Bad Kissingen

Tolerante Helden

Ihr Kampf war aufopferungsvoll, und dann, 75 Jahre später: erst einmal nichts. Die Corona-Pandemie verhinderte ihre öffentliche Ehrung – zunächst. Jetzt wurde sie, etwas kleiner als geplant, in Bad Kissingen nachgeholt.

»Sie haben alles riskiert, um Deutschland zu befreien und Ihre Heimat zu verteidigen«, würdigte Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, am vergangenen Donnerstagabend im Bad Kissinger Beni-Bloch-Kurheim 22 jüdische Veteranen und Veteraninnen des Zweiten Weltkriegs.

Rote Armee Die Mitglieder des »Verbands der Veteranen« haben auf sowjetischer Seite als Mitglieder der Roten Armee gegen Hitler-Deutschland gekämpft – und leben jetzt im ehemaligen Feindesland.

Eigentlich hätte ihre Ehrung bereits am 9. Mai, dem »Tag des Sieges«, in Berlin stattfinden sollen. Seit 1965 wird an das Ende des »Großen Vaterländischen Krieges« erinnert. Coronabedingt fand die Ehrung nun im Rahmen eines zweiwöchigen Bildungsaufenthalts statt.

Die Kriegserlebnisse hätten die Veteranen sehr stark gemacht, sagt Zentralratsvizepräsident Mark Dainow.

Die Kriegserlebnisse hätten die Veteranen sehr stark gemacht. Krieg und Schoa hätten ihnen nicht den Lebensmut genommen, und sie hätten danach Familien gegründet und zum Aufbau ihrer Länder beigetragen. Deswegen könnten die Veteranen stolz auf ihr Leben zurückblicken, sagte Dainow.

Sie seien Vorbilder für die junge Generation, von der die meisten nur ein Leben in Frieden und Sicherheit kennen würden. »Vor allem, meine lieben Freundinnen und Freunde, sind Sie Vorbilder in Ihrer Haltung gegenüber dem ehemaligen Feind«, betonte Dainow. »Denn nicht von Hass, sondern von Toleranz ist Ihr Leben geprägt. Sie haben den Deutschen die Hand zur Versöhnung ausgestreckt.«

Das Deutschland der Gegenwart sei allerdings nicht von Toleranz geprägt. »Heute, da es den Menschen in Deutschland eigentlich so gut geht, treffen wir leider allerorten auf Hass und Intoleranz. Auch der Antisemitismus wächst, obwohl die Zahl der Juden in Deutschland zurückgeht«, bilanzierte der Zentralratsvizepräsident.

Anschläge Als Beispiele nannte er den Anschlag auf die Synagoge in Halle an Jom Kippur 2019, die ausländerfeindlichen Morde in Hanau Anfang 2020 und den alltäglichen Hass. »In abfälligen Blicken und Sprüchen, in Hassbriefen und in Tausenden von gehässigen Kommentaren im Internet.« Manchmal frage er sich: »Was ist los in Deutschland? In Europa? In der Welt?« Auch wenn jeder Einzelne dieser Entwicklung nur wenig entgegensetzen könne, sollten wir das Wenige tun, was wir tun können, sagte Dainow. »Am Beispiel Ihres Lebens können Sie jungen Menschen so eindrücklich zeigen, wohin Hass führt und was Versöhnung bedeutet.«

Dainow forderte die Zeitzeugen auf, ihre Geschichten jungen Menschen zu erzählen und sie aufzuschreiben. Die Geehrten hätten in Abgründe geblickt und erlebt, wozu Menschen im Schlechtesten und im Besten fähig seien. »Ihre Erinnerungen sind ein kostbarer Schatz, den wir bewahren sollten!«

Mit Worten des Dankes beschloss Dainow seine Ansprache. »Die jüdische Gemeinde, ja, ganz Deutschland ist Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet!«
Auch Ilya Daboosh, der Leiter des Sozialreferats der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), war voller Hochachtung gegenüber den Veteranen. »Ich freue mich sehr, dass Sie trotz Corona gekommen sind, um sich in Bad Kissingen wohlzufühlen«, begrüßte er die Teilnehmer dieses Bildungsaufenthaltes.

Alexander Reznitchi, der Vorsitzende des Verbands der Veteranen, betonte, dass die Begegnung für ihn etwas ganz Besonderes sei.

Es sei für ihn eine Ehre, sich mit den Veteranen auszutauschen. »Die ZWST ist stets bemüht, für vulnerable Gruppen Angebote zu schaffen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen«, sagte er. Auch Alexander Reznitchi, der Vorsitzende des Verbands der Veteranen, betonte, dass die Begegnung für ihn etwas ganz Besonderes sei. Um die Veteranen zu ehren, war auch Valentin Sazonov, der Dritte Sekretär des Frankfurter Generalkonsulats der Russischen Föderation, nach Bad Kissingen gekommen.

Doch neben den offiziellen Terminen ergaben sich auch zahlreiche Gespräche, unter anderem mit dem 1925 geborenen Vladimir Metrin. Der Funker hielt sich am 9. Mai 1945 gerade in Moskau auf. Er könne sich noch gut an die gelöste Atmosphäre in der Hauptstadt der So-
wjetunion erinnern, erzählte er. »Alle sind zum Roten Platz gelaufen. Man hat sich umarmt, man hat Lieder gesungen.«

Freiwillige Bereits im Alter von 15 Jahren habe er sich freiwillig zur Front gemeldet, berichtete Metrin. Da er als Funker wichtig für die Kommunikation in seiner Einheit gewesen sei, habe sein Divisionschef zu seinen Kameraden gesagt: »Den kleinen Juden müssen Sie pflegen. Sie müssen auf ihn aufpassen.« Dank der Familienzusammenführung kam Metrin nach Nürnberg, wo er auch heute lebt. »Nürnberg ist eine sehr schöne Stadt, ich fühle mich dort sehr wohl«, betont er.

Auf die gemeinsame Zeit mit den Veteranen freute sich Tatjana Koroll, die Leiterin des »Bildungs- und Integrationsaufenthalts«. Geplant sind unter anderem eine Rundfahrt durch das einst weltbekannte Heilbad, Begegnungen mit jüdischer Kultur wie beispielsweise israelische Lieder und Tänze – und ein Spaziergang auf den Spuren der Juden, die einst in Bad Kissingen lebten. Die Küche des einzigen koscheren Hotels in Deutschland wird zum Gelingen des Bildungsaufenthalts nicht unwesentlich mit beitragen: Zum Abschluss am 6. Juli ist ein Gala-Essen geplant.

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