Freudental

Schwäbische Tugend

Häuser und ihre Bewohner Foto: Verlag

Freudental

Schwäbische Tugend

Heimatverbundenheit bleibt im Exil

von Heide Sobotka  02.01.2012 17:32 Uhr

»To be an hour early is to be on time.« Julius Stein bewahrte seine schwäbischen Tugenden auch im amerikanischen Exil. Das jedenfalls erzählte sein Enkel David Rubin. Dazu gehörten Steins schwäbisch gefärbtes Englisch und sein Faible für Salamander-Schuhe. Nie habe er Schuhe anderer Hersteller gekauft und getragen, berichtet der Enkel Jahre später.

Julius Stein gelang die Emigration aus Freudental nach Amerika, wie auch weiteren 24 Juden aus diesem kleinen schwäbischen Ort nahe Stuttgart, deren individuelles Schicksal Steffen Pross im Freudentaler Adressbuch nachgezeichnet hat. Pross nennt seine gut lesbare Dokumentation Später erhielt ich noch zwei Karten aus Theresienstadt. Der poetische Titel verweist auf seinen durchweg literarischen Erzählstil und auf den Ort, der Deportationsziel vieler Juden war.

Unsentimental »Heimatgeschichte«, schreibt der Autor, »neigt dazu, Geschichte in Heimat aufzulösen«. Doch die Geschichten, die der Germanist und Historiker erzählt, widersprechen der »sentimentalen Illusion, Freudental – oder irgendeines der Dörfer, in dem sie teils seit Jahrhunderten lebten – wäre für ›seine‹ Juden nach 1933 ein gefahrloserer, humanerer Aufenthaltsort gewesen.«

Auch hier bereicherten sich nichtjüdische Menschen an Zwangsverkäufen und Fluchtgut der Juden, was Pross mit Auszügen aus Dokumenten, Briefen und Selbstauskünften akribisch belegt. Pross nimmt den Leser zu einem Spaziergang durch die Straßen Freudentals mit und erzählt, wer wo und wann gelebt hat.

Dabei stellt er Beispielen der Entsolidarisierung auch Akte von Hilfsbereitschaft gegenüber. So entkam etwa Kurt Sonnemann mit seinen Söhnen Erich und Max der Festnahme nur, weil sie ein befreundeter Nazi warnte. Simon Meisner überlebte ebenfalls. Bei einem Besuch in Freudental nach seinen Gefühlen befragt, antwortete er: »Brezeln gibt’s in Belgien keine.«

Steffen Pross: »Später erhielt ich noch zwei Karten aus Theresienstadt.« Freudentaler Adressbuch 1935. Pädagogisch-Kulturelles Centrum, Freudental 2011, 239 S., 10,30 €

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Misrachim

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025