mehr bieten können. In den Jugenddörfern erhalten sie auch schulische Ausbildung und werden auf Berufe vorbereitet.

«Wir sind wirklich überrascht, wie großzügig sich alle Türen hier für uns öffnen», berichtet Pava Reibstein. Bereits seit sieben Jahren bietet ihre Organisation Jugendlichen die Möglichkeit, ein einwöchiges Praktikum in Deutschland zu absolvieren. Ein Programm, das zunächst in Zusammenarbeit mit der hessischen KfZ-Innung ausgearbeitet wurde und inzwischen weitere Kooperationspartner in anderen Berufsfeldern gefunden hat – darunter auch die Hessische Polizei. In Hodayot hatten die Schüler bereits eine Einstiegsausbildung mit Kursen in Kriminologie, Soziologie und Fallbearbeitungstechniken.

Berufswunsch Ihre berufliche Laufbahn ist den 17- bis 18-jährigen Teilnehmern deshalb noch lange nicht vorgezeichnet. Maor etwa, der mit Lederjacke und Sonnenbrille stiltechnisch eher auf «verdeckter Ermittler» macht, hat sich lange mit dem Gedanken getragen, eine Karriere in der israelischen Armee anzustreben. Der Einblick in die Arbeit der hessischen Polizei mit Besuchen bei der Wasserschutzpolizei, einer Einsatzzentrale oder Vorträgen zum Thema Kriminalistik, lassen ihn nun doch wieder mit dem Polizeiberuf liebäugeln. «Ich glaube, hier einen ziemlich guten Überblick über den Arbeitsbereich bekommen zu haben», sagt der Teenager, «Man spürt auch, dass sie ihren Beruf lieben.»

Maor ist in Israel zur Welt gekommen. In der zwölfköpfigen Reisegruppe gehört er damit einer Minderheit an. Die meisten sind erst später eingewandert, wie der 18-jährige Adragio, der im Alter von zwölf Jahren aus Äthiopien nach Israel übersiedelte. Seine Stärke ist eigentlich das Designen von Internetseiten. «Aber nach diesem Besuch», erklärt er, «bin ich überzeugt, Polizist werden zu wollen.»

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