Soiree

Toleranz, Muslime und der Papst

Ein Kompliment eröffnet das Gespräch: Seit seinem Amtsantritt wehe ein neuer Wind durch die jüdischen Gemeinden, bescheinigt Joachim Valentin, Direktor der katholischen Akademie »Haus am Dom«, seinem Gast Dieter Graumann. 2010 wurde Graumann zum Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt.

»Ich will etwas bewegen, deshalb habe ich dieses Amt angestrebt«, beschreibt er selbst das Motiv für seine Kandidatur. Um seinen Zuhörern bei dieser Soiree zugleich zu schildern, dass ihm der neue Wind mitunter auch heftig ins Gesicht blase: »Wer jüdische Politik macht, wird sehr angegriffen«, habe er erfahren.

mitgefühl Dass es sich dennoch lohne, »sich als Jude einzusetzen«, das habe ihn Ignatz Bubis gelehrt, antwortet Graumann auf die Frage nach den wichtigsten Prägungen in seinem Leben. Bubis habe auch zu den Ersten gehört, die Anfang der 90er-Jahre, nach den furchtbaren Anschlägen auf Ausländer in Rostock, Hoyerswerda und Mölln, die Opfer und Hinterbliebenen aufgesucht hatte, um ihr Mitgefühl und ihre Solidarität zu bekunden.

Mit seiner Forderung, bedrängte Muslime in Deutschland stärker zu unterstützen und ihnen mehr Respekt zu erweisen, habe der 1999 verstorbene frühere Zentralratsvorsitzende große Sensibilität bewiesen, betont Graumann. Den Dialog mit den Vertretern der 4,5 Millionen Muslime in Deutschland will auch er fortsetzen. Allerdings sei er enttäuscht darüber, dass alle Versuche einer Verständigung auf Verbandsebene gegen den grassierenden Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen bislang nichts bewirken konnten: »Reden ist Silber, Handeln ist Gold!«, appelliert er daher an die Verantwortlichen.

Pluralität Aber nicht nur im interreligiösen Dialog sei Toleranz gefordert. Auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, so zeichnet sich im Verlauf der Diskussion ab, ist Pluralität das Zauberwort, mit dem sich ihr neues Selbstverständnis am besten beschreiben lässt. So gelte es zu akzeptieren, dass es unterschiedliche Formen und Ausprägungen des Jüdischseins gebe, die alle neben- und miteinander bestehen könnten.

Entscheidend sei nicht, »wie wir beten, sondern, dass wir beten«, betont der Zentralratspräsident. Denn nicht nur die beiden christlichen Kirchen litten unter massivem Mitgliederschwund, »auch wir haben immer schönere Synagogen, die immer leerer werden«. Positives Beispiel sei für ihn die Frankfurter Gemeinde, in der sich am Schabbat eine liberale und zwei orthodoxe Gemeinschaften unter demselben Dach zu drei verschiedenen Gottesdiensten versammelten.

Auch das Verhältnis zur katholischen Kirche sieht Graumann positiv. So erkenne er eine »große Nähe und Versöhnungsbereitschaft«. Wären da nicht die drei Stolpersteine, die noch fortgeräumt werden müssten: die Karfreitagsfürbitte, die Piusbruderschaft und die geplante Seligsprechung von Pius XII. Das habe er auch beim Papstbesuch angesprochen.

Doch einer seiner Wünsche habe sich bislang nicht erfüllt, gesteht Graumann: die Gründung einer neuen jüdischen Akademie für Erwachsenenbildung in Berlin, ähnlich dem 1920 von Franz Rosenzweig ins Leben gerufenen Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt. »Das ist mein Traum«, bekennt Graumann. Barbara Goldberg

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Misrachim

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025